Ein offenes Wort
über
das medizinische Studium der Frauen
an
Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer.
von
Lina Morgenstern.
Berlin 1888.
Verlag der Deutschen Hausfrauen-Zeitung
W., Lützow-Platz 14.
Hochgeehrter Herr Professor!
Wenn ich den Versuch unternehme, eine Widerlegung
einzelner Punkte Ihres Vortrages über das medizinische Studium
der Frauen zu schreiben, geschieht dies aus folgenden
Gesichtspunkten: Die Bedeutsamkeit eines Vortrags liegt in dem besprochenen
Thema, in der Stellung, welche der Vortragende in der
wissenschaftlichen und gebildeten Welt einnimmt und in der Zuhörerschaft,
vor welcher gesprochen worden ist. Nach all diesen drei Richtungen
ist Ihr Vortrag für die Frauenbewegung höchst bedeutsam und nicht
zu unterschätzen.
Gerade in der Zeit, da sich in unserem Vaterlande aus den
verschiedensten Frauenkreisen eine mächtige thatkräftige Bewegung
kundgiebt, Ärztinnen für Frauen- und Kinderkrankheiten als eine
sanitäre und sittliche Notwendigkeit zu verlangen und daher das
medizinische Studium der Frauen in Deutschland zu erstreben,
wirkt der Vortrag eines berühmten Anatomen und ausgezeichneten
Lehrers an der Hochschule der deutschen Metropole wie eine
Kriegserklärung aus feindlichem Lager; um so mehr, als die Äerzte,
welche selbstverständlich diese Rede mit großem Beifall hörten, die
natürlichen Gegner des Frauenstudiums sind.
Ihr Vortrag, sehr geehrter Herr Professor, ist für unsere Bestrebungen
um so gefährdender, als ihn ein gewisses Wohlwollen
durchdringt, während das von Ihnen gewählte Thema dessen
Dringlichkeit und Wichtigkeit ergiebt. Es ist noch nicht so lange
her, daß die deutschen Professoren die Frage, welche andere Länder
längst befriedigend für das Frauengeschlecht beantwortet haben,
einfach totschwiegen oder vornehm bei deren Besprechung die
Achsel zuckten.
1*
In Ihren Auseinandersetzungen, hochgeehrter Herr Professor,
führen Sie als geschichtliche Thatsache eine Reihe von Beispielen an,
welche beweisen, daß es hervorragende Frauen bei den verschiedensten
Völkern gegeben habe, die sich durch geniale Beanlagung, Geist
und Willensstärke in allen Stücken den Männern ebenbürtig
erwiesen und ohne Schwierigkeit zu gleicher sozialer Stellung und
wissenschaftlicher Anerkennung gelangt sind, und daß auch die höchste
politische Stellung, das Regententum, ja sogar die
Heerführerschaft von Frauen erreicht und gut durchgeführt wurden. Es ist
daher ein Widerspruch, wenn eine spätere Äußerung lautet:
Bis zu dem Niveau, welches die Männer erreichten, hätten
sich die Frauen nie erhoben.
Ich glaube, die Namen von drei
regierenden Fürstinnen genügen, um daran zu erinnern, daß die
Frau als Staatsoberhaupt sich bereits über das Niveau erhoben
hat, welches gewöhnlich regierende Fürsten erreichen: Elisabeth von
England, Katharina II. von Rußland, Maria Theresia von
Oefterreich. — In der Gelehrtenwelt hat schon Sokrates die Diotima
und Aspasia Milesia als ebenbürtige Philosophen gerühmt und von
der Hypatia von Alexandrien, welche in der platonischen Philosophie,
in der Mathematik und Astronomie zu überraschender Gelehrsamkeit
gelangte, äußerte Spinoza, sie habe die Philosophen ihrer Zeit
übertroffen.
Wie Sie wissen, wurde diese Philosophin auf Anstiften des
Patriarchen Cyrill vom Pöbel mit Steinen zu Tode geworfen, ihr
Leib wurde zerstückt, Glied für Glied zerhauen und hierauf verbrannt.
Eine Schlesierin Maria Cunitzin hatte nach autodidaktischen
Studien sich um die Astronomie, wie die Gelehrten ihrer Zeit
bekunden, hervorragende Verdienste erworben, indem sie astronomische
Tafeln anfertigte, welche die Bewegung der Planeten und ihre
Vorausberechnung darstellten. Sie war eine Vorgängerin von Karoline
Herschel und Mary Somerville, welche beide, obgleich sie
nicht die Universität besucht, für ihre gelehrten Forschungen und
Leistungen, sowie für ihre selbstständigen Entdeckungen mit den größten
Auszeichnungen zu Mitgliedern der königlichen astronomischen Gesellschaft
in London, sowie zu Ehrenmitgliedern der königlichen Irischen Akademie
ernannt wurden. Karoline Herschel wurde in Anerkennung ihrer hohen
Verdienste um die Wissenschaft die goldene Medaille von der preußischen
Regierung durch Alexander von Humboldt überreicht.
Siehe Lina Morgenstern's: Die Frauen des 19. Jahrhunderts,
S. 375, 376 u. 388.
Sophie Germain, welche sich während
der französischen Revolution, als junges Mädchen, aus freier Wahl
dem Studium der abstraktesten aller Wissenschaften, der Mathematik,
gewidmet hatte, hinterließ Arbeiten von so bleibendem Werte, daß
sie von den ersten Meistern dieses Faches, von einem Lagrange,
einem Gauß, Poisson, Fourrier u. a. m. als gleichberechtigte Forscherin
angesehen wurde.
Im Mittelalter und zur Zeit der Renaissance wurden die
Frauen Italiens von jener allgemeinen Begeisterung für die Wissenschaften
und Kaufte ebenso ergriffen, wie die Männer und bei ihren
Universitätsstudien sind sie nicht unter dem Niveau von jenen
zurückgeblieben. Im 13. Jahrhundert wurde Accorsa Accorso, Tochter
eines berühmten Rechtsgelehrten, Professor der Philosophie an der
Universität Bologna. Dr. jur. Bettisia Gozzadini wurde 1236 Doctor
juris, hielt öffentliche Vorlesungen an der Universität, die ebenso
besucht wie beliebt waren. Sie hinterließ philosophische und
rechtswissenschaftliche Schriften. — Im 14. Jahrhundert hielt Novella,
Tochter des berühmten Rechtsgelehrten Giovanni D'Andrea oft für
ihren Vater Vorlesungen; sie verbarg sich aber hinter einem Vorhang,
damit ihre Schönheit die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht
störe. — Uns zeitlich nähergerückt ist Laura Laterina Bassi, die
1711 geboren, sich 1732 auf den Wunsch ihrer Lehrer entschloß,
die öffentliche Disputation zur Erlangung der Doktorwürde
abzulegen. Dieselbe wurde ihr unter großen Feierlichkeiten von der
philosophischen Fakultät ebenso zuerteilt, wie später die Würde als
Professor. Sie erhielt eine Professur der Experimentalphysik und
beschäftigte sich außerdem mit den andern Naturwissenschaften, sowie
mit Philosophie, alten Sprachen und Mathematik. Ihre bedeutende
Gelehrsamkeit hinderte sie nicht, Dr. Veradi zu heiraten, sie wurde
Mutter von 12 Kindern und soll als solche, sowie als Hausfrau
ebenso ausgezeichnet, wie als Gelehrte, gewesen sein. Ich könnte
hier noch Dorothea Schlözer, die Laporin und viele Andere
anführen, doch glaube ich, daß diese Namen schon genügen.
