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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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diesen in seinen Eigenthümlichkeiten zu begreifen und als solchen auszuson-
dern, oder ihn in unbestimmter Schwebe und unklarer Vermischung nach
zwei Seiten hin zu lassen? Hier scheint denn nun aber über das richtige
Verfahren kein Zweifel obwalten zu können, wenn es sich einmal davon
handelt, die Gestaltungen des menschlichen Zusammenlebens in ihrem
Wesen und in ihrem Unterschiede aufzufassen.
2) Bluntschli tadelt, a. a. O., S. 251 fg., daß -- die Ausscheidung
einzelner gesellschaftlicher Kreise einmal angenommen -- nicht auch die Fa-
milien
und die politischen Partheien zu ihnen gerechnet, sondern jene
als ein eigener Lebenskreis aufgefaßt, diese ganz übergangen worden seien.
Alle Merkmale des gesellschaftlichen Kreises seien auch bei ihnen vorhanden. --
Beides ist mit Vorbedacht geschehen. Daß eine Familie auch gemeinsame
Interessen hat, ist ganz richtig; allein dieselben sind nur mehr oder weniger
zufällige Folgen, nicht aber der Zweck der Verbindung und ihr Wesen, welche
vielmehr in der Ergänzung der menschlichen Persönlichkeit durch eine Person
verschiedenen Geschlechtes und in der Fortpflanzung bestehen. Dieß ist nun
etwas so Eigenthümliches, und der daraus für die menschliche Persönlichkeit
entstehende Einfluß ist so ganz verschieden von den aus gemeinschaftlicher
Verfolgung eines äußeren Zweckes sich ergebenden Zuständen, daß die
beiden Arten von Lebenskreisen nicht vermischt werden dürfen. Der Familie
gehört unzweifelhaft eine Stelle in der Gesammtschilderung der verschiedenen
Gestaltungen des menschlichen Zusammenlebens; allein damit nicht gleich-
bedeutend ist Aufnahme unter die gesellschaftlichen Kreise. Was aber die
politischen Partheien betrifft, so ist allerdings einzuräumen, daß sie große
Ähnlichkeit mit den im Vorstehenden aufgeführten gesellschaftlichen Gestaltungen
haben, und es wäre somit vielleicht ihre Einbegreifung unter dieselben zu
rechtfertigen; dennoch scheint es richtiger, ihrer als einer specifischen Er-
scheinung des Staatslebens zu gedenken, (s. unten, § 21,) indem sie doch
lediglich nur im Staate, und zwar nur in bestimmten Arten desselben,
möglich sind, sie auch überhaupt nur in Beziehung auf staatliche Bestre-
bungen und Zustände bestehen.
3) Die Anerkennung der Gesellschaft als eines eigenthümlichen Lebens-
kreises, welcher nicht zusammenfällt weder mit dem Leben des Einzelnen
noch mit Einrichtungen des Staates, hat sowohl eine formelle als eine
sachliche Bedeutung. In ersterer Beziehung, indem sie eine logisch rich-
tige Ordnung der Staats- und der Rechtswissenschaft möglich macht und
namentlich manchen Lehren, welche bisher zwischen Staats- und Privat-
recht hin und her geschoben wurden, weil sie in der That keinem von beiden
angehören, ihre gehörige Stellung anweist. Daß hierdurch ein ganz neues
Gebäude von Wissenschaften entsteht, mag beschwerlich und störend für die
hergebrachten Anschauungen sein; es ist dieß jedoch kein Widerlegungsgrund.
dieſen in ſeinen Eigenthümlichkeiten zu begreifen und als ſolchen auszuſon-
dern, oder ihn in unbeſtimmter Schwebe und unklarer Vermiſchung nach
zwei Seiten hin zu laſſen? Hier ſcheint denn nun aber über das richtige
Verfahren kein Zweifel obwalten zu können, wenn es ſich einmal davon
handelt, die Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens in ihrem
Weſen und in ihrem Unterſchiede aufzufaſſen.
2) Bluntſchli tadelt, a. a. O., S. 251 fg., daß — die Ausſcheidung
einzelner geſellſchaftlicher Kreiſe einmal angenommen — nicht auch die Fa-
milien
und die politiſchen Partheien zu ihnen gerechnet, ſondern jene
als ein eigener Lebenskreis aufgefaßt, dieſe ganz übergangen worden ſeien.
Alle Merkmale des geſellſchaftlichen Kreiſes ſeien auch bei ihnen vorhanden. —
Beides iſt mit Vorbedacht geſchehen. Daß eine Familie auch gemeinſame
Intereſſen hat, iſt ganz richtig; allein dieſelben ſind nur mehr oder weniger
zufällige Folgen, nicht aber der Zweck der Verbindung und ihr Weſen, welche
vielmehr in der Ergänzung der menſchlichen Perſönlichkeit durch eine Perſon
verſchiedenen Geſchlechtes und in der Fortpflanzung beſtehen. Dieß iſt nun
etwas ſo Eigenthümliches, und der daraus für die menſchliche Perſönlichkeit
entſtehende Einfluß iſt ſo ganz verſchieden von den aus gemeinſchaftlicher
Verfolgung eines äußeren Zweckes ſich ergebenden Zuſtänden, daß die
beiden Arten von Lebenskreiſen nicht vermiſcht werden dürfen. Der Familie
gehört unzweifelhaft eine Stelle in der Geſammtſchilderung der verſchiedenen
Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens; allein damit nicht gleich-
bedeutend iſt Aufnahme unter die geſellſchaftlichen Kreiſe. Was aber die
politiſchen Partheien betrifft, ſo iſt allerdings einzuräumen, daß ſie große
Ähnlichkeit mit den im Vorſtehenden aufgeführten geſellſchaftlichen Geſtaltungen
haben, und es wäre ſomit vielleicht ihre Einbegreifung unter dieſelben zu
rechtfertigen; dennoch ſcheint es richtiger, ihrer als einer ſpecifiſchen Er-
ſcheinung des Staatslebens zu gedenken, (ſ. unten, § 21,) indem ſie doch
lediglich nur im Staate, und zwar nur in beſtimmten Arten deſſelben,
möglich ſind, ſie auch überhaupt nur in Beziehung auf ſtaatliche Beſtre-
bungen und Zuſtände beſtehen.
