Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
Körpers, namentlich die Farbe der Haut, den Gesichtswinkel, die Beschaffen-
heit der Haare u. s. w. unterscheiden. Eine solche Race kann in eine große
Anzahl einzelner Stämme zerfallen, welche bei gemeinschaftlichem Grund-
typus dennoch genealogisch vollkommen getrennt sind und deren Mitglieder
auch wohl wieder eine specifische Familienähnlichkeit in Körper und Geist
haben. Ebenso kann möglicherweise andererseits ein Stamm aus einer
ursprünglichen Vermischung verschiedener Racen sich bilden, und dann eine
Mischung von den Eigenschaften beider darbieten. -- Mit Nationalität ist
Stamm in doppelter Beziehung nicht gleichbedeutend. Einmal, insoferne
ein Volk, im politischen Sinne des Wortes, aus einer Vereinigung mancher
und möglicherweise sehr verschiedener Stämme bestehen kann, so daß die ihm
als Ganzes eigenthümlichen Eigenschaften und Neigungen keineswegs mit
denen des einzelnen Stammes zusammenfallen, sondern vielmehr gerade ein
Erzeugniß ihrer Mischung sind; wobei denn freilich eine andere Frage ist,
ob nicht ein aus Einem Stamme erwachsenes Volk, dessen Nationalität somit
auch nur eine einfache ist, große staatliche Vortheile hat. (Ein großartiges
Beispiel dieser Art bietet die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika dar, deren angelsächsischer Grundcharakter durch keltische und deutsche
Beimischung schon jetzt wesentlich verändert ist und im Laufe der Zeit
nothwendig eine ganz eigenthümliche Entwickelung erhalten muß.) Zweitens
aber darf die Nationalität insoferne nicht mit Stammeseigenthümlichkeit ver-
wechselt werden, als die eine Nationalität bildenden Eigenschaften keineswegs
sämmtlich Folgen einer gemeinschaftlichen Abstammung und also einer Körper-
und Geistesverwandtschaft sind, sondern noch durch eine Menge anderer
Ereignisse und Zustände bewerkstelligt werden, so z. B. durch gewerbliche,
staatliche, geschichtliche u. s. w. Es ist sehr wohl denkbar, daß ein und der-
selbe Stamm, wenn er sich in verschiedenen Staaten ausgebildet hat, all-
mälig sehr abweichende Nationalitäten bildet. Man nehme z. B. die
Deutschen und die Schweizer, die Holländer und die flämischen Belgier, die
Beduinen und die Fellahs.
2) Die verschiedenen Stämme der Hellenen, ebenso die verschiedenen
slavischen Stämme sind Beispiele theilweiser und beharrlicher Trennung
innerhalb einer gemeinschaftlichen Abkunft.
§ 5.
5. Die Gesellschaft.

Die Erfahrung zeigt, daß sich bei allen irgend zahlreicheren
und in der Gesittigung vorgeschritteneren Bevölkerungen manch-
fache gleichförmige Beziehungen und zum Theile bleibende Gestal-

Körpers, namentlich die Farbe der Haut, den Geſichtswinkel, die Beſchaffen-
heit der Haare u. ſ. w. unterſcheiden. Eine ſolche Race kann in eine große
Anzahl einzelner Stämme zerfallen, welche bei gemeinſchaftlichem Grund-
typus dennoch genealogiſch vollkommen getrennt ſind und deren Mitglieder
auch wohl wieder eine ſpecifiſche Familienähnlichkeit in Körper und Geiſt
haben. Ebenſo kann möglicherweiſe andererſeits ein Stamm aus einer
urſprünglichen Vermiſchung verſchiedener Racen ſich bilden, und dann eine
Miſchung von den Eigenſchaften beider darbieten. — Mit Nationalität iſt
Stamm in doppelter Beziehung nicht gleichbedeutend. Einmal, inſoferne
ein Volk, im politiſchen Sinne des Wortes, aus einer Vereinigung mancher
und möglicherweiſe ſehr verſchiedener Stämme beſtehen kann, ſo daß die ihm
als Ganzes eigenthümlichen Eigenſchaften und Neigungen keineswegs mit
denen des einzelnen Stammes zuſammenfallen, ſondern vielmehr gerade ein
Erzeugniß ihrer Miſchung ſind; wobei denn freilich eine andere Frage iſt,
ob nicht ein aus Einem Stamme erwachſenes Volk, deſſen Nationalität ſomit
auch nur eine einfache iſt, große ſtaatliche Vortheile hat. (Ein großartiges
Beiſpiel dieſer Art bietet die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika dar, deren angelſächſiſcher Grundcharakter durch keltiſche und deutſche
Beimiſchung ſchon jetzt weſentlich verändert iſt und im Laufe der Zeit
nothwendig eine ganz eigenthümliche Entwickelung erhalten muß.) Zweitens
aber darf die Nationalität inſoferne nicht mit Stammeseigenthümlichkeit ver-
wechſelt werden, als die eine Nationalität bildenden Eigenſchaften keineswegs
ſämmtlich Folgen einer gemeinſchaftlichen Abſtammung und alſo einer Körper-
und Geiſtesverwandtſchaft ſind, ſondern noch durch eine Menge anderer
Ereigniſſe und Zuſtände bewerkſtelligt werden, ſo z. B. durch gewerbliche,
ſtaatliche, geſchichtliche u. ſ. w. Es iſt ſehr wohl denkbar, daß ein und der-
ſelbe Stamm, wenn er ſich in verſchiedenen Staaten ausgebildet hat, all-
mälig ſehr abweichende Nationalitäten bildet. Man nehme z. B. die
Deutſchen und die Schweizer, die Holländer und die flämiſchen Belgier, die
Beduinen und die Fellahs.
2) Die verſchiedenen Stämme der Hellenen, ebenſo die verſchiedenen
ſlaviſchen Stämme ſind Beiſpiele theilweiſer und beharrlicher Trennung
innerhalb einer gemeinſchaftlichen Abkunft.
§ 5.
5. Die Geſellſchaft.

Die Erfahrung zeigt, daß ſich bei allen irgend zahlreicheren
und in der Geſittigung vorgeſchritteneren Bevölkerungen manch-
fache gleichförmige Beziehungen und zum Theile bleibende Geſtal-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note place="end" n="1)"><pb facs="#f0032" n="18"/>
Körpers, namentlich die Farbe der Haut, den Ge&#x017F;ichtswinkel, die Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit der Haare u. &#x017F;. w. unter&#x017F;cheiden. Eine &#x017F;olche Race kann in eine große<lb/>
Anzahl einzelner Stämme zerfallen, welche bei gemein&#x017F;chaftlichem Grund-<lb/>
typus dennoch genealogi&#x017F;ch vollkommen getrennt &#x017F;ind und deren Mitglieder<lb/>
auch wohl wieder eine &#x017F;pecifi&#x017F;che Familienähnlichkeit in Körper und Gei&#x017F;t<lb/>
haben. Eben&#x017F;o kann möglicherwei&#x017F;e anderer&#x017F;eits ein Stamm aus einer<lb/>
ur&#x017F;prünglichen Vermi&#x017F;chung ver&#x017F;chiedener Racen &#x017F;ich bilden, und dann eine<lb/>
Mi&#x017F;chung von den Eigen&#x017F;chaften beider darbieten. &#x2014; Mit Nationalität i&#x017F;t<lb/>
Stamm in doppelter Beziehung nicht gleichbedeutend. Einmal, in&#x017F;oferne<lb/>
ein Volk, im politi&#x017F;chen Sinne des Wortes, aus einer Vereinigung mancher<lb/>
und möglicherwei&#x017F;e &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedener Stämme be&#x017F;tehen kann, &#x017F;o daß die ihm<lb/>
als Ganzes eigenthümlichen Eigen&#x017F;chaften und Neigungen keineswegs mit<lb/>
denen des einzelnen Stammes zu&#x017F;ammenfallen, &#x017F;ondern vielmehr gerade ein<lb/>
Erzeugniß ihrer Mi&#x017F;chung &#x017F;ind; wobei denn freilich eine andere Frage i&#x017F;t,<lb/>
ob nicht ein aus Einem Stamme erwach&#x017F;enes Volk, de&#x017F;&#x017F;en Nationalität &#x017F;omit<lb/>
auch nur eine einfache i&#x017F;t, große &#x017F;taatliche Vortheile hat. (Ein großartiges<lb/>
Bei&#x017F;piel die&#x017F;er Art bietet die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nord-<lb/>
amerika dar, deren angel&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;cher Grundcharakter durch kelti&#x017F;che und deut&#x017F;che<lb/>
Beimi&#x017F;chung &#x017F;chon jetzt we&#x017F;entlich verändert i&#x017F;t und im Laufe der Zeit<lb/>
nothwendig eine ganz eigenthümliche Entwickelung erhalten muß.) Zweitens<lb/>
aber darf die Nationalität in&#x017F;oferne nicht mit Stammeseigenthümlichkeit ver-<lb/>
wech&#x017F;elt werden, als die eine Nationalität bildenden Eigen&#x017F;chaften keineswegs<lb/>
&#x017F;ämmtlich Folgen einer gemein&#x017F;chaftlichen Ab&#x017F;tammung und al&#x017F;o einer Körper-<lb/>
und Gei&#x017F;tesverwandt&#x017F;chaft &#x017F;ind, &#x017F;ondern noch durch eine Menge anderer<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e und Zu&#x017F;tände bewerk&#x017F;telligt werden, &#x017F;o z. B. durch gewerbliche,<lb/>
&#x017F;taatliche, ge&#x017F;chichtliche u. &#x017F;. w. Es i&#x017F;t &#x017F;ehr wohl denkbar, daß ein und der-<lb/>
&#x017F;elbe Stamm, wenn er &#x017F;ich in ver&#x017F;chiedenen Staaten ausgebildet hat, all-<lb/>
mälig &#x017F;ehr abweichende Nationalitäten bildet. Man nehme z. B. die<lb/>
Deut&#x017F;chen und die Schweizer, die Holländer und die flämi&#x017F;chen Belgier, die<lb/>
Beduinen und die Fellahs.</note><lb/>