Alle diese Beispiele beweisen, daß in einer Zeit, die den Frauen
das gelehrte Studium und die daraus resultierende Würde
ermöglichte, es erstens Frauen gegeben hat, die das Niveau der
männlichen Bildung, erreichen und zweitens, daß selbst, als der
Zutritt zu den Universitäten den Frauen ausnahmslos freigegeben
wurde, kein Massenandrang, den die Professoren unserer Zeit so
sehr fürchten, stattgefunden hat.
Die Beispiele, die ich anführte, gehören der Vergangenheit
an; ich könnte dieselben aus der Gegenwart durch eine große
Anzahl Namen erweitern, deren Trägerinnen bahnbrechend sowohl auf
den Gebieten der Wissenschaft, wie auf denen der organisierenden
Armenpflege und Humanität Außerordentliches geleistet haben,
welches sie alle mehr oder weniger über das Durchschnittsmaß
männlicher Bildung und Charakterstärke emporhoben. Ich nenne hier
nur in der medizinischen Wissenschaft die Namen Elisabeth und
Emily Blackwell. Doktoren der Medizin, Frl. Dr. Maria Zakrzewska,
die Gründerin des berühmten Neu England-Hospitals in Boston,
Miß Iex-Blake, Doktor der Medizin, welche die Anregung zur
Gründung der ersten medizinischen Schule in England gab, Mrs.
Garret Anderson, die anerkannt verdienstvolle Gründerin und Leiterin
des großen Frauenhospitals in London, und endlich die mutigen
Frauen, welche das medizinische Studium absolvierten, um nach
Indien zu gehen und den unglücklichen Hindufrauen die Befreiung
von namenlosem geistigen und körperlichen Elend zu bringen. Die
öffentliche Aufmerksamkeit in England auf die traurige Lage der
indischen Frauen hingelenkt zu haben, ist das Verdienst einer
Hindudame, Rukmibai, welche nach England ging, um dort Medizin zu
studieren. — Während in dem Lande der Denker, in Deutschland,
den Frauen das Recht versagt wird, Medizin zu studieren, vermehren
sich in den englischen Kolonien, im fernen Indien jetzt die
Einrichtungen zur Ausbildung von eingeborenen Frauen für den
ärztlichen Beruf. In Madras und Bombay sind neben medizinischen
Schulen Hospitäler mit weiblichen Ärzten für Frauen und Kinder,
und diese Einrichtungen sind nur der seltenen Energie von Frauen
zu verdanken, die wie Mary Carpenter, Miß Beilby, Mrs. Scharlieb
u. a. m. nicht aufhörten, für die Verbesserung des Loses der indischen
Frauen zu wirken. Rührend ist es zu lesen, welche Opfer an
Lebenskraft, Zeit und Vermögen alle diese Frauen dem Wohle der
menschlichen Gesellschaft gebracht haben und man kann gewiß nicht
sagen, daß sie das Niveau männlicher Charakterstärke und Energie
nicht erreicht hätten. Hier sei auch der Florence Nightingale,
Octavia Hill, Elisabeth Fry, Luise Büchner u. s. w. gedacht.
Sie, hochgeehrter Herr Professor, sprechen aus, daß
vorzugsweise die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit die Frau zum Studium
der Medizin treibe. Diesem gegenüber möchte ich behaupten, daß
dies nicht der Fall sei, vielmehr, daß ein wissenschaftlicher, höherer
Trieb die Frau das so schwer zu erreichende Studium ergreifen
lasse. Daß sie gerade das medizinische bevorzugt, liegt
begreiflicherweise darin, daß die Frau in der Häuslichkeit bereits die
natürliche Pflegerin der Gesunden und Kranken ist und daß sie als
Hüterin der heranwachsenden weiblichen Jugend es als eine sanitäre
und sittliche Notwendigkeit erkannt hat, Ärztinnen für
Frauenkrankheiten heranzubilden. Nirgends rächt sich ein versäumtes Aufsuchen des
Arztes so sehr, wie bei Frauenkrankheiten, und dennoch ist das
angeborene Zartgefühl Veranlassung, dieselben zu vernachlässigen. Es
giebt unzählige Jungfrauen, welche in den Pubertätsjahren sich
Unterleibsleiden zugezogen haben und wissentlich oder unwissentlich
die Folgen derselben tragen, weil sie zurückschrecken, sich von einem
Arzte untersuchen zu lassen. Es werden sich aber eine ganze Reihe
von vernachlässigten oder nicht zur Untersuchung kommenden Fällen
von Frauenkrankheiten aufweisen lassen, welche in der Jugend
entstanden, erst nach der Verheiratung der Patientinnen zur ärztlichen
Kenntnis und Behandlung gelangen.
Diese traurigen Fälle untergraben nicht selten das eheliche
Glück. Andererseits ist es nicht zu leugnen, daß gerade in den
letzten Jahrzehnten die Spezial-Frauenärzte zu Tausenden von
Frauen aufgesucht werden, ohne daß der Beweis geliefert ist, daß
sich dadurch Geschlechtskrankheiten vermindert hätten.
Wir bitten nicht darum, daß es den Frauen allzuleicht gemacht
werde, zu studieren, ein tüchtiges Studium und ein schweres Examen
soll den Weg zur Heilwissenschaft nur Auserwählten eröffnen, welche
sich ihrer ganzen Verantwortung bewußt sind; es sollen eben nicht
Pfuscherinnen gebildet werden, sondern tüchtige Ärztinnen. Das
junge Mädchen soll auch nicht nach Absolvierung des Schulunterrichts
sofort in den beruflichen Vorbildungskursus eintreten, vielmehr
müßte es Bedingung sein, eine Zwischenzeit von mindestens zwei
bis drei Jahren eintreten zu lassen, in welcher es durch Beteiligung
an wirtschaftlichen Arbeiten sich auf den häuslichen Beruf
vorbereitet, Studien für den Erziehungsberuf macht und vor allem
seine Gesundheit kräftigt. Gerade die Zeit vom 16. bis 19. Lebensjahr
erfordert bei jungen Mädchen eine ganz besondere Pflege, die
ein ernstes, viel Sitzen erforderndes Studium, nicht erträgt. Ohne
einen guten Fonds von Kräften, ohne eine normale körperliche
Gesundheit sollten Mädchen zum Studium nicht zugelassen werden.
Mit 19. Jahren ist ein Mädchen von Intelligenz, Bildung und
Verständnis wohl so weit, daß es sich annähernd darüber klar sein
kann, welcher Lebensweg seinen Fähigkeiten und Neigungen entspricht.
Für die Wahl des Berufes kann es sich dann während der Jahre
des Vorstudiums entweder entscheiden oder zurücktreten.
