XXVII. Klage über den Buchstaben R. von meinem himmelblauen Mädgen.
Onennen Sie mich nie wieder Jhre zärtliche Freun- dinn. Die beyden R in diesen Wörtern kratzen mir durch die Seele, und es ist sicher ein Barbar gewesen, der die sanften Jdeen von Zärtlichkeit und Freundschaft mit einem Buchstaben zerstöret hat, der einzig und allein für das rauhe, harsche, harte und grausame gemacht ist. Wie sanft klingt dagegen das mio Bene! mio unico Bene! wie lieblich ist sein Ton und wie fein geht er durch die Seele! O mon doux ami, wenn ich Sie lieben soll, so müssen sie meine liebessieche Empfindung nie mit solchen rauhen Tönen erschrecken; sie sind mir in dem Augen- blicke, da so alles ganz an mir schmelzt, unausstehlich, und ich würde nie einen Deutschen geliebt haben, wenn er nicht in dem Worte lieben alles was ein Ton weiches und sanftes haben kann, vereiniget hätte. Jn demsel- ben glänzt Jhre liebevolle Seele durch ein feuchtes Auge, und gleitet mit Sehnen in die meinige.
Jch habe mich schon bey vielen Gelehrten erkundiget, wer zuerst die beyden Wörter zärtliche Freundinn aufge- bracht hätte. Aber Niemand hat mir diesen Barbarn nennen können; das weibliche Weib *) die Winsbeckin brauchte das letztere schon. Wahrscheinlich rührt es von
den
*) Jn dem bekannten Gedichte: Ein wiblich VVib mit Znnhten sprach Zir Tochter der si schone pflac.
G 5
XXVII. Klage uͤber den Buchſtaben R. von meinem himmelblauen Maͤdgen.
Onennen Sie mich nie wieder Jhre zaͤrtliche Freun- dinn. Die beyden R in dieſen Woͤrtern kratzen mir durch die Seele, und es iſt ſicher ein Barbar geweſen, der die ſanften Jdeen von Zaͤrtlichkeit und Freundſchaft mit einem Buchſtaben zerſtoͤret hat, der einzig und allein fuͤr das rauhe, harſche, harte und grauſame gemacht iſt. Wie ſanft klingt dagegen das mio Bene! mio unico Bene! wie lieblich iſt ſein Ton und wie fein geht er durch die Seele! O mon doux ami, wenn ich Sie lieben ſoll, ſo muͤſſen ſie meine liebesſieche Empfindung nie mit ſolchen rauhen Toͤnen erſchrecken; ſie ſind mir in dem Augen- blicke, da ſo alles ganz an mir ſchmelzt, unausſtehlich, und ich wuͤrde nie einen Deutſchen geliebt haben, wenn er nicht in dem Worte lieben alles was ein Ton weiches und ſanftes haben kann, vereiniget haͤtte. Jn demſel- ben glaͤnzt Jhre liebevolle Seele durch ein feuchtes Auge, und gleitet mit Sehnen in die meinige.
Jch habe mich ſchon bey vielen Gelehrten erkundiget, wer zuerſt die beyden Woͤrter zaͤrtliche Freundinn aufge- bracht haͤtte. Aber Niemand hat mir dieſen Barbarn nennen koͤnnen; das weibliche Weib *) die Winsbeckin brauchte das letztere ſchon. Wahrſcheinlich ruͤhrt es von
den
*) Jn dem bekannten Gedichte: Ein wiblich VVib mit Zñhten ſprach Zir Tochter der ſi ſchone pflac.
G 5
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XXVII.
Klage uͤber den Buchſtaben R. von
meinem himmelblauen Maͤdgen.
Onennen Sie mich nie wieder Jhre zaͤrtliche Freun-
dinn. Die beyden R in dieſen Woͤrtern kratzen mir
durch die Seele, und es iſt ſicher ein Barbar geweſen,
der die ſanften Jdeen von Zaͤrtlichkeit und Freundſchaft
mit einem Buchſtaben zerſtoͤret hat, der einzig und allein
fuͤr das rauhe, harſche, harte und grauſame gemacht iſt.
Wie ſanft klingt dagegen das mio Bene! mio unico Bene!
wie lieblich iſt ſein Ton und wie fein geht er durch die
Seele! O mon doux ami, wenn ich Sie lieben ſoll, ſo
muͤſſen ſie meine liebesſieche Empfindung nie mit ſolchen
rauhen Toͤnen erſchrecken; ſie ſind mir in dem Augen-
blicke, da ſo alles ganz an mir ſchmelzt, unausſtehlich,
und ich wuͤrde nie einen Deutſchen geliebt haben, wenn
er nicht in dem Worte lieben alles was ein Ton weiches
und ſanftes haben kann, vereiniget haͤtte. Jn demſel-
ben glaͤnzt Jhre liebevolle Seele durch ein feuchtes Auge,
und gleitet mit Sehnen in die meinige.
Jch habe mich ſchon bey vielen Gelehrten erkundiget,
wer zuerſt die beyden Woͤrter zaͤrtliche Freundinn aufge-
bracht haͤtte. Aber Niemand hat mir dieſen Barbarn
nennen koͤnnen; das weibliche Weib *) die Winsbeckin
brauchte das letztere ſchon. Wahrſcheinlich ruͤhrt es von
den
*) Jn dem bekannten Gedichte:
Ein wiblich VVib mit Zñhten ſprach
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/117>, abgerufen am 22.02.2025.
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