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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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so voll. Endlich kam er aufs Konzert zu sprechen.
Er fühlte, daß sein Gespräch kalt und gleichgültig
sey; er wollte was anders anfangen, und unter-
hielt sich doch davon ganz allein mit ihr, bis sie
an das bestimmte Dorf kamen. Hier blieben sie
nur eine kleine Stunde, und bedienten das Frauen-
zimmer mit Kaffee. Die Studenten trunken ein
Glas Wein. Dieses machte, daß Siegwart auf der
Rückfahrt etwas minder schüchtern war. Er führ-
te seine Mariane an den Schlitten, und wagte es,
ein paarmal ihr die Hand zu drücken. Sie sah
ihn an, und lächelte mit einer Wehmuth,
die schnell, wie ein Blitz, in seine Seele
übergieng, und ihn die Augen niederzuschlagen
zwang. Der Abend war der schönste. Die ganze
Gegend war ins weisse schweigende Gewand des
Winters eingehüllt, und stimmte die Seele zum
wehmüthigfeyerlichen. Die Sonne gieng, wie
das reinste, durchsichtigste Gold am Horizont
hinab, und breitete am Himmel eine unbeschreib-
liche Heiterkeit aus. Als sie, am schwarzen Wald
hinab, tiefer in die Dünste sank, ward sie blutroth,
und färbte durch ihren Wiederschein den halben Him-
mel mit Violet und Rosenroth. Marianens Ge-
sicht glänzte in dem sanften Wiederschein des Him-



ſo voll. Endlich kam er aufs Konzert zu ſprechen.
Er fuͤhlte, daß ſein Geſpraͤch kalt und gleichguͤltig
ſey; er wollte was anders anfangen, und unter-
hielt ſich doch davon ganz allein mit ihr, bis ſie
an das beſtimmte Dorf kamen. Hier blieben ſie
nur eine kleine Stunde, und bedienten das Frauen-
zimmer mit Kaffee. Die Studenten trunken ein
Glas Wein. Dieſes machte, daß Siegwart auf der
Ruͤckfahrt etwas minder ſchuͤchtern war. Er fuͤhr-
te ſeine Mariane an den Schlitten, und wagte es,
ein paarmal ihr die Hand zu druͤcken. Sie ſah
ihn an, und laͤchelte mit einer Wehmuth,
die ſchnell, wie ein Blitz, in ſeine Seele
uͤbergieng, und ihn die Augen niederzuſchlagen
zwang. Der Abend war der ſchoͤnſte. Die ganze
Gegend war ins weiſſe ſchweigende Gewand des
Winters eingehuͤllt, und ſtimmte die Seele zum
wehmuͤthigfeyerlichen. Die Sonne gieng, wie
das reinſte, durchſichtigſte Gold am Horizont
hinab, und breitete am Himmel eine unbeſchreib-
liche Heiterkeit aus. Als ſie, am ſchwarzen Wald
hinab, tiefer in die Duͤnſte ſank, ward ſie blutroth,
und faͤrbte durch ihren Wiederſchein den halben Him-
mel mit Violet und Roſenroth. Marianens Ge-
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[661/0241] ſo voll. Endlich kam er aufs Konzert zu ſprechen. Er fuͤhlte, daß ſein Geſpraͤch kalt und gleichguͤltig ſey; er wollte was anders anfangen, und unter- hielt ſich doch davon ganz allein mit ihr, bis ſie an das beſtimmte Dorf kamen. Hier blieben ſie nur eine kleine Stunde, und bedienten das Frauen- zimmer mit Kaffee. Die Studenten trunken ein Glas Wein. Dieſes machte, daß Siegwart auf der Ruͤckfahrt etwas minder ſchuͤchtern war. Er fuͤhr- te ſeine Mariane an den Schlitten, und wagte es, ein paarmal ihr die Hand zu druͤcken. Sie ſah ihn an, und laͤchelte mit einer Wehmuth, die ſchnell, wie ein Blitz, in ſeine Seele uͤbergieng, und ihn die Augen niederzuſchlagen zwang. Der Abend war der ſchoͤnſte. Die ganze Gegend war ins weiſſe ſchweigende Gewand des Winters eingehuͤllt, und ſtimmte die Seele zum wehmuͤthigfeyerlichen. Die Sonne gieng, wie das reinſte, durchſichtigſte Gold am Horizont hinab, und breitete am Himmel eine unbeſchreib- liche Heiterkeit aus. Als ſie, am ſchwarzen Wald hinab, tiefer in die Duͤnſte ſank, ward ſie blutroth, und faͤrbte durch ihren Wiederſchein den halben Him- mel mit Violet und Roſenroth. Marianens Ge- ſicht glaͤnzte in dem ſanften Wiederſchein des Him-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/241>, abgerufen am 26.04.2024.