Sie erwähnten, daß die große Konkurrenz, welche die Ärzte
sich gegenseitig machen, nicht noch vergrößert werden dürfte durch
die der Ärztinnen. Eine solche Konkurrenz ist jedoch nicht zu
fürchten, da sich nicht viele Eltern finden werden, welche, wie es
bei den Knaben der Fall ist, ihre kleinen Töchter von vornherein
für einen wissenschaftlichen Beruf bestimmen und sie von der Sexta
bis zum Abiturientenexamen alle Mühen des Latein, Griechisch und
der Mathematik durchmachen lassen würden. Es ist vielmehr
anzunehmen, daß erst das erwachsene Mädchen nach vollendeter
Schulzeit und nach gewonnenem Überblick ihrer persönlichen Verhältnisse,
bei ausgesprochener Neigung und Befähigung, den Entschluß zum
Studium fassen wird. An ein solches Mädchen muß bereits der
Ernst des Lebens herangetreten und ihr Charakter gefestigt sein,
da es bereit ist, für eine glückliche Jugendzeit ein langjährig
mühevolles Studium und einen an Entbehrungen und Anstrengungen
reichen Lebensberuf einzutauschen. Ferner werden nur diejenigen
Mädchen sich dem ärztlichen Berufe widmen können, welche die
Mittel besitzen, sich während der Studienzeit und der beginnenden
Praxis selbst zu erhalten.
Nicht einzelne herrorragende Persönlichkeiten oder Phänomene,
obwohl wir solche mit Freude begrüßen, bilden jetzt den Stolz
unserer Frauenwelt, sondern die große und jährlich zunehmende
Zahl der für den Lebenskampf mit gründlicher Bildung ausgerüsteten
Frauen. Gründlichkeit ist unser Losungswort geworden und auf
Gründlichkeit hin sind alle unsere Bestrebungen gerichtet. Zwar
haben wir noch mit den Überbleibseln der alten Zeit zu rechnen
und der Arbeitsmarkt wimmelt noch von unbrauchbaren, aber
bedauernswerten Schwächlingen, die uns eine schwere Last und ein
großes Hindernis sind; von Frauen, die entweder zu vornehm oder zu
ungebildet sind, um die Arbeitstreue und die Arbeitsehre zu
verstehen und die beständig nach Almosen, welche sie als Bezahlung
für schlechte gewissenlose Arbeit empfangen wollen, herumbetteln.
Dieses Vermächtnis der Vergangenheit lastet schwer auf uns, indem
es nicht nur unsere Hülfsquellen erschöpft, sondern auch das
Studium und die Arbeit der gewissenhaften, rechtschaffenen Frauen
gewissermaßen diskreditiert und verfälscht; aber wir sehen mit Zuversicht
einer besseren Zukunft und dem Aussterben eines solchen uns
entehrenden Geschlechtes entgegen. Ehre der Arbeit und
Notwendigkeit der Bildung, das sind die zwei Rufe, die wir der
heranwachsenden Jugend stets wiederholen und unsere Bestrebungen
nach einer besseren Qualität der Frauenarbeit werden gewiß einst
mit nötigem Erfolge belohnt und gekrönt werden.
Auf zwei Bemerkungen, hochgeehrter Herr Professor, die Sie
über die Studentinnen in der Schweiz machen, muß ich noch näher
eingehen. Die erste betrifft Ihre Äußerung:
Damit traten die Frauen in einem der gelehrten Fächer in
Wettbewerb mit dem Manne, die Resultate dieser Konkurrenz waren
jedoch — von einzelnen Ausnahmen abgesehen, — so wenig befriedigend,
daß beispielsweise die russische Regierung die in Zürich
studirenden jungen Russinnen kategorisch aufforderte, Zürich zu verlassen,
und die Universitäten Straßburg, Rostock, Gießen und
Erlangen es übereinstimmend ablehnten, sie aufzunehmen.
Thatsächlich verhielt es sich mit den Russinnen anders. Seit
1864 das Frauenstudium in Zürich einer Russin gestattet wurde,
welcher Studentinnen aus verschiedenen Ländern folgten, erteilte
man 1869 den Frauen den Zutritt zum Maturitätsexamen. Von
1871 bis 1874 besuchten 338 Studentinnen die Züricher Universität,
unter denen 250 Russinnen. Eine vollständige Statistik des
Frauenstudiums auf europäischen Universitäten gab ich in meinen
„Frauenbeftrebungen unsrer Zeit" Allgemeiner Frauenkalender 1885,
1886 und 87. Nicht das wenig befriedigende wissenschaftliche Resultat
führte zu der plötzlichen Entfernung der Russinnen, sondern ein
Ukas der russischen Regierung berief die Studentinnen in ihre
Heimat zurück aus politischen Gründen, weil Zürich als die
Zusammenkunft der Nihilisten angesehen wurde.
Den besten Beweis, daß die leitenden Professoren von den
Leistungen der studierenden Frauen befriedigt waren, gab der
akademische Senat in einem Erlaß 1873, welcher die Aufnahme von
Studierenden beiderlei Geschlechts gleichberechtigt hinstellt.
Der Rat des Cantons Neuchâtel hat 1878 die Frage nach dem
Rechte der Frauen auf Zulassung zu höheren Unterrichtsanstalten
durch die folgende Antwort entschieden: Personen weiblichen
Geschlechts haben dasselbe Recht, akademische Kurse zu absolvieren oder
als Schüler der Cantonalgymnasien einzutreten, sofern sie die für
die Aufnahme vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen.
Aus dem hier Mitgeteilten ist es wohl einleuchtend, warum
die deutschen Universitäten es ablehnten, die russischen Studentinnen
aufzunehmen, abgesehen davon, daß deutsche Universitäten ja
überhaupt keine weiblichen Studierenden annehmen. Daß die russische
Regierung die Befähigung der Frauen zum Studium anerkannt hat,
ist dadurch bewiesen, daß Rußland selbst mehrere medizinische
Schulen für Frauen seither errichtete und russische Ärztinnen besonders
auf dem Lande anstellt. Aber auch die russischen Ärzte und
Naturforscher erkannten auf ihrem ersten Congreß in Odessa im August
1883 die studierenden Frauen an, indem sie ihnen die Teilnahme
an ihren Versammlungen nicht allein gestatteten, sondern sie an den
Sitzungen aktiv als Vorsitzende einzelner Abteilungen erwählten,
so z. B. wurde in der Abteilung für Physik und Chemie Frau
Tschajkoff, in der für theoretische Medizin die Ärztinnen Frau
Krafinskojan und Schrebrenikoff zu Sekretärinnen gewählt. In der
Sektion für Zoologie und Anthropologie wurde Frau Perejaszlawzew
und in der mathematischen Abteilung Frau Sophie Kowalewska,
Professor der Mathematik an der Hochschule zu Stockholm, als
Vorsitzende gewählt, ebenso in der Sitzung für Gesundheitspflege und
Hygiene Frau A. Rosina, Dr. der MedizinSiehe Deutsche Hausfrauenzeitung von Lina Morgenstern Nr. 6
S. 49: Die Frauen auf dem Ru11sse der Naturforscher..
Mehr noch als diese Ehrenbezeugungen bekundete auf diesem
Congreß die Erklärung des Professors Sklifassowski die
Anerkennung der weiblichen Kolleginnen: Wir haben die Frau in
den Räumen der Universität kennen gelernt, als Kreisarzt auf dem
Lande gesehen; wir haben sie als Arzt auf den Schlachtfeldern
bewundert und überall hat sie sich unsere Sympathien erworben und
sich würdig gezeigt, auf einer Stufe mit den Männern zu stehen.
