Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Zimmer zubrachte. Dieser sprach beständig nur
von Theresen. Siegwart muste ganze Abende durch
mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt selbst
wenig von ihr wuste; denