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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

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Worte, nach der wahren Folge, ordentlich vorzubringen. Vielmehr kommt das hinterste Wort bald vorn, das mittelste bald hinten, das vorderste bald in die Mitte, und auch umgekehrt. Keiner seiner Leute konnte verstehen, was er eigentlich haben wollte. Aber seiner Vernunft war er indeß gewiß vollkommen mächtig. "Jch dachte, fährt er fort, ganz richtig, sahe dieses Auffallende nebst den Beurtheilungen von meinen Leuten ein, ich ließ mir aber doch von meiner Verlegenheit nichts merken; -- sondern ging nach Hause zurük." Auch auf dem Heimgehen dauerte diese Sprachverwirrung bei vollenkommnem gesunden Bewustseyn fort, bis ein Aderlaß die richtige Wortfolge wieder herstellte, und dem sonderbaren Zustande ein Ende machte.

Jch habe mich schon einmal bei Gelegenheit der Spaldingischen Erfahrung über dergleichen Seelenzustände erklärt, und will hier nur noch dies hinzusetzen. Bekanntlich denken wir durch Hülfe symbolischer Zeichen, vornehmlich der Worte, die jedesmal das Gedächtniß dem Gedanken, welcher ausgedrukt werden soll, wieder zuführt; aber die Seele denkt sich einen Satz, kann sich ihn denken, ohne daß sie sich die Verbindung seiner symbolischen Zeichen in der ordentlichen Wortfolge vorstellt, vorausgesezt, daß jener Satz ihr schon oft gegenwärtig gewesen ist, und sie eine deutliche Uebersicht seiner Bedeutung gehabt hat. Es giebt demnach jedesmal ein doppeltes Bewustseyn der Seele -- des Satzes,


Worte, nach der wahren Folge, ordentlich vorzubringen. Vielmehr kommt das hinterste Wort bald vorn, das mittelste bald hinten, das vorderste bald in die Mitte, und auch umgekehrt. Keiner seiner Leute konnte verstehen, was er eigentlich haben wollte. Aber seiner Vernunft war er indeß gewiß vollkommen maͤchtig. »Jch dachte, faͤhrt er fort, ganz richtig, sahe dieses Auffallende nebst den Beurtheilungen von meinen Leuten ein, ich ließ mir aber doch von meiner Verlegenheit nichts merken; — sondern ging nach Hause zuruͤk.« Auch auf dem Heimgehen dauerte diese Sprachverwirrung bei vollenkommnem gesunden Bewustseyn fort, bis ein Aderlaß die richtige Wortfolge wieder herstellte, und dem sonderbaren Zustande ein Ende machte.

Jch habe mich schon einmal bei Gelegenheit der Spaldingischen Erfahrung uͤber dergleichen Seelenzustaͤnde erklaͤrt, und will hier nur noch dies hinzusetzen. Bekanntlich denken wir durch Huͤlfe symbolischer Zeichen, vornehmlich der Worte, die jedesmal das Gedaͤchtniß dem Gedanken, welcher ausgedrukt werden soll, wieder zufuͤhrt; aber die Seele denkt sich einen Satz, kann sich ihn denken, ohne daß sie sich die Verbindung seiner symbolischen Zeichen in der ordentlichen Wortfolge vorstellt, vorausgesezt, daß jener Satz ihr schon oft gegenwaͤrtig gewesen ist, und sie eine deutliche Uebersicht seiner Bedeutung gehabt hat. Es giebt demnach jedesmal ein doppeltes Bewustseyn der Seele — des Satzes,

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[16/0016] Worte, nach der wahren Folge, ordentlich vorzubringen. Vielmehr kommt das hinterste Wort bald vorn, das mittelste bald hinten, das vorderste bald in die Mitte, und auch umgekehrt. Keiner seiner Leute konnte verstehen, was er eigentlich haben wollte. Aber seiner Vernunft war er indeß gewiß vollkommen maͤchtig. »Jch dachte, faͤhrt er fort, ganz richtig, sahe dieses Auffallende nebst den Beurtheilungen von meinen Leuten ein, ich ließ mir aber doch von meiner Verlegenheit nichts merken; — sondern ging nach Hause zuruͤk.« Auch auf dem Heimgehen dauerte diese Sprachverwirrung bei vollenkommnem gesunden Bewustseyn fort, bis ein Aderlaß die richtige Wortfolge wieder herstellte, und dem sonderbaren Zustande ein Ende machte. Jch habe mich schon einmal bei Gelegenheit der Spaldingischen Erfahrung uͤber dergleichen Seelenzustaͤnde erklaͤrt, und will hier nur noch dies hinzusetzen. Bekanntlich denken wir durch Huͤlfe symbolischer Zeichen, vornehmlich der Worte, die jedesmal das Gedaͤchtniß dem Gedanken, welcher ausgedrukt werden soll, wieder zufuͤhrt; aber die Seele denkt sich einen Satz, kann sich ihn denken, ohne daß sie sich die Verbindung seiner symbolischen Zeichen in der ordentlichen Wortfolge vorstellt, vorausgesezt, daß jener Satz ihr schon oft gegenwaͤrtig gewesen ist, und sie eine deutliche Uebersicht seiner Bedeutung gehabt hat. Es giebt demnach jedesmal ein doppeltes Bewustseyn der Seele — des Satzes,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/16>, abgerufen am 26.04.2024.