— Eine andere Bemerkung in Ihrem Vortrage, hochgeehrter Herr
Professor, bezieht sich auf das Citat Carl Vogts: Es ist
merkwürdig, aber Resultat der Erfahrungen in allen unseren
Laboratorien, daß die Damen ungeschickt mit ihren Händen, unsauber in
ihren Arbeiten und unfähig, sich selbst zu helfen sind, wenn sie
auf irgend eine Schwierigkeit stoßen
. Dieses harte Urteil, dem
noch hinzugefügt ist, es giebt allerdings Ausnahmen
, ist um so
befremdender, als es in der Frauennatur und in ihrem Wirken in
der Häuslichkeit liegt, die Hand für alle Arbeiten geschickt zu machen
und ihre Sorgfalt der Reinlichkeit ihrer eigenen Person und ihrer
häuslichen Umgebung zuzuwenden. Wenn solche, dem
entgegengesetzte Fälle häufig in den Laboratorien vorgekommen sind, so mag
dies wohl mehr an dem Mangel individueller Begabung, sowie an
Unsicherheit und Ängstlichkeit gelegen haben. Das Urteil eines
Professors von der Bedeutung eines Carl Vogt, welcher den Frauen
die Befähigung zum Studium in allen Fakultäten zugesprochen hat,
sollte doch etwas vorsichtiger über die gemachten Erfahrungen
lauten.
Wenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, behaupten, daß die
Geburtshülfe auf niederer Stufe stehen blieb, so lange sie von den
Frauen allein ausgeübt wurde, und daß sie erst dann zu einer wahren
Kunst und Wissenschaft erblühte, als wissenschaftlich gebildete Männer
sich des Faches tüchtig annahmen, so ist dieses Resultat ganz
natürlich, denn nicht als studierte Ärztinnen, sondern als Hebeammen,
welche eine höchst mangelhafte und nur technische Ausbildung
erhielten, übten die Frauen die Geburtshülfe und zwar in einer ganz
untergeordneten gesellschaftlichen Stellung, zu welcher sich nur Personen
aus niedern Volksklassen meldeten. Dieses Verhältnis ist erst in
der allerneusten Zeit ein anderes geworden, wo Ärzte die Notwendigkeit
erkannten, einem so wichtigen Stande wie dem der
Hebeammen eine gründlichere wissenschaftliche Ausbildung zu geben.
Unsere Ärzte als Spezialisten für Geburtshülfe und
Frauenkrankheiten konnten wohl ganz anderes leisten und bahnbrechende
Erfindungen auf diesem Gebiete machen, da sie nicht allein in
Gymnasien und Universitäten eine umfassende Bildung erhielten, sondern
jahrelang, ehe sie zur selbstständigen Praxis kommen, als Assistenten
berühmter Fachärzte fungieren und in Kliniken und Polikliniken das
ausgiebigste Menschenmaterial zum Experimentieren erhalten. Gerade
das Prinzip der Arbeitsteilung spricht dafür, die Frauen zu der ihnen
durch die Natur zugewiesenen Wissenschaft und Kunst, der
Geburtshülfe und Behandlung der Kinder zuzulassen und ihnen dazu die
angemessene Vorbildung zugeben. Auf Ihre Seitenhiebe, sehr
geehrter Herr Professor, daß die Frauen auch auf keinem Gebiete
etwas Erhebliches geleistet haben, brauche ich nach meinen früheren
Auseinandersetzungen nicht weiter eingehen.
Die Musik betreffend, sagen Sie: Obgleich sie den Frauen
stets offen gewesen sei, existiere auch nicht ein einziges Liedchen von
dauerndem Werte, das eine Frau componiert habe!
Dies zu widerlegen fällt mir das Liedchen: „Nach Sevilla,
nach Sevilla" ein. welches Louise Reichard am Anfang unseres
Jahrhunderts componiert hat und das sich volkstümlich, obgleich
später auch noch mehrfach in Musik gesetzt, doch nur in ihrer
Melodie erhalten hat. Sie war die Tochter des damaligen
Musikdirektors Reichard in Halle a. d. S. Die Gartenlaube Nr. 29,
Jahrgang 1865 enthält eine Episode aus dem Leben dieses
reichbegabten Mädchens, in welcher die Entstehung dieser Composition
geschildert ist. Clemens Brentano hatte die Dichtung eingeschickt und Louise
hatte sie in Musik gesetzt und trug sie mit Harfenbegleitung, als
neuestes Produkt ihrer Kunst, dem heimkehrenden Vater vor. Die
Wirkung war so packend, daß der Vater aufsprang und ihre Hand
ergreifend sagte: Brav Mädel, das hast Du gut gemacht. Die
Melodie wird uns Alle überdauern!
Auch trifft es nicht zu, daß,
wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen, die Musik
uneingeschränkt den Frauen offen stand.
Die Schranke, welche die Gesellschaft schuf, bestand in dem
„Ungebräuchlichen", „Lächerlichmachen", „Unweiblich" sein, wenn
ein anderes Instrument von Frauen, als das Klavier, gewählt
wurde. Solche Schranke hat erst in der letzten Hälfte unseres
Jahrhunderts die Geige durchbrochen und wie viele Frauen zeichnen
sich jetzt schon als Violinvirtuosinnen aus.
Componistinnen wie Fanny Hensel, Le Beau, Emilie Meyer,
Lina Ramann, Mary Wurm, Malerinnen wie Angelika
Kauffmann, Luise Seidler, Rosa Bonheur und die auf unseren
Ausstellungen in reicher Anzahl vertretenen Künstlerinnen widerlegen
Ihr Vorurteil ebenso wie Dichterinnen und Schriftstellerinnen von
dem Werte der Annette von Droste-Hülshoff, George Sand, George
Elliot, Frau von Staßl, Fanny Lewald u. a. m., deren Werke ihre
Zeit überdauern.
Wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, erkennen auch wir als
erste und glücklichste Bestimmung der Frau das Wirken im Hause,
innerhalb des Familienlebens und für dasselbe; aber wie Sie es
wissen und ausgesprochen haben und wie die Statistik es nachweist,
existieren allein im deutschen Reiche über 2 Millionen Frauen, welche
dazu verurteilt sind, nicht zu heiraten, und die daher gezwungen
werden, einen Beruf zu ergreifen, der ihnen die Möglichkeit der
Selbsterhaltung gewährt, um niemand zur Last zu fallen. —
Es klingt wie Hohn, wenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen:
Warum hat sich denn das Frauengeschlecht in diese zweite Stellung
bringen lassen?
Wie sollte die Frau bei dem Geschlechtsdespotismus
des Mannes sich die erste Stellung haben erringen können? Über
ihr Recht entschieden bisher nur die Männer, die ihre wirtschaftliche
und juridische Stellung Jahrtausende lang garnicht in Betracht
zogen. Ist es doch kaum hundert Jahre her, daß ein Philosoph
aussprach: Frauen sind keine Menschen!
Dagegen freilich der
berühmte Rechtsgelehrte Harprecht geschrieben hat: Welcher
vertheydiget und bejahet, daß die Weiber keine Menschen seyn, derselbe
verunehrt die Mütterliche Asche, er wäre würdig, daß er nicht aus
einer Mutter zum Menschen, sondern von einem Schwein gebohren
würde! u. s. w.
Aber Macht geht vor Recht. Die Thatsache steht
fest, daß die Gesetze, welche der Frau bei den verschiedensten
Kulturvölkern gegeben sind, ohne ihr Zuthun und ohne sie nach ihrem
Willen zu fragen, von den Männern gemacht wurden und daß
alle ihr zustehenden Rechte, selbst bei der liberalsten Gesetzgebung
immer wie Gnadenakte erteilt wurden. die gerade das Gegenteil
von Recht sind. Secrétan sagte in seinem „Das Recht der
Frau": Jedes Individuum, das nichts anderes ist und thut, als
was ein Anderer ihm zu sein und zu thun erlaubt, ist der Sklave
dieses Anderen, und jede Klasse, die nichts anderes ist und thut,
als was eine andere Klasse ihr zu sein und zu thun vorschreibt, ist
Sklavin dieser Klasse.
