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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Liebe! Gott, warum muste sie doch so belohnt wer-
den? Leb ewig wohl! Jch kann nichts schreiben.
Meine Säfte stocken. Aber reden mußt' ich. Wenn
Du Bothschaft hörst: Er ist todt, dann jauchze
laut auf, und sag: Er ist glücklich. -- Ach The-
rese, wenn Du doch auch stürbest! Es ist so was
süsses um den Tod, und wir sind so elend. Stürbst
Du doch mit Deinem

Kronhelm.

Die Bewegung, in die unser Siegwart durch
diese beyden Briefe gerieth, kann man sich mehr
vorstellen, als beschreiben. Anfangs war er ganz
betäubt, und konnte es kaum glauben; zuletzt brach
sein Schmerz in laute Klagen und in Thränen
aus. Nach der ersten heftigen Erschütterung fieng
er an, Plane zu machen, ob sein Freund nicht noch
zu retten sey? Erst beschloß er, nach Günzburg zu
reiten, und, wo möglich, seinen Freund noch zu-
rück zu halten. Aber, was sollte er ihm sagen?
Welche Gründe hatte er, durch die er ihn zurück
halten könnte? Und der Weg war weit. Vie-
leicht war sein Freund indessen schon abgereist.
Endlich, nach tausend Entwürfen, die im ersten
Augenblick annehmlich schienen, und im zweyten



Liebe! Gott, warum muſte ſie doch ſo belohnt wer-
den? Leb ewig wohl! Jch kann nichts ſchreiben.
Meine Saͤfte ſtocken. Aber reden mußt’ ich. Wenn
Du Bothſchaft hoͤrſt: Er iſt todt, dann jauchze
laut auf, und ſag: Er iſt gluͤcklich. — Ach The-
reſe, wenn Du doch auch ſtuͤrbeſt! Es iſt ſo was
ſuͤſſes um den Tod, und wir ſind ſo elend. Stuͤrbſt
Du doch mit Deinem

Kronhelm.

Die Bewegung, in die unſer Siegwart durch
dieſe beyden Briefe gerieth, kann man ſich mehr
vorſtellen, als beſchreiben. Anfangs war er ganz
betaͤubt, und konnte es kaum glauben; zuletzt brach
ſein Schmerz in laute Klagen und in Thraͤnen
aus. Nach der erſten heftigen Erſchuͤtterung fieng
er an, Plane zu machen, ob ſein Freund nicht noch
zu retten ſey? Erſt beſchloß er, nach Guͤnzburg zu
reiten, und, wo moͤglich, ſeinen Freund noch zu-
ruͤck zu halten. Aber, was ſollte er ihm ſagen?
Welche Gruͤnde hatte er, durch die er ihn zuruͤck
halten koͤnnte? Und der Weg war weit. Vie-
leicht war ſein Freund indeſſen ſchon abgereiſt.
Endlich, nach tauſend Entwuͤrfen, die im erſten
Augenblick annehmlich ſchienen, und im zweyten

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[776/0356] Liebe! Gott, warum muſte ſie doch ſo belohnt wer- den? Leb ewig wohl! Jch kann nichts ſchreiben. Meine Saͤfte ſtocken. Aber reden mußt’ ich. Wenn Du Bothſchaft hoͤrſt: Er iſt todt, dann jauchze laut auf, und ſag: Er iſt gluͤcklich. — Ach The- reſe, wenn Du doch auch ſtuͤrbeſt! Es iſt ſo was ſuͤſſes um den Tod, und wir ſind ſo elend. Stuͤrbſt Du doch mit Deinem Kronhelm. Die Bewegung, in die unſer Siegwart durch dieſe beyden Briefe gerieth, kann man ſich mehr vorſtellen, als beſchreiben. Anfangs war er ganz betaͤubt, und konnte es kaum glauben; zuletzt brach ſein Schmerz in laute Klagen und in Thraͤnen aus. Nach der erſten heftigen Erſchuͤtterung fieng er an, Plane zu machen, ob ſein Freund nicht noch zu retten ſey? Erſt beſchloß er, nach Guͤnzburg zu reiten, und, wo moͤglich, ſeinen Freund noch zu- ruͤck zu halten. Aber, was ſollte er ihm ſagen? Welche Gruͤnde hatte er, durch die er ihn zuruͤck halten koͤnnte? Und der Weg war weit. Vie- leicht war ſein Freund indeſſen ſchon abgereiſt. Endlich, nach tauſend Entwuͤrfen, die im erſten Augenblick annehmlich ſchienen, und im zweyten

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/356>, abgerufen am 26.04.2024.