Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Charis und Penia.

A.

Seht doch den Schläfer dort in's Gras gestreckt!
Es ist des Gauklers Sohn, der schöne Knabe,
Den gestern wir so lieblich tanzen sahn.
Für jezt das bunte Jäckchen abgeworfen,
Den Schatten suchend vor der Mittagsschwüle,
Warf er sich in des Wirthes Garten, faul.
Hier unter den Syringenbusch.

B.

Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied;
Nur bei den Knöcheln schmiegen sich die Füße,
Das rothe Paar der Stiefeln, um einander,
Dem Blüthenknopfe des Granatbaums gleich,
Der eben aufzubrechen Willens ist;
Es scheinen seine Füße wie zum Tanz
In jedem Augenblicke sich zu öffnen.

C.

Es ist, als athmen sie im Schlafe selbst
Den holden Geist des Tanzes! Ja gewiß,
Er träumt Musik zu hören.

A.

Aber seht,
Wie rührend spricht aus diesen fremden Zügen
Jezt offne, reine Menschlichkeit sich aus!
Charis und Penia.

A.

Seht doch den Schlaͤfer dort in's Gras geſtreckt!
Es iſt des Gauklers Sohn, der ſchoͤne Knabe,
Den geſtern wir ſo lieblich tanzen ſahn.
Fuͤr jezt das bunte Jaͤckchen abgeworfen,
Den Schatten ſuchend vor der Mittagsſchwuͤle,
Warf er ſich in des Wirthes Garten, faul.
Hier unter den Syringenbuſch.

B.

Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied;
Nur bei den Knoͤcheln ſchmiegen ſich die Fuͤße,
Das rothe Paar der Stiefeln, um einander,
Dem Bluͤthenknopfe des Granatbaums gleich,
Der eben aufzubrechen Willens iſt;
Es ſcheinen ſeine Fuͤße wie zum Tanz
In jedem Augenblicke ſich zu oͤffnen.

C.

Es iſt, als athmen ſie im Schlafe ſelbſt
Den holden Geiſt des Tanzes! Ja gewiß,
Er traͤumt Muſik zu hoͤren.

A.

Aber ſeht,
Wie ruͤhrend ſpricht aus dieſen fremden Zuͤgen
Jezt offne, reine Menſchlichkeit ſich aus!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0222" n="206"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Charis und Penia.</hi><lb/>
        </head>
        <p rendition="#c">A.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Seht doch den Schla&#x0364;fer dort in's Gras ge&#x017F;treckt!</l><lb/>
          <l>Es i&#x017F;t des Gauklers Sohn, der &#x017F;cho&#x0364;ne Knabe,</l><lb/>
          <l>Den ge&#x017F;tern wir &#x017F;o lieblich tanzen &#x017F;ahn.</l><lb/>
          <l>Fu&#x0364;r jezt das bunte Ja&#x0364;ckchen abgeworfen,</l><lb/>
          <l>Den Schatten &#x017F;uchend vor der Mittags&#x017F;chwu&#x0364;le,</l><lb/>
          <l>Warf er &#x017F;ich in des Wirthes Garten, faul.</l><lb/>
          <l>Hier unter den Syringenbu&#x017F;ch.</l><lb/>
        </lg>
        <p rendition="#c">B.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied;</l><lb/>
          <l>Nur bei den Kno&#x0364;cheln &#x017F;chmiegen &#x017F;ich die Fu&#x0364;ße,</l><lb/>
          <l>Das rothe Paar der Stiefeln, um einander,</l><lb/>
          <l>Dem Blu&#x0364;thenknopfe des Granatbaums gleich,</l><lb/>
          <l>Der eben aufzubrechen Willens i&#x017F;t;</l><lb/>
          <l>Es &#x017F;cheinen &#x017F;eine Fu&#x0364;ße wie zum Tanz</l><lb/>
          <l>In jedem Augenblicke &#x017F;ich zu o&#x0364;ffnen.</l><lb/>
        </lg>
        <p rendition="#c">C.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Es i&#x017F;t, als athmen &#x017F;ie im Schlafe &#x017F;elb&#x017F;t</l><lb/>
          <l>Den holden Gei&#x017F;t des Tanzes! Ja gewiß,</l><lb/>
          <l>Er tra&#x0364;umt Mu&#x017F;ik zu ho&#x0364;ren.</l><lb/>
        </lg>
        <p rendition="#c">A.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Aber &#x017F;eht,</l><lb/>
            <l>Wie ru&#x0364;hrend &#x017F;pricht aus die&#x017F;en fremden Zu&#x0364;gen</l><lb/>
            <l>Jezt offne, reine Men&#x017F;chlichkeit &#x017F;ich aus!</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0222] Charis und Penia. A. Seht doch den Schlaͤfer dort in's Gras geſtreckt! Es iſt des Gauklers Sohn, der ſchoͤne Knabe, Den geſtern wir ſo lieblich tanzen ſahn. Fuͤr jezt das bunte Jaͤckchen abgeworfen, Den Schatten ſuchend vor der Mittagsſchwuͤle, Warf er ſich in des Wirthes Garten, faul. Hier unter den Syringenbuſch. B. Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied; Nur bei den Knoͤcheln ſchmiegen ſich die Fuͤße, Das rothe Paar der Stiefeln, um einander, Dem Bluͤthenknopfe des Granatbaums gleich, Der eben aufzubrechen Willens iſt; Es ſcheinen ſeine Fuͤße wie zum Tanz In jedem Augenblicke ſich zu oͤffnen. C. Es iſt, als athmen ſie im Schlafe ſelbſt Den holden Geiſt des Tanzes! Ja gewiß, Er traͤumt Muſik zu hoͤren. A. Aber ſeht, Wie ruͤhrend ſpricht aus dieſen fremden Zuͤgen Jezt offne, reine Menſchlichkeit ſich aus!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/222
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/222>, abgerufen am 03.12.2024.