Diese absolute Autorität, welche die eine
Hälfte des Menschengeschlechtes über die andere ausübt, weil sie
die stärkere ist und war, führte zur Sklaverei der Frau, deren
abscheuliche Folgen wir nicht nur bei den wilden und barbarischen
Völkerschaften beobachten, sondern heut noch bei uns — wo man
in einem Atem die Frau als die Priesterin der Sitte naturgemäß
in's Haus weist — und dennoch eine vom Staate geduldete und
kontrollierte Prostitution bestehen läßt und gut heißt. Begreifen Sie
nun, hochgeehrter Herr Professor, warum die Frauen es sich
gefallen lassen mußten, die zweite Stellung einzunehmen! Sehr einfach!
Es fehlt ihnen die Macht sich ihr Recht zu erzwingen.
Der Mangel des Stimmrechts
sagt Hedwig Dohm in
ihrem vortrefflichen Buch: „Der Frauen Natur und Recht"
bedeutet für die Frau: Du hast kein Recht am Eigentum, keines an
selbstbestimmendem Beruf und Unterricht, kein volles Recht an
Deinen Kindern, Du bist der Gewalt des Mannes anheimgegeben.
Aber die Gesetzgebung des Mannes unterdrückte nicht nur
äußerlich die Frau, sondern sie verurteilte sie zu geistiger
Knechtschaft. Ihre ganze Denk- und Gefühlsweise wurde durch einen
beschränkten Schulunterricht und eine noch beschränktere Erziehung
eingedämmt. Man faßte dabei nur die Ehe und die Mutterschaft
in's Auge und konnte doch nicht ändern, daß Millionen Mädchen
durch die bestehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen
Verhältnisse zur Ehelosigkeit und zur Entsagung des Mutterglücks
verurteilt sind. Und selbst für diesen als natürlich hingestellten
Beruf wurden die Mädchen nie genügend und rationell vorbereitet.
Während dem Manne alle Bildungsanstalten für den frei zu
erwählenden Fachberuf offen stehen, alle Bildungsmittel und
ausreichende Lehrzeit gegeben ist, forderte man von der Frau, daß die
Familientradition ausreiche, um sie für den so komplizierten
häuslichen Beruf vorzubereiten. Der Instinkt sollte sie lehren, ihre
Aufgaben zu erfüllen, als Mutter, Erzieherin, häusliche
Krankenpflegerin, Wirtschaftsleiterin u. s. w.
Aus der Initiative weiblicher Pioniere wurden erst in der
letzten Hälfte unseres Jahrhunderts Fortbildungs- und
Berufsschulen für die Hauswirtschaft, die Kindes- und Krankenpflege
geschaffen, und schon beginnt man die segenvollen Resultate zu
bemerken, welche sich in erhöhtem Interesse der Frauen für Hygiene,
Erziehung, bessere Ernährung und wirtschaftliche Verbesserungen
bekunden.
Ihre Ansichten, hochgeehrter Herr Professor, von der
verschiedenen Beanlagung der Geschlechter und der dadurch bedingten
Arbeitsteilung ist auch die meinige, aber eben im Interesse der
Gesamtkultur der Menschen soll und muß es der Frau, wie dem
Manne, überlassen werden, welche Arbeit sie für ihr Leben, ihrer
innersten Neigung nach, erwählen will.
Die Voruntersuchung, ob Frauen überhaupt studieren sollen
oder zum Studium dieser für die Menschheit so wichtigen
Wissenschaft befähigt sind, halten wir für überflüssig, da unser Jahrhundert
die Antwort darauf bereits gegeben hat, denn trotz aller fast
unübersteiglichen Hindernisse haben Frauen fast aller civilisierten Länder
Vorurteile. Gewohnheiten, Gegnerschaft und Landesgesetze zu besiegen
gewußt, um sich den für sie dornenvollen Weg der Wissenschaft zu
bahnen. Wo ihnen das Vaterland Hochschule und Prüfung verschloß,
sind sie in die Fremde gegangen mit jenem Heldenmut der Entsagung,
den nur die alleinstehende studierende Jungfrau kennt, — denn
während dem Jüngling die Studentenzeit die seligste seines Lebens
ist, in der er mit allem Übermut der Jugend sich neben dem
Studium dem Genüsse hingiebt und in seiner oft bis zur
Zügellosigkeit ausartenden Freiheit ganz seinen Neigungen lebt, — muß
die Jungfrau, die das elterliche Haus verläßt, will sie ihr ernstes
Ziel an der Universität erringen, ohne den mannigfachen Gefahren
zu erliegen, die ihr drohen, strenge Selbstzucht üben. Sie muß
alle ihre Neigungen, ihre Jugendlust unterdrücken, und stets darauf
bedacht sein, nicht nur mit allen ihr zu Gebote stehenden Fähigkeiten
zu lernen, in die Tiefen der Wissenschaft einzudringen, sondern
dabei auch ihre weibliche Würde, ihren guten Ruf zu wahren. Sie
weiß es, der einzige Schutz ihrer Rechte ist ihre sittliche Kraft.
Auch dem wenig befähigten Jüngling öffnen sich die Pforten
der Universität und die Mittelmäßigkeit vermag durch das Examen
zu schlüpfen um bei Fleiß und Gewissenhaftigkeit eine ehrenvolle
Stellung in der Gesellschaft zu erringen. Ein Mädchen aber, das
studieren will, muß ihre außerordentliche Begabung vorher beweisen,
da ihre Angehörigen es sonst nie zugeben würden, daß sie sich einem
wissenschaftlichen Berufe widme, noch mehr, jene müssen von der
Energie und dem guten Charakter des Mädchens überzeugt sein.
Die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen als Hausärzte
für Frauen und Kinder zu wählen, ist keine mehr, die durch
Diskussion ventiliert werden braucht, sie hat sich bereits beantwortet, da
wo das Studium ganz frei gegeben ist, indem es in Amerika fast
keinen Ort giebt, an dem nicht Ärztinnen praktizieren zum Heile der
Moral und der Gesundheit ihres Geschlechtes; die
Concurrenz, welche sie den Männern machen, muß doch nicht so fühlbar
sein, da Ärzte weder in verringerter Anzahl praktizieren, noch die
Universitäten weniger von medizinischen Studenten besucht werden.
Bei uns hätte die Frau als Ärztin auf dem Lande ein großes
Feld der segensreichen Thätigkeit.
Was wird da allein bei der Geburtshülfe durch rohe,
ungebildete und mangelhaft unterrichtete Hebeammen gesündigt.
Dr. Haufe sagte in seinen Briefen an eine Mutter: Wir
Deutsche haben die Gewohnheit über Probleme zu klügeln, zu
philosophieren, über die Möglichkeit der Ausführung, den Nutzen
oder Schaden, den Wert oder Unwert einer Sache zu tifteln und
zu streiten und ehe wir einig geworden, haben bereits andere
Nationen das Beste darin genommen!
So ist es auch mit dem
Frauenstudium.
