Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
In sachlicher Beziehung aber ist einleuchtend, daß bei einer Anerken-
nung der Gesellschaft einerseits die Nothwendigkeit eintritt, die Regeln
für das Verhalten des Staates gegen diese wichtige Lebensgestaltung auszu-
sondern und zu durchdenken, andererseits aber der Staatswissenschaft die
Regelung großer Verhältnisse abgenommen ist und diese auf ihre eigene
Grundlage gestellt werden, während bisher dem Staate Fremdartiges zuge-
theilt, und also von ihm Unmögliches oder Falsches verlangt wurde.
Letzteres gilt sowohl vom Rechte als von der Politik.
§ 6.
6. Der Staat.

Der Mensch ist durch Familie, Stamm und Gesellschaft
wesentlich in seinen äußeren und inneren Lebenszwecken geför-
dert. In allen drei Kreisen wirken die Kräfte Anderer gemein-
schaftlich mit den seinigen zur Erreichung mannchfachen Nutzens,
welchen er vereinzelt niemals gewonnen hätte. Allerdings hat
er auch Andern seinerseits beizustehen; allein der Gewinn eines
jeden Theilhabers ist immer ohne allen Vergleich größer als
seine Einlage, weil die Gesammtheit specifisch andere Güter
schafft, als der Einzelkraft möglich wären selbst bei angestreng-
tester Verwendung, und weil die Genossenschaft jeden Einzelnen
geistig entwickelt.

Doch ist der Zustand auch bei voller Entwicklung und
Thätigkeit der bisher besprochenen Formen des Zusammenlebens
ein noch gar unvollkommener; und zwar in mehreren Be-
ziehungen.

1. Die Regeln für die verschiedenen naturwüchsigen
Formen des Zusammenlebens sind zum großen Theil nicht
durch eine äußere Auctorität gegeben, sondern folgen nur aus
der Natur der Sache. Daher sind sie denn nicht bestimmt
genug für alle vorkommenden Einzelheiten; sie werden keines-
wegs von Allen und unter allen Umständen anerkannt; und sie
sind, ohne äußeres Beurtheilungszeichen, veränderlich je nach der

In ſachlicher Beziehung aber iſt einleuchtend, daß bei einer Anerken-
nung der Geſellſchaft einerſeits die Nothwendigkeit eintritt, die Regeln
für das Verhalten des Staates gegen dieſe wichtige Lebensgeſtaltung auszu-
ſondern und zu durchdenken, andererſeits aber der Staatswiſſenſchaft die
Regelung großer Verhältniſſe abgenommen iſt und dieſe auf ihre eigene
Grundlage geſtellt werden, während bisher dem Staate Fremdartiges zuge-
theilt, und alſo von ihm Unmögliches oder Falſches verlangt wurde.
Letzteres gilt ſowohl vom Rechte als von der Politik.
§ 6.
6. Der Staat.

Der Menſch iſt durch Familie, Stamm und Geſellſchaft
weſentlich in ſeinen äußeren und inneren Lebenszwecken geför-
dert. In allen drei Kreiſen wirken die Kräfte Anderer gemein-
ſchaftlich mit den ſeinigen zur Erreichung mannchfachen Nutzens,
welchen er vereinzelt niemals gewonnen hätte. Allerdings hat
er auch Andern ſeinerſeits beizuſtehen; allein der Gewinn eines
jeden Theilhabers iſt immer ohne allen Vergleich größer als
ſeine Einlage, weil die Geſammtheit ſpecifiſch andere Güter
ſchafft, als der Einzelkraft möglich wären ſelbſt bei angeſtreng-
teſter Verwendung, und weil die Genoſſenſchaft jeden Einzelnen
geiſtig entwickelt.

Doch iſt der Zuſtand auch bei voller Entwicklung und
Thätigkeit der bisher beſprochenen Formen des Zuſammenlebens
ein noch gar unvollkommener; und zwar in mehreren Be-
ziehungen.