3) Die Anerkennung der Geſellſchaft als eines eigenthümlichen Lebens-
kreiſes, welcher nicht zuſammenfällt weder mit dem Leben des Einzelnen
noch mit Einrichtungen des Staates, hat ſowohl eine formelle als eine
ſachliche Bedeutung. In erſterer Beziehung, indem ſie eine logiſch rich-
tige Ordnung der Staats- und der Rechtswiſſenſchaft möglich macht und
namentlich manchen Lehren, welche bisher zwiſchen Staats- und Privat-
recht hin und her geſchoben wurden, weil ſie in der That keinem von beiden
angehören, ihre gehörige Stellung anweist. Daß hierdurch ein ganz neues
Gebäude von Wiſſenſchaften entſteht, mag beſchwerlich und ſtörend für die
hergebrachten Anſchauungen ſein; es iſt dieß jedoch kein Widerlegungsgrund.
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[29/0043] ¹⁾ dieſen in ſeinen Eigenthümlichkeiten zu begreifen und als ſolchen auszuſon- dern, oder ihn in unbeſtimmter Schwebe und unklarer Vermiſchung nach zwei Seiten hin zu laſſen? Hier ſcheint denn nun aber über das richtige Verfahren kein Zweifel obwalten zu können, wenn es ſich einmal davon handelt, die Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens in ihrem Weſen und in ihrem Unterſchiede aufzufaſſen. ²⁾ Bluntſchli tadelt, a. a. O., S. 251 fg., daß — die Ausſcheidung einzelner geſellſchaftlicher Kreiſe einmal angenommen — nicht auch die Fa- milien und die politiſchen Partheien zu ihnen gerechnet, ſondern jene als ein eigener Lebenskreis aufgefaßt, dieſe ganz übergangen worden ſeien. Alle Merkmale des geſellſchaftlichen Kreiſes ſeien auch bei ihnen vorhanden. — Beides iſt mit Vorbedacht geſchehen. Daß eine Familie auch gemeinſame Intereſſen hat, iſt ganz richtig; allein dieſelben ſind nur mehr oder weniger zufällige Folgen, nicht aber der Zweck der Verbindung und ihr Weſen, welche vielmehr in der Ergänzung der menſchlichen Perſönlichkeit durch eine Perſon verſchiedenen Geſchlechtes und in der Fortpflanzung beſtehen. Dieß iſt nun etwas ſo Eigenthümliches, und der daraus für die menſchliche Perſönlichkeit entſtehende Einfluß iſt ſo ganz verſchieden von den aus gemeinſchaftlicher Verfolgung eines äußeren Zweckes ſich ergebenden Zuſtänden, daß die beiden Arten von Lebenskreiſen nicht vermiſcht werden dürfen. Der Familie gehört unzweifelhaft eine Stelle in der Geſammtſchilderung der verſchiedenen Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens; allein damit nicht gleich- bedeutend iſt Aufnahme unter die geſellſchaftlichen Kreiſe. Was aber die politiſchen Partheien betrifft, ſo iſt allerdings einzuräumen, daß ſie große Ähnlichkeit mit den im Vorſtehenden aufgeführten geſellſchaftlichen Geſtaltungen haben, und es wäre ſomit vielleicht ihre Einbegreifung unter dieſelben zu rechtfertigen; dennoch ſcheint es richtiger, ihrer als einer ſpecifiſchen Er- ſcheinung des Staatslebens zu gedenken, (ſ. unten, § 21,) indem ſie doch lediglich nur im Staate, und zwar nur in beſtimmten Arten deſſelben, möglich ſind, ſie auch überhaupt nur in Beziehung auf ſtaatliche Beſtre- bungen und Zuſtände beſtehen. ³⁾ Die Anerkennung der Geſellſchaft als eines eigenthümlichen Lebens- kreiſes, welcher nicht zuſammenfällt weder mit dem Leben des Einzelnen noch mit Einrichtungen des Staates, hat ſowohl eine formelle als eine ſachliche Bedeutung. In erſterer Beziehung, indem ſie eine logiſch rich- tige Ordnung der Staats- und der Rechtswiſſenſchaft möglich macht und namentlich manchen Lehren, welche bisher zwiſchen Staats- und Privat- recht hin und her geſchoben wurden, weil ſie in der That keinem von beiden angehören, ihre gehörige Stellung anweist. Daß hierdurch ein ganz neues Gebäude von Wiſſenſchaften entſteht, mag beſchwerlich und ſtörend für die hergebrachten Anſchauungen ſein; es iſt dieß jedoch kein Widerlegungsgrund.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/43>, abgerufen am 29.03.2024.