In England, Italien, Belgien, Schweden, Norwegen,
Dänemark und Holland dürfen Frauen studieren und machen
davon, wenn auch mäßigen Gebrauch. Überall, wo Ärztinnen
sich niederlassen, gewinnen sie das Vertrauen, ja zwei geistvolle
und edle Fürstinnen, die Königin von Italien und die Königin
von Rumänien, haben sich Leibärztinnen erwählt und damit den
Beweis geliefert, daß sie es für notwendig und segensvoll halten,
wenn Frauen sich dem medizinischen Berufe zuwenden.
Nur Deutschlands Behörden und Gelehrte verweigern den
Töchtern die wissenschaftliche Ausbildung im Vaterlande, obgleich
es in unserem preußischen Landesgesetz heißt: die Wissenschaft ist
frei und alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich!
Ein Trost ist es uns, daß es bereits gelehrte Männer giebt,
welche unsern Standpunkt teilen. So beziehe ich mich z. B. auf
das Schreiben des Professors Heiberg, Mitglied der medizinischen
Fakultät in Christiania, welches dieser Herr an das akademische
Kollegium in Christiania 1885 gerichtet hatte, nachdem die
medizinische Fakultät dort erklärte, daß sie es noch nicht für rätlich hielt,
Veranstaltungen zu treffen, um Frauen Gelegenheit zu geben, sich
zu Ärztinnen zu bilden. Beachtenswert ist es dabei, daß die
norwegischen Frauen sofort einen Verteidiger ihrer Rechte gefunden
hatten, während auf der deutschen Naturforscherversammlung, Ihr
Vortrag, hochgeehrter Herr Professor, ungeteilten Beifall fand.
Professor Heiberg's Schreiben an das akademische Kollegium
lautet in extenso: In Anlaß des Schreibens vom 28. Oktober
v. I. erlaube ich mir anzuführen, daß die Erklärung der
medizinischen Fakultät vom 22. Mai v. I. während meines Aufenthalts
im Süden abgegeben wurde. Ich unterschrieb dieselbe deshalb
nicht und bin auch einer ganz anderen Meinung als die übrigen
Herren der Fakultät.
Ich finde nämlich, daß nichts zu teuer dafür ist, der Frau
Zutritt zu geben sowohl zu den medizinischen Übungen als zum
medizinischen Examen. In einer Reihe von Jahren habe ich mit
Frauen auf Laboratorien in Sezierstunden und Hospitälern zusammen
gearbeitet. Dabei habe ich sowohl Liebesverhältnisse als
feindliche Haltung entstehen sehen, letztere jedoch seltener als erstere.
Was Liebesverhältnisse und Neigungen betrifft, so treten diese auch
in Ländern, wie z. B. mohamedanischen, auf, wo man den Versuch
macht, die Frau vollständig vom jungen Mann abgesondert zu
halten; letztere knüpfen Verbindungen an, selbst in den am strengsten
bewachten Harems. Die moderne Gesellschaft hat ihren Schutz und
ihre Wehr nicht etwa in einer Absperrung der Geschlechter von
einander, sondern in einer kräftigeren, intellektuellen und in einer
sorgfältigeren moralischen Entwicklung gesucht. Dieses hat seine
Wirkung in Schulen geäußert, die man nach amerikanischem: Beispiel,
z. B. in Stockholm hergestellt hat, wo Knaben und Mädchen
in einer und derselben Klasse zusammensitzen und denselben Unterricht
erhalten. Wir befinden uns mitten und schon ziemlich hoch
und weit in einem Strom, der zwischen der eingeengten mohamedanischen
und der freieren amerikanischen Auffassung fließt.
In den letzten 25 Jahren habe ich solchergestalt ein bedeutendes
Abnehmen mit Bezug auf die Schüchternheit und das steife
Wesen verspürt, die bei uns im Umgange zwischen beiden Geschlechtern
auftritt. Ich sehe hierin einen Fortschritt. Selbst wenn
ich persönlich gegen den Zutritt der Frau zur Universität behufs
Ausbildung zum ärztlichen Berufe wäre, würde ich doch glauben,
daß ein Widerstand seitens der Universität jetzt, da die Frau
vollen Zutritt zum examen artium erhalten hat und Student
werden kann, dasselbe sein würde als gegen den Strom zu kämpfen.
Als Einwendungen gegen den Zutritt der Frau zum medizinischen
Studium hebt man das stärker entwickelte Gefühlsleben,
die geringeren Geistesfähigkeiten und die geringere körperliche Stärke
hervor. Als große Regel wird man solches vielleicht bei der Frau
antreffen; es ist mir indessen nicht bekannt, daß man in Betreff der
männlichen Studenten Rekrutuntersuchungen anstellt, ehe man
ihnen Zutritt zum medizinischen Studium giebt. Es sind mir persönlich
Fälle vorgekommen, wo ich den Wunsch hegte, nervöse, wenig
begabte und körperlich schwache männliche Studenten, ihrer selbst
halber, vom Studium zurückweisen zu können. Hierauf wird sich
indessen der Staat wohl schwerlich einlassen. Das Leben selbst und
dessen Forderung nehmen ja auch oft die Abweisung selbst später
in Händen. Ebenso wie es nun Männer giebt, die das Durchschnittsmaß
nicht erreichen, so giebt es auch Frauen, die dasselbe
überschreiten. Diejenigen derselben, welche Lust und Neigung
verspüren als Ärzte zu wirken, sollte die Gesetzgebung nicht
zurückweisen. Es muß Jedermanns eigene Sache sein, sich seinen
Lebensberuf zu wählen.
Was das Gefühlsleben betrifft, so birgt das medizinische
Studium, besonders in Betreff der Geschlechtssphäre Gefahren, aber
diese dürften größer für Männer als für Frauen sein. Was
dagegen den Sinn betrifft, den man Takt nennt, so nehme ich an,
daß die Frau hierin dem Manne überlegen ist und doch muß man
dessen eingedenk sein, daß viele schwierige Familienverhältnisse von
dem Takt abhängig werden können, mit dem der betreffende Arzt
auftritt.
Durchschnittlich besitzt der Mann in höherem Grade als die
Frau ein ruhiges, kaltes Erwägen und Ermessen. Wenn aber eine
Frau diese Eigenschaft in einem hohen Grade besitzt, muß man
derselben Gelegenheit geben sich zu versuchen. Ist sie tüchtig, wird
man sie anwenden, ist sie aber untüchtig, wird man sie vergessen
und sie verschwindet. Was schließlich die körperliche Stärke betrifft,
so will ich die nicht zu widersprechende Thatsache hervorheben, die
doch nicht Allen bekannt ist, nämlich die, daß die norwegische Nation
mit Bezug hierauf sehr hoch in der Reihe der Nationen steht. Die
Untersuchungen ergeben bei uns das hohe Lebensalter und den hohen
Wuchs des Körpers.
Die Versicherungsgesellschaften arbeiten unter günstigen
Bedingungen bei uns. Unsere Soldaten gehören zu den größten der
Welt. Die Frau erreicht durchschnittlich 159 Centimeter und wird
hierin von Wenigen übertroffen. Unser Volk ist also großgeschlagen
und der Einzelne lebt lange. Die Nation muß deshalb für
ungewöhnlich stark angesehen werden und daß solches auch für die
Frau gilt, ist einleuchtend. Daß die Frau Zeugnis körperlicher
Ausdauer bei uns abgelegt hat, davon zeugt unsere
Hebammeninstitution, indem gegenwärtig über 700 Frauen als solche in unserm
Lande praktiziren und dies unter den schwierigsten Verhältnissen,
die das Klima, anstrengende Reisen und schlechte Bezahlung mit sich
führen. Da die Anzahl der Hebammen größer ist als die der
Ärzte, resultieren hieraus selbstverständlich etwas kürzere Reisen für
die Hebammen. Diese müssen ihrerseits dagegen mehr wachen und
unangenehme, körperlich schwerere Arbeiten als die Ärzte
ausführen. Die Proben körperlicher Stärke, welche diese Frauen
ablegen müssen, stehen nicht hinter denen der Männer zurück.