1. Die Regeln für die verſchiedenen naturwüchſigen
Formen des Zuſammenlebens ſind zum großen Theil nicht
durch eine äußere Auctorität gegeben, ſondern folgen nur aus
der Natur der Sache. Daher ſind ſie denn nicht beſtimmt
genug für alle vorkommenden Einzelheiten; ſie werden keines-
wegs von Allen und unter allen Umſtänden anerkannt; und ſie
ſind, ohne äußeres Beurtheilungszeichen, veränderlich je nach der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note place="end" n="3)"><pb facs="#f0044" n="30"/>
In &#x017F;achlicher Beziehung aber i&#x017F;t einleuchtend, daß bei einer Anerken-<lb/>
nung der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft einer&#x017F;eits die Nothwendigkeit eintritt, die Regeln<lb/>
für das Verhalten des Staates gegen die&#x017F;e wichtige Lebensge&#x017F;taltung auszu-<lb/>
&#x017F;ondern und zu durchdenken, anderer&#x017F;eits aber der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die<lb/>
Regelung großer Verhältni&#x017F;&#x017F;e abgenommen i&#x017F;t und die&#x017F;e auf ihre eigene<lb/>
Grundlage ge&#x017F;tellt werden, während bisher dem Staate Fremdartiges zuge-<lb/>
theilt, und al&#x017F;o von ihm Unmögliches oder Fal&#x017F;ches verlangt wurde.<lb/>
Letzteres gilt &#x017F;owohl vom Rechte als von der Politik.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 6.<lb/><hi rendition="#b">6. Der Staat.</hi></head><lb/>
            <p>Der Men&#x017F;ch i&#x017F;t durch Familie, Stamm und Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
we&#x017F;entlich in &#x017F;einen äußeren und inneren Lebenszwecken geför-<lb/>
dert. In allen drei Krei&#x017F;en wirken die Kräfte Anderer gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlich mit den &#x017F;einigen zur Erreichung mannchfachen Nutzens,<lb/>
welchen er vereinzelt niemals gewonnen hätte. Allerdings hat<lb/>
er auch Andern &#x017F;einer&#x017F;eits beizu&#x017F;tehen; allein der Gewinn eines<lb/>
jeden Theilhabers i&#x017F;t immer ohne allen Vergleich größer als<lb/>
&#x017F;eine Einlage, weil die Ge&#x017F;ammtheit &#x017F;pecifi&#x017F;ch andere Güter<lb/>
&#x017F;chafft, als der Einzelkraft möglich wären &#x017F;elb&#x017F;t bei ange&#x017F;treng-<lb/>
te&#x017F;ter Verwendung, und weil die Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft jeden Einzelnen<lb/>
gei&#x017F;tig entwickelt.</p><lb/>
            <p>Doch i&#x017F;t der Zu&#x017F;tand auch bei voller Entwicklung und<lb/>
Thätigkeit der bisher be&#x017F;prochenen Formen des Zu&#x017F;ammenlebens<lb/>
ein noch gar unvollkommener; und zwar in mehreren Be-<lb/>
ziehungen.</p><lb/>
            <p>1. Die Regeln für die ver&#x017F;chiedenen naturwüch&#x017F;igen<lb/>
Formen des Zu&#x017F;ammenlebens &#x017F;ind zum großen Theil nicht<lb/>
durch eine äußere Auctorität gegeben, &#x017F;ondern folgen nur aus<lb/>
der Natur der Sache. Daher &#x017F;ind &#x017F;ie denn nicht be&#x017F;timmt<lb/>
genug für alle vorkommenden Einzelheiten; &#x017F;ie werden keines-<lb/>
wegs von Allen und unter allen Um&#x017F;tänden anerkannt; und &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind, ohne äußeres Beurtheilungszeichen, veränderlich je nach der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0044] ³⁾ In ſachlicher Beziehung aber iſt einleuchtend, daß bei einer Anerken- nung der Geſellſchaft einerſeits die Nothwendigkeit eintritt, die Regeln für das Verhalten des Staates gegen dieſe wichtige Lebensgeſtaltung auszu- ſondern und zu durchdenken, andererſeits aber der Staatswiſſenſchaft die Regelung großer Verhältniſſe abgenommen iſt und dieſe auf ihre eigene Grundlage geſtellt werden, während bisher dem Staate Fremdartiges zuge- theilt, und alſo von ihm Unmögliches oder Falſches verlangt wurde. Letzteres gilt ſowohl vom Rechte als von der Politik. § 6. 6. Der Staat. Der Menſch iſt durch Familie, Stamm und Geſellſchaft weſentlich in ſeinen äußeren und inneren Lebenszwecken geför- dert. In allen drei Kreiſen wirken die Kräfte Anderer gemein- ſchaftlich mit den ſeinigen zur Erreichung mannchfachen Nutzens, welchen er vereinzelt niemals gewonnen hätte. Allerdings hat er auch Andern ſeinerſeits beizuſtehen; allein der Gewinn eines jeden Theilhabers iſt immer ohne allen Vergleich größer als ſeine Einlage, weil die Geſammtheit ſpecifiſch andere Güter ſchafft, als der Einzelkraft möglich wären ſelbſt bei angeſtreng- teſter Verwendung, und weil die Genoſſenſchaft jeden Einzelnen geiſtig entwickelt. Doch iſt der Zuſtand auch bei voller Entwicklung und Thätigkeit der bisher beſprochenen Formen des Zuſammenlebens ein noch gar unvollkommener; und zwar in mehreren Be- ziehungen. 1. Die Regeln für die verſchiedenen naturwüchſigen Formen des Zuſammenlebens ſind zum großen Theil nicht durch eine äußere Auctorität gegeben, ſondern folgen nur aus der Natur der Sache. Daher ſind ſie denn nicht beſtimmt genug für alle vorkommenden Einzelheiten; ſie werden keines- wegs von Allen und unter allen Umſtänden anerkannt; und ſie ſind, ohne äußeres Beurtheilungszeichen, veränderlich je nach der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/44
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/44>, abgerufen am 21.11.2024.