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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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für einen wissenschaftlichen Beruf bestimmen und sie von der Sexta8.199
bis zum Abiturientenexamen alle Mühen des Latein, Griechisch und8.200
der Mathematik durchmachen lassen würden. Es ist vielmehr 8.201
anzunehmen, daß erst das erwachsene Mädchen nach vollendeter 8.202
Schulzeit und nach gewonnenem Überblick ihrer persönlichen Verhältnisse,8.203
bei ausgesprochener Neigung und Befähigung, den Entschluß zum8.204
Studium fassen wird. An ein solches Mädchen muß bereits der8.205
Ernst des Lebens herangetreten und ihr Charakter gefestigt sein,8.206
da es bereit ist, für eine glückliche Jugendzeit ein langjährig 8.207
mühevolles Studium und einen an Entbehrungen und Anstrengungen8.208
reichen Lebensberuf einzutauschen. Ferner werden nur diejenigen8.209
Mädchen sich dem ärztlichen Berufe widmen können, welche die8.210
Mittel besitzen, sich während der Studienzeit und der beginnenden8.211
Praxis selbst zu erhalten.8.212

Nicht einzelne herrorragende Persönlichkeiten oder Phänomene,8.213
obwohl wir solche mit Freude begrüßen, bilden jetzt den Stolz8.214
unserer Frauenwelt, sondern die große und jährlich zunehmende8.215
Zahl der für den Lebenskampf mit gründlicher Bildung ausgerüsteten8.216
Frauen. Gründlichkeit ist unser Losungswort geworden und auf8.217
Gründlichkeit hin sind alle unsere Bestrebungen gerichtet. Zwar8.218
haben wir noch mit den Überbleibseln der alten Zeit zu rechnen8.219
und der Arbeitsmarkt wimmelt noch von unbrauchbaren, aber 8.220
bedauernswerten Schwächlingen, die uns eine schwere Last und ein8.221
großes Hindernis sind; von Frauen, die entweder zu vornehm oder zu8.222
ungebildet sind, um die Arbeitstreue und die Arbeitsehre zu 8.223
verstehen und die beständig nach Almosen, welche sie als Bezahlung8.224
für schlechte gewissenlose Arbeit empfangen wollen, herumbetteln.8.225
Dieses Vermächtnis der Vergangenheit lastet schwer auf uns, indem8.226
es nicht nur unsere Hülfsquellen erschöpft, sondern auch das 8.227
Studium und die Arbeit der gewissenhaften, rechtschaffenen Frauen 8.228
gewissermaßen diskreditiert und verfälscht; aber wir sehen mit Zuversicht8.229
einer besseren Zukunft und dem Aussterben eines solchen uns8.230
entehrenden Geschlechtes entgegen. Ehre der Arbeit und 8.231
Notwendigkeit der Bildung, das sind die zwei Rufe, die wir der8.232
heranwachsenden Jugend stets wiederholen und unsere Bestrebungen8.233
nach einer besseren Qualität der Frauenarbeit werden gewiß einst8.234
mit nötigem Erfolge belohnt und gekrönt werden.8.235

Auf zwei Bemerkungen, hochgeehrter Herr Professor, die Sie8.236
über die Studentinnen in der Schweiz machen, muß ich noch näher8.237
eingehen. Die erste betrifft Ihre Äußerung:8.238

Damit traten die Frauen in einem der gelehrten Fächer in8.239
Wettbewerb mit dem Manne, die Resultate dieser Konkurrenz waren
8.240

für einen wissenschaftlichen Beruf bestimmen und sie von der Sexta8.199
bis zum Abiturientenexamen alle Mühen des Latein, Griechisch und8.200
der Mathematik durchmachen lassen würden. Es ist vielmehr 8.201
anzunehmen, daß erst das erwachsene Mädchen nach vollendeter 8.202
Schulzeit und nach gewonnenem Überblick ihrer persönlichen Verhältnisse,8.203
bei ausgesprochener Neigung und Befähigung, den Entschluß zum8.204
Studium fassen wird. An ein solches Mädchen muß bereits der8.205
Ernst des Lebens herangetreten und ihr Charakter gefestigt sein,8.206
da es bereit ist, für eine glückliche Jugendzeit ein langjährig 8.207
mühevolles Studium und einen an Entbehrungen und Anstrengungen8.208
reichen Lebensberuf einzutauschen. Ferner werden nur diejenigen8.209
Mädchen sich dem ärztlichen Berufe widmen können, welche die8.210
Mittel besitzen, sich während der Studienzeit und der beginnenden8.211
Praxis selbst zu erhalten.8.212

Nicht einzelne herrorragende Persönlichkeiten oder Phänomene,8.213
obwohl wir solche mit Freude begrüßen, bilden jetzt den Stolz8.214
unserer Frauenwelt, sondern die große und jährlich zunehmende8.215
Zahl der für den Lebenskampf mit gründlicher Bildung ausgerüsteten8.216
Frauen. Gründlichkeit ist unser Losungswort geworden und auf8.217
Gründlichkeit hin sind alle unsere Bestrebungen gerichtet. Zwar8.218
haben wir noch mit den Überbleibseln der alten Zeit zu rechnen8.219
und der Arbeitsmarkt wimmelt noch von unbrauchbaren, aber 8.220
bedauernswerten Schwächlingen, die uns eine schwere Last und ein8.221
großes Hindernis sind; von Frauen, die entweder zu vornehm oder zu8.222
ungebildet sind, um die Arbeitstreue und die Arbeitsehre zu 8.223
verstehen und die beständig nach Almosen, welche sie als Bezahlung8.224
für schlechte gewissenlose Arbeit empfangen wollen, herumbetteln.8.225
Dieses Vermächtnis der Vergangenheit lastet schwer auf uns, indem8.226
es nicht nur unsere Hülfsquellen erschöpft, sondern auch das 8.227
Studium und die Arbeit der gewissenhaften, rechtschaffenen Frauen 8.228
gewissermaßen diskreditiert und verfälscht; aber wir sehen mit Zuversicht8.229
einer besseren Zukunft und dem Aussterben eines solchen uns8.230
entehrenden Geschlechtes entgegen. Ehre der Arbeit und 8.231
Notwendigkeit der Bildung, das sind die zwei Rufe, die wir der8.232
heranwachsenden Jugend stets wiederholen und unsere Bestrebungen8.233
nach einer besseren Qualität der Frauenarbeit werden gewiß einst8.234
mit nötigem Erfolge belohnt und gekrönt werden.8.235

Auf zwei Bemerkungen, hochgeehrter Herr Professor, die Sie8.236
über die Studentinnen in der Schweiz machen, muß ich noch näher8.237
eingehen. Die erste betrifft Ihre Äußerung:8.238

Damit traten die Frauen in einem der gelehrten Fächer in8.239
Wettbewerb mit dem Manne, die Resultate dieser Konkurrenz waren
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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/7>, abgerufen am 26.04.2024.