Wollte man bei uns vorschlagen, die Hebammen durch männliche
Geburtshelfer zu ersetzen, würde dies wahrscheinlich Heiterkeit
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erregen, obgleich es Länder giebt, wo die Geburtshülfe in großem
Umfang durch Männer ausgeführt wird.
Im Ganzen und Großen ist die weibliche Erziehung bei uns
vom Staate versäumt. Wenn man aber für das weibliche
Geschlecht ähnliche gelehrte, technische und Realschulen erhalten könnte
als diejenigen, welche für die männliche Jugend hergestellt sind,
so würden wir Aussicht haben eine Generation von Frauen zu erziehen,
denen gegenüber die jetzige weibliche Generation untergeordnet
dastehen würde. Mit Bezug hierauf muß aber von oben der
Anfang gemacht werden. Die Bewegung muß von der Universität
ausgehen, zunächst um für unsere Mädchen bessere öffentliche Schulen
zu erzielen.
Obgleich ich nun wünsche, daß den Frauen voller Zutritt zu
unseren Examen eröffnet werden möchte, so glaube ich doch nicht,
daß in der ersten Zeit eine größere Anzahl derselben sich dem
medizinischen Studium zuwenden wird. Ich nehme auch an. daß unter
den Frauen selbst die Stellung als Gattin und Mutter stets als
die beste und natürlichste angesehen werden wird. Ehe das
Bedürfnis nach erweiterten Lokalitäten und vermehrtem Lehrerpersonal
sich geltend machen wird, wird es richtig sein, keine besonderen
Veranstaltungen zu treffen, sondern nur den weiblichen Studenten,
außer dem Zutritt zu den Vorlesungen, den sie bereits haben, auch
die Erlaubnis zu erteilen, die Sezierstube, die Laboratorien und
das Hospital zu besuchen, sowie das Examen zu machen. In
Betreff des pharmazeutischen Studiums schließe ich mich den anderen
Herren an, die dasselbe auch als passend für Frauen ansehen.
So der norwegische Gelehrte.
Glauben Sie nicht, hochgeehrter Herr Professor, daß die
Frauenbewegung, wie Sie es fürchten, die Unterschiede verwischen will,
welche Natur den beiden Geschlechtern gab. Wir betrachten aber
das Frauenstudium als eine Rechtsfrage, von deren Lösung die ganze
Zukunft der Frauenbildung abhängt. Nun wohl, erst wenn man die
Frau sich frei nach ihrem Bildungsbedürfnis wird entwickeln lassen,
kann man nach dreißig Jahren sagen, ob dadurch das
gesellschaftliche und häusliche Leben gewonnen oder verloren hat.
Warum sollte die Frau von ihrem Liebreiz und ihrer Anmut
verlieren, sobald sie es vorzieht, sich den höheren Sphären der
Wissenschaft zu widmen, statt nur mit häuslichen und Handarbeiten
sich zu beschäftigen? Und wird es nicht vielmehr besser im
Haushalte werden, wenn die Frau in demselben ihre wissenschaftlichen
Kenntisse und Erfahrungen verwertet?
Warum befürchten die Männer, daß die Frau durch das
Studium ungenießbar werden und an Achtung verlieren wird,
während sie selbst durch ihr Wissen eine bevorzugte Stellung in der
Gesellschaft einnehmen, und was veranlaßt Sie, hochgeehrter Herr
Professor, zu der Meinung, daß die gebildete Männerwelt gegen
gebildete und gleichgestellte Frauen weniger höflich sein, weniger
Rücksichten nehmen wird, wenn sie alsdann gleiche Rechte mit ihm
besitzt? Eine solche Rohheit des Empfindens wollen wir garnicht
voraussetzen. Behandelt denn der Kaufmann seine Gattin weniger
rücksichtsvoll, wenn sie für ihn und ihm zur Seite erwirbt? Freilich
eine Frau, welche die Gelehrtheit und wissenschaftliche Bildung
verknöchert, einseitig, schroff und in ihrer äußeren Erscheinung
vernachlässigt zeigt, würde ebenso wie der gelehrte Mann, der diese
Eigenschaften besitzt, als Sonderling verlacht und vermieden werden.
Gerade je höher die Bildung einer Frau, desto mehr muß sie
bestrebt sein, in ihrem ganzen Wesen harmonisch zu erscheinen und
einen wohlgefälligen Vertrauen weckenden Eindruck durch ihre
Erscheinung zu machen!
Die leitenden Persönlichkeiten der Frauentage besiegten zunächst
die herrschenden Vorurteile durch echt weibliches, bescheidenes und
einfaches Auftreten, so daß man bald zu der Ueberzeugung kam, die
sogenannten Emanzipierten seien einfache Frauen, die nichts wollten,
als ihr Recht verteidigen und das Los ihres Geschlechts verbessern.
Zu den vielen Scheingründen und Beispielen in Ihrer Rede,
hochgeehrter Herr Professor, gehört auch das von der linken und der
rechten Hand. Freilich zeigt sich die rechte, von Generation zu
Generation stets zur Arbeitsleistung erzogene Hand geschickter zum
Angreifen und zum energischen Arbeiten, aber sobald die rechte Hand
fehlt, vermag die linke zur höchsten Geschicklichkeit herangezogen
zu werden. Ich kenne eine einarmige Dame, die mit der linken
Hand die zierlichsten Arbeiten macht und ebenso auch schnell und
fließend schreibt. Also auch hier zeigt es sich, daß Kräfte sich nur
dann entwickeln, wenn sie geübt und gebildet werden.
Sie geben selbst zu, hochgeehrter Herr Professor, daß der
Wirkungskreis der Frauen nicht zurückgedrängt werden soll und daß
man das Frauengeschlecht körperlich und geistig heranbilde,
vollkommen dem Manne ebenbürtig, bereit mit ihm in gleiche Leistungsfähigkeit
in den Kampf ums Dasein zu treten. Sie wird dann
dem Mann begehrungswert erscheinen, wie der Mann dem Weibe,
beide werden sich in harmonischer Weise ergänzen zum
Menschenideal u. s. w. und dennoch fügen Sie hinzu: Aber die Frau bleibe
dabei in demjenigen Kreise, in welchem sie ihre natürliche Kraft
und Entwicklungsfähigkeit besitzt.
Ich frage Sie, hochgeehrter
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Herr Professor, was nennen Sie, was die Männer überhaupt die
natürliche Kraft und Entwicklungsfähigkeit des Weibes?
Die Frau soll ihre Kraft und ihren Geschlechtscharakter zeigen
in Sanftmut, Hingebung, Fügsamkeit, Keuschheit, Sittsamkeit,
Bescheidenheit, Aufopferung. — Wer aber gefällt den Männern besser,
wen suchen Sie auf der Bühne des Lebens und der Kunst mehr
als die leidenschaftlichen, gefallsüchtigen, spröden, die dreisten und
auffallenden Frauen?
