alles wird schlimmer in der Welt. Sogar die Sommer sind lange so heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer hat so viele nasse Frühjahre erlebt, als wir seit zwanzig Jah- ren gehabt haben. -- -- --
XXXIIII. Die Politick der Freundschaft.
Zu ihr hin will ich gehen; ihr sagen, daß sie die nieder- trächtigste Creatur von der Welt sey; das sie das edelste und zärtlichste Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht schändliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; diese Genugthuung will ich haben. Ich will sie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verrätherischen Brief vorlegen, und sie dann ihrer Schaam und den Bissen ihres Gewissens überlassen. ....
Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame? So bin ich gerochen.
Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß sie ihre ganze Schwäche zeigen? Das ist in der That eine sonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; sollten sie mich je beleidigen; so glau- ben Sie nicht, daß ich es Ihnen so leicht machen werde mich zu vergessen und sich zu beruhigen.
Also sollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken las- sen, Arist, daß ich so schändlich hintergangen bin?
Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch so gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch so klar seyn: so muß es der letzte Schritt unter allen seyn, seinem Freunde wissen zu lassen, daß man von seiner uns zugefügten Beleidigung
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O 3
im Stifte Oſnabruͤck.
alles wird ſchlimmer in der Welt. Sogar die Sommer ſind lange ſo heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer hat ſo viele naſſe Fruͤhjahre erlebt, als wir ſeit zwanzig Jah- ren gehabt haben. — — —
XXXIIII. Die Politick der Freundſchaft.
Zu ihr hin will ich gehen; ihr ſagen, daß ſie die nieder- traͤchtigſte Creatur von der Welt ſey; das ſie das edelſte und zaͤrtlichſte Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht ſchaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; dieſe Genugthuung will ich haben. Ich will ſie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtheriſchen Brief vorlegen, und ſie dann ihrer Schaam und den Biſſen ihres Gewiſſens uͤberlaſſen. ....
Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame? So bin ich gerochen.
Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß ſie ihre ganze Schwaͤche zeigen? Das iſt in der That eine ſonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; ſollten ſie mich je beleidigen; ſo glau- ben Sie nicht, daß ich es Ihnen ſo leicht machen werde mich zu vergeſſen und ſich zu beruhigen.
Alſo ſollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken laſ- ſen, Ariſt, daß ich ſo ſchaͤndlich hintergangen bin?
Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch ſo gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch ſo klar ſeyn: ſo muß es der letzte Schritt unter allen ſeyn, ſeinem Freunde wiſſen zu laſſen, daß man von ſeiner uns zugefuͤgten Beleidigung
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im Stifte Oſnabruͤck.
alles wird ſchlimmer in der Welt. Sogar die Sommer ſind
lange ſo heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer
hat ſo viele naſſe Fruͤhjahre erlebt, als wir ſeit zwanzig Jah-
ren gehabt haben. — — —
XXXIIII.
Die Politick der Freundſchaft.
Zu ihr hin will ich gehen; ihr ſagen, daß ſie die nieder-
traͤchtigſte Creatur von der Welt ſey; das ſie das edelſte
und zaͤrtlichſte Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine
recht ſchaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich
thun; dieſe Genugthuung will ich haben. Ich will ſie in
ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtheriſchen Brief
vorlegen, und ſie dann ihrer Schaam und den Biſſen ihres
Gewiſſens uͤberlaſſen. ....
Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame?
So bin ich gerochen.
Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß ſie ihre ganze
Schwaͤche zeigen? Das iſt in der That eine ſonderbare Rache.
O meine liebe Ißmene; ſollten ſie mich je beleidigen; ſo glau-
ben Sie nicht, daß ich es Ihnen ſo leicht machen werde mich
zu vergeſſen und ſich zu beruhigen.
Alſo ſollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken laſ-
ſen, Ariſt, daß ich ſo ſchaͤndlich hintergangen bin?
Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch ſo gerecht; das
Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch ſo klar ſeyn: ſo muß
es der letzte Schritt unter allen ſeyn, ſeinem Freunde wiſſen
zu laſſen, daß man von ſeiner uns zugefuͤgten Beleidigung
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/231>, abgerufen am 23.01.2025.
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