            <note place="end" n="2)">Die ver&#x017F;chiedenen Stämme der Hellenen, eben&#x017F;o die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
&#x017F;lavi&#x017F;chen Stämme &#x017F;ind Bei&#x017F;piele theilwei&#x017F;er und beharrlicher Trennung<lb/>
innerhalb einer gemein&#x017F;chaftlichen Abkunft.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 5.<lb/><hi rendition="#b">5. Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.</hi></head><lb/>
            <p>Die Erfahrung zeigt, daß &#x017F;ich bei allen irgend zahlreicheren<lb/>
und in der Ge&#x017F;ittigung vorge&#x017F;chritteneren Bevölkerungen manch-<lb/>
fache gleichförmige Beziehungen und zum Theile bleibende Ge&#x017F;tal-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0032] ¹⁾ Körpers, namentlich die Farbe der Haut, den Geſichtswinkel, die Beſchaffen- heit der Haare u. ſ. w. unterſcheiden. Eine ſolche Race kann in eine große Anzahl einzelner Stämme zerfallen, welche bei gemeinſchaftlichem Grund- typus dennoch genealogiſch vollkommen getrennt ſind und deren Mitglieder auch wohl wieder eine ſpecifiſche Familienähnlichkeit in Körper und Geiſt haben. Ebenſo kann möglicherweiſe andererſeits ein Stamm aus einer urſprünglichen Vermiſchung verſchiedener Racen ſich bilden, und dann eine Miſchung von den Eigenſchaften beider darbieten. — Mit Nationalität iſt Stamm in doppelter Beziehung nicht gleichbedeutend. Einmal, inſoferne ein Volk, im politiſchen Sinne des Wortes, aus einer Vereinigung mancher und möglicherweiſe ſehr verſchiedener Stämme beſtehen kann, ſo daß die ihm als Ganzes eigenthümlichen Eigenſchaften und Neigungen keineswegs mit denen des einzelnen Stammes zuſammenfallen, ſondern vielmehr gerade ein Erzeugniß ihrer Miſchung ſind; wobei denn freilich eine andere Frage iſt, ob nicht ein aus Einem Stamme erwachſenes Volk, deſſen Nationalität ſomit auch nur eine einfache iſt, große ſtaatliche Vortheile hat. (Ein großartiges Beiſpiel dieſer Art bietet die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nord- amerika dar, deren angelſächſiſcher Grundcharakter durch keltiſche und deutſche Beimiſchung ſchon jetzt weſentlich verändert iſt und im Laufe der Zeit nothwendig eine ganz eigenthümliche Entwickelung erhalten muß.) Zweitens aber darf die Nationalität inſoferne nicht mit Stammeseigenthümlichkeit ver- wechſelt werden, als die eine Nationalität bildenden Eigenſchaften keineswegs ſämmtlich Folgen einer gemeinſchaftlichen Abſtammung und alſo einer Körper- und Geiſtesverwandtſchaft ſind, ſondern noch durch eine Menge anderer Ereigniſſe und Zuſtände bewerkſtelligt werden, ſo z. B. durch gewerbliche, ſtaatliche, geſchichtliche u. ſ. w. Es iſt ſehr wohl denkbar, daß ein und der- ſelbe Stamm, wenn er ſich in verſchiedenen Staaten ausgebildet hat, all- mälig ſehr abweichende Nationalitäten bildet. Man nehme z. B. die Deutſchen und die Schweizer, die Holländer und die flämiſchen Belgier, die Beduinen und die Fellahs. ²⁾ Die verſchiedenen Stämme der Hellenen, ebenſo die verſchiedenen ſlaviſchen Stämme ſind Beiſpiele theilweiſer und beharrlicher Trennung innerhalb einer gemeinſchaftlichen Abkunft. § 5. 5. Die Geſellſchaft. Die Erfahrung zeigt, daß ſich bei allen irgend zahlreicheren und in der Geſittigung vorgeſchritteneren Bevölkerungen manch- fache gleichförmige Beziehungen und zum Theile bleibende Geſtal-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/32
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/32>, abgerufen am 03.12.2024.