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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ist ein harter Mann, sagte der geheime Rath.
Jch will ernstlich mit ihm reden. Morgen reis
ich zu ihm. Wenn er nicht nachgiebt, so nehm
ich mich meines Vetters an; ich kann ihm schon
Vermögen geben, denn ich habe keine Kinder. --
Dann redete er mit unserm Vater allerley ab.
Mir sagte er, ich sollte guten Muth fassen, und
mich gar nichts anfechten lassen; sein Vetter müsse
mein seyn! und was er sonst noch schönes sagte,
das ich vor Freuden nicht alle merken konnte. Er
versprach, in etlich Wochen Richtigkeit zu machen,
und dem lieben Vater, und mir selbst zu schreiben.
Gegen Abend fuhr er wieder weg. Unsern Vater
umarmte er, wie ein Bruder den andern; und mich
küßte er auf die Backe, und sagte: Mein Vetter
wird doch nicht eifersüchtig werden? Wir schickten
ihm 1000 heisse Segenswünsche nach.

O Bruder, ich kann dir nicht sagen, was alles
in mir vorgeht? Es ist, als ob ich ein ganz neues
Leben anfienge. Die Welt hat sich um mich her
verändert. Die Thränen stehen mir immer in
den Augen, und ich kanns noch kaum glauben,
was sich mit mir zugetragen hat. Meinen Kron-
helm, meinen ewig, ewig theuren Kronhelm soil
ich wieder haben! Grosser Gott! Meine Leiden



iſt ein harter Mann, ſagte der geheime Rath.
Jch will ernſtlich mit ihm reden. Morgen reis
ich zu ihm. Wenn er nicht nachgiebt, ſo nehm
ich mich meines Vetters an; ich kann ihm ſchon
Vermoͤgen geben, denn ich habe keine Kinder. —
Dann redete er mit unſerm Vater allerley ab.
Mir ſagte er, ich ſollte guten Muth faſſen, und
mich gar nichts anfechten laſſen; ſein Vetter muͤſſe
mein ſeyn! und was er ſonſt noch ſchoͤnes ſagte,
das ich vor Freuden nicht alle merken konnte. Er
verſprach, in etlich Wochen Richtigkeit zu machen,
und dem lieben Vater, und mir ſelbſt zu ſchreiben.
Gegen Abend fuhr er wieder weg. Unſern Vater
umarmte er, wie ein Bruder den andern; und mich
kuͤßte er auf die Backe, und ſagte: Mein Vetter
wird doch nicht eiferſuͤchtig werden? Wir ſchickten
ihm 1000 heiſſe Segenswuͤnſche nach.

O Bruder, ich kann dir nicht ſagen, was alles
in mir vorgeht? Es iſt, als ob ich ein ganz neues
Leben anfienge. Die Welt hat ſich um mich her
veraͤndert. Die Thraͤnen ſtehen mir immer in
den Augen, und ich kanns noch kaum glauben,
was ſich mit mir zugetragen hat. Meinen Kron-
helm, meinen ewig, ewig theuren Kronhelm ſoil
ich wieder haben! Groſſer Gott! Meine Leiden

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[759/0339] iſt ein harter Mann, ſagte der geheime Rath. Jch will ernſtlich mit ihm reden. Morgen reis ich zu ihm. Wenn er nicht nachgiebt, ſo nehm ich mich meines Vetters an; ich kann ihm ſchon Vermoͤgen geben, denn ich habe keine Kinder. — Dann redete er mit unſerm Vater allerley ab. Mir ſagte er, ich ſollte guten Muth faſſen, und mich gar nichts anfechten laſſen; ſein Vetter muͤſſe mein ſeyn! und was er ſonſt noch ſchoͤnes ſagte, das ich vor Freuden nicht alle merken konnte. Er verſprach, in etlich Wochen Richtigkeit zu machen, und dem lieben Vater, und mir ſelbſt zu ſchreiben. Gegen Abend fuhr er wieder weg. Unſern Vater umarmte er, wie ein Bruder den andern; und mich kuͤßte er auf die Backe, und ſagte: Mein Vetter wird doch nicht eiferſuͤchtig werden? Wir ſchickten ihm 1000 heiſſe Segenswuͤnſche nach. O Bruder, ich kann dir nicht ſagen, was alles in mir vorgeht? Es iſt, als ob ich ein ganz neues Leben anfienge. Die Welt hat ſich um mich her veraͤndert. Die Thraͤnen ſtehen mir immer in den Augen, und ich kanns noch kaum glauben, was ſich mit mir zugetragen hat. Meinen Kron- helm, meinen ewig, ewig theuren Kronhelm ſoil ich wieder haben! Groſſer Gott! Meine Leiden

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/339>, abgerufen am 27.04.2024.