Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

im Stifte Osnabrück.
alles wird schlimmer in der Welt. Sogar die Sommer sind
lange so heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer
hat so viele nasse Frühjahre erlebt, als wir seit zwanzig Jah-
ren gehabt haben. -- -- --



XXXIIII.
Die Politick der Freundschaft.

Zu ihr hin will ich gehen; ihr sagen, daß sie die nieder-
trächtigste Creatur von der Welt sey; das sie das edelste
und zärtlichste Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine
recht schändliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich
thun; diese Genugthuung will ich haben. Ich will sie in
ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verrätherischen Brief
vorlegen, und sie dann ihrer Schaam und den Bissen ihres
Gewissens überlassen. ....

Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame?
So bin ich gerochen.

Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß sie ihre ganze
Schwäche zeigen? Das ist in der That eine sonderbare Rache.
O meine liebe Ißmene; sollten sie mich je beleidigen; so glau-
ben Sie nicht, daß ich es Ihnen so leicht machen werde mich
zu vergessen und sich zu beruhigen.

Also sollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken las-
sen, Arist, daß ich so schändlich hintergangen bin?

Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch so gerecht; das
Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch so klar seyn: so muß
es der letzte Schritt unter allen seyn, seinem Freunde wissen
zu lassen, daß man von seiner uns zugefügten Beleidigung

un-
O 3

im Stifte Oſnabruͤck.
alles wird ſchlimmer in der Welt. Sogar die Sommer ſind
lange ſo heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer
hat ſo viele naſſe Fruͤhjahre erlebt, als wir ſeit zwanzig Jah-
ren gehabt haben. — — —



XXXIIII.
Die Politick der Freundſchaft.

Zu ihr hin will ich gehen; ihr ſagen, daß ſie die nieder-
traͤchtigſte Creatur von der Welt ſey; das ſie das edelſte
und zaͤrtlichſte Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine
recht ſchaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich
thun; dieſe Genugthuung will ich haben. Ich will ſie in
ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtheriſchen Brief
vorlegen, und ſie dann ihrer Schaam und den Biſſen ihres
Gewiſſens uͤberlaſſen. ....

Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame?
So bin ich gerochen.

Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß ſie ihre ganze
Schwaͤche zeigen? Das iſt in der That eine ſonderbare Rache.
O meine liebe Ißmene; ſollten ſie mich je beleidigen; ſo glau-
ben Sie nicht, daß ich es Ihnen ſo leicht machen werde mich
zu vergeſſen und ſich zu beruhigen.

Alſo ſollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken laſ-
ſen, Ariſt, daß ich ſo ſchaͤndlich hintergangen bin?

Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch ſo gerecht; das
Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch ſo klar ſeyn: ſo muß
es der letzte Schritt unter allen ſeyn, ſeinem Freunde wiſſen
zu laſſen, daß man von ſeiner uns zugefuͤgten Beleidigung

un-
O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Stifte O&#x017F;nabru&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
alles wird &#x017F;chlimmer in der Welt. Sogar die Sommer &#x017F;ind<lb/>
lange &#x017F;o heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer<lb/>
hat &#x017F;o viele na&#x017F;&#x017F;e Fru&#x0364;hjahre erlebt, als wir &#x017F;eit zwanzig Jah-<lb/>
ren gehabt haben. &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XXXIIII.</hi><lb/>
Die Politick der Freund&#x017F;chaft.</hi> </head><lb/>
        <p>Zu ihr hin will ich gehen; ihr &#x017F;agen, daß &#x017F;ie die nieder-<lb/>
tra&#x0364;chtig&#x017F;te Creatur von der Welt &#x017F;ey; das &#x017F;ie das edel&#x017F;te<lb/>
und za&#x0364;rtlich&#x017F;te Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine<lb/>
recht &#x017F;cha&#x0364;ndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich<lb/>
thun; die&#x017F;e Genugthuung will ich haben. Ich will &#x017F;ie in<lb/>
ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verra&#x0364;theri&#x017F;chen Brief<lb/>
vorlegen, und &#x017F;ie dann ihrer Schaam und den Bi&#x017F;&#x017F;en ihres<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;ens u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. ....</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame?<lb/>
So bin ich gerochen.</hi> </p><lb/>
        <p>Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß &#x017F;ie ihre ganze<lb/>
Schwa&#x0364;che zeigen? Das i&#x017F;t in der That eine &#x017F;onderbare Rache.<lb/>
O meine liebe Ißmene; &#x017F;ollten &#x017F;ie mich je beleidigen; &#x017F;o glau-<lb/>
ben Sie nicht, daß ich es Ihnen &#x017F;o leicht machen werde mich<lb/>
zu verge&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich zu beruhigen.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;ollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, Ari&#x017F;t, daß ich &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlich hintergangen bin?</p><lb/>
        <p>Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch &#x017F;o gerecht; das<lb/>
Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch &#x017F;o klar &#x017F;eyn: &#x017F;o muß<lb/>
es der letzte Schritt unter allen &#x017F;eyn, &#x017F;einem Freunde wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en, daß man von &#x017F;einer uns zugefu&#x0364;gten Beleidigung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 3</fw><fw place="bottom" type="catch">un-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0231] im Stifte Oſnabruͤck. alles wird ſchlimmer in der Welt. Sogar die Sommer ſind lange ſo heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer hat ſo viele naſſe Fruͤhjahre erlebt, als wir ſeit zwanzig Jah- ren gehabt haben. — — — XXXIIII. Die Politick der Freundſchaft. Zu ihr hin will ich gehen; ihr ſagen, daß ſie die nieder- traͤchtigſte Creatur von der Welt ſey; das ſie das edelſte und zaͤrtlichſte Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht ſchaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; dieſe Genugthuung will ich haben. Ich will ſie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtheriſchen Brief vorlegen, und ſie dann ihrer Schaam und den Biſſen ihres Gewiſſens uͤberlaſſen. .... Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame? So bin ich gerochen. Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß ſie ihre ganze Schwaͤche zeigen? Das iſt in der That eine ſonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; ſollten ſie mich je beleidigen; ſo glau- ben Sie nicht, daß ich es Ihnen ſo leicht machen werde mich zu vergeſſen und ſich zu beruhigen. Alſo ſollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken laſ- ſen, Ariſt, daß ich ſo ſchaͤndlich hintergangen bin? Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch ſo gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch ſo klar ſeyn: ſo muß es der letzte Schritt unter allen ſeyn, ſeinem Freunde wiſſen zu laſſen, daß man von ſeiner uns zugefuͤgten Beleidigung un- O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/231
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/231>, abgerufen am 03.12.2024.