Liegt es in der natürlichen Kraft und Entwicklungsfähigkeit
des Weibes, es zur Meisterschaft als Seiltänzerin und Reiterin zu
bringen? Gewiß nicht! Aber niemals haben Männer verboten,
diese Künste, die zu sehen ihnen ein Vergnügen bereiten, obgleich
sie entgegengesetzt den Geschlechtseigenschaften der Frau sind, die
man von ihr verlangt.
Oder halten Sie es in der natürlichen Kraft und
Entwicklungsfähigkeit des Weibes angemessen, daß eine arme Arbeiterin, nachdem
sie Mann und Kinder versorgt, den ganzen Tag Torf und Holz
trägt und andre Lasten schleppt oder mit dem Manne die schwerste,
ausdauerndste Maschinenarbeit verrichtet? Und dennoch zwingt der
Kampf um's Dasein Massen von Frauen zu Arbeiten, die weder in
ihrer natürlichen Kraft noch in ihrer Neigung liegen, aber sie
können Alles, was sie enstlich wollen, und sie wollen Alles,
was Sie von den Verhältnissen gezwungen, thun müssen.
Warum sollten Sie nun das nicht thun dürfen, wozu innerste geistige
Neigung, ein seelisches Dürsten sie hinzieht — gründlich zu lernen,
um durch Wissen der menschlichen Gesellschaft zu nützen?
Warum sollte gerade dieses Verlangen gegen die Kraft und natürliche
Entwicklungsfähigkeit der Frau sein?.
Sie warnen also davor das medizinische Studium der Frauen
zu unterstützen, hochgeehrter Herr Professor, weil Sie darin nicht
den richtigen Weg erkennen, das Frauenlos zu verbessern — und
weil Sie fürchten, daß mit logischer Consequenz dasselbe zur
Eröffnung aller übrigen gelehrten Berufszweige für die Frau führen
müßte und gleich darauf sagen Sie Fühlen Einzelne, besonders
begabte und für die Studien begeisterte Frauen den Wunsch und
das Bedürfnis, sich ärztlich, juristisch und anderweitig auszubilden,
man mag das immer geschehen lassen und ihnen, falls sie sich
würdig erweisen, akademische Titel und Würden verleihen. Nur
möge man die Fakultäten oder Dozenten nicht dazu verpflichten, daß
sie Studentinnen zu ihren Vorlesungen zulassen müssen, sondern
dies ihrem Ermessen anheimgeben.
Diese Ihre Äußerung, mein hochgeehrter Herr Professor,
welche sie als das Resultat Ihrer Betrachtungen bieten, kennzeichnet
Ihren Standpunkt, welcher der des Geschlechtsdespotismus und
der Willkür des Mannes ist. Also was Sie dem ganzen Geschlecht
als ein Recht verweigern, das soll den einzelnen, begabteren Frauen
als Gnade gereicht werden und diese Gnade soll nicht abhängen
von der jedesmaligen Befähigung, sondern von dem Ermessen
einzelner Professoren, wie ihnen die Studentin gefällt. Und welchen
Maßstab werden die Professoren alsdann an die Jüngerin der
Wissenschaft anlegen? Im Allgemeinen ist es ja bekannt, daß selbst
die gelehrtesten Herren der Schönheit und weiblichen Anmut nicht
widerstehen können, während Häßlichkeit und körperliche Gebrechen
sie abstoßen. Wohin würde es nun führen, wenn die
Zuhörerschaft der Frauen von dem willkürlichen Ermessen jedes
Professors abhängen würde?
Nein, mein Herr, wir Frauen verlangen nicht Gnade, sondern
Gerechtigkeit.
Wo Ungerechtigkeit gegen die eine Hälfte des Geschlechtes
herrscht, giebt es überhaupt keine Gerechtigkeit.
Wir verlangen von Staat und Gesellschaft, daß sie uns die
Verwertung unserer Geistesgaben ermöglichen, indem sie uns das
Studium freigeben, wie dem Manne und daß sie den Frauen, die sich
als reif und würdig zeigen, auch die ebenbürtigen Würden nicht
verweigern. Der Kampf ums Dasein sollte dem schwächeren Geschlechte
nicht noch mehr erschwert werden, wie dem stärkeren. So lange
die Unmöglichkeit besteht, jeder Frau einen Mann zu geben, und
sie so ihrem natürlichen Wirkungskreise als Gattin und Mutter
zuzuführen, so lange darf der Frau nicht verweigert werden, einen
Beruf zu erwählen, der ihr als nützliches Mitglied der Menschheit
eine geachtete, sich selbst erhaltende Stellung sichert.
Wir hoffen, daß trotz der Gegenströmung, welche in Ihrem
Vortrage, hochgeehrter Herr Professor, Ausdruck findet, das Ziel
der deutschen Frauenbewegung erreicht werden wird, nämlich den
Töchtern unseres teuren Vaterlandes ebensoviel Recht zu verschaffen
wie den Söhnen. Und wenn wir es auch nicht mehr erleben werden,
wird die Zeit kommen, wo man nicht mehr wird sagen dürfen:
Deutschland und die Türkei sind die einzigen Europäischen Staaten,
welche der Frau die Pforten der Wissenschaft verschließen und sie
so zur geistigen Sklavin machen. Wir hoffen und wünschen es,
daß alsdann der Einfluß studierender Frauen veredelnd auf die
männlichen Studenten wirken wird, die jetzt in dem immer mehr
überhand nehmenden Wirtshausleben verrohen, und daß alsdann
wieder das Familienleben und eine edle Geselligkeit zur Geltung
kommen werden.
Gerade die Ärztin wird beitragen, die Mädchen und Frauen
keusch und gesund zu erhalten.
Gesundheit und Sittlichkeit sind die Wurzeln der guten Ehe.
Die Ehe ist der Grundstock der Familie und des Staates; in der
Familie ist Gesundheits- und Krankenpflege, von der alle
Leistungsfähigkeit abhängt, in die Hände der Frauen gegeben, ebenso wie die
Pflege der Sittlichkeit. Durch die Entziehung des ärztlichen
Studiums für Frauen werden die Grundbedingungen der Sittlichkeit
und Gesundheit in Tausenden von Familien untergraben.
Wir bitten um Berufsfreiheit wie für Deutschlands Söhne
auch für Deutschlands Töchter zur Wahl des medizinischen Studiums
mit gleichen Pflichten und gleichen Rechten.
Wir bitten um Gerechtigkeit für die Schwächeren, die sich ihren
Platz erst im Leben erkämpfen müssen, der seit Jahrtausenden nur
durch die Stärkeren bestimmt wurde!
Wie weit die Kraft und Entwickelungsfähigkeit der Frau geht,
kann Niemand wissen, weil Alles bisher in Gesellschaft und
Erziehung geschah, um sie zu beschneiden und abzugrenzen. So viel
aber ist sicher, der Einfluß der selbstsüchtigen, ungebildeten und
rechtlosen Frau auf Söhne und Töchter, in Staat und Gemeinde
ist ungünstig, oft recht schädlich, während die Frau, deren Geist
ausreifen, deren Gemüt sich im Strahl freier Berufswahl für das
erwärmen kann, was sie befriedigt und ausfüllt, in Treue,
Wahrhaftigkeit und Liebe der Familie, wie dem Staate, dem eigenen
Geschlecht, wie der ganzen Menschheit dienen und nützen wird, zum
Wohle, zur Veredlung Aller.Abdruck aus der Deutschen Hausfrauenzeitung Nr. 44, 45, 46.
Diese Zeitung brachte in Nr. 41, 42, 43 auch die Waldeyersche Rede.