Kronhelm zu erkundigen, wagte er gar nicht. Als sie ausserhalb der Stadt waren, so fieng Kronhelm an: Du bist ja ganz ausser dir gewesen in der Kir- che, und hast mich nicht bemerkt, ob ich gleich eine halbe Viertelstunde neben dir kniete. -- Wer? Jch? ... stotterte Siegwart. Recht! ich war so in der Andacht; weil ich an meinen Vater dachte... Weil er gesund worden ist... Und da dankt ich Gott -- -- und da konnt ich dich nicht sehen... Ja, ich war ganz vertieft... Hab dich warlich nicht bemerkt. ... Es kam gewiß nur daher... u. s. w.
Der helle Herbstmorgen machte auf sein ofnes Herz den tiefsten Eindruck. Die bleichgelben Blät- ter, deren eins nach dem andern von den Bäumen herabfiel; das Rauschen der verdorrten Blätter im Gesträuch; der halb durchsichtige Hain; die einzeln drinn herum fliegenden Vögel; die, auf der Wiese sparsam zerstreuten Herbstblümchen; alles brachte ihm das süsse Bild des Todes in die Seele. Er fühlte eine dunkle Sehnsucht, sich hinzulegen und zu sterben. Sein Herz ward erweitert, und Thrä- nen stunden ihm in den Augen. Kronhelm hatte eben dieses Gefühl; beyde schwiegen. Noch nie hab ich so lebhaft und so ruhig an Theresen gedacht, fieng endlich Kronhelm an; Noch nie eine so süsse
Kronhelm zu erkundigen, wagte er gar nicht. Als ſie auſſerhalb der Stadt waren, ſo fieng Kronhelm an: Du biſt ja ganz auſſer dir geweſen in der Kir- che, und haſt mich nicht bemerkt, ob ich gleich eine halbe Viertelſtunde neben dir kniete. — Wer? Jch? … ſtotterte Siegwart. Recht! ich war ſo in der Andacht; weil ich an meinen Vater dachte… Weil er geſund worden iſt… Und da dankt ich Gott — — und da konnt ich dich nicht ſehen… Ja, ich war ganz vertieft… Hab dich warlich nicht bemerkt. … Es kam gewiß nur daher… u. ſ. w.
Der helle Herbſtmorgen machte auf ſein ofnes Herz den tiefſten Eindruck. Die bleichgelben Blaͤt- ter, deren eins nach dem andern von den Baͤumen herabfiel; das Rauſchen der verdorrten Blaͤtter im Geſtraͤuch; der halb durchſichtige Hain; die einzeln drinn herum fliegenden Voͤgel; die, auf der Wieſe ſparſam zerſtreuten Herbſtbluͤmchen; alles brachte ihm das ſuͤſſe Bild des Todes in die Seele. Er fuͤhlte eine dunkle Sehnſucht, ſich hinzulegen und zu ſterben. Sein Herz ward erweitert, und Thraͤ- nen ſtunden ihm in den Augen. Kronhelm hatte eben dieſes Gefuͤhl; beyde ſchwiegen. Noch nie hab ich ſo lebhaft und ſo ruhig an Thereſen gedacht, fieng endlich Kronhelm an; Noch nie eine ſo ſuͤſſe
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Kronhelm zu erkundigen, wagte er gar nicht. Als
ſie auſſerhalb der Stadt waren, ſo fieng Kronhelm
an: Du biſt ja ganz auſſer dir geweſen in der Kir-
che, und haſt mich nicht bemerkt, ob ich gleich eine
halbe Viertelſtunde neben dir kniete. — Wer? Jch?
… ſtotterte Siegwart. Recht! ich war ſo in der
Andacht; weil ich an meinen Vater dachte…
Weil er geſund worden iſt… Und da dankt ich
Gott — — und da konnt ich dich nicht ſehen…
Ja, ich war ganz vertieft… Hab dich warlich nicht
bemerkt. … Es kam gewiß nur daher… u. ſ. w.
Der helle Herbſtmorgen machte auf ſein ofnes
Herz den tiefſten Eindruck. Die bleichgelben Blaͤt-
ter, deren eins nach dem andern von den Baͤumen
herabfiel; das Rauſchen der verdorrten Blaͤtter im
Geſtraͤuch; der halb durchſichtige Hain; die einzeln
drinn herum fliegenden Voͤgel; die, auf der Wieſe
ſparſam zerſtreuten Herbſtbluͤmchen; alles brachte
ihm das ſuͤſſe Bild des Todes in die Seele. Er
fuͤhlte eine dunkle Sehnſucht, ſich hinzulegen und
zu ſterben. Sein Herz ward erweitert, und Thraͤ-
nen ſtunden ihm in den Augen. Kronhelm hatte
eben dieſes Gefuͤhl; beyde ſchwiegen. Noch nie
hab ich ſo lebhaft und ſo ruhig an Thereſen gedacht,
fieng endlich Kronhelm an; Noch nie eine ſo ſuͤſſe
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/159>, abgerufen am 26.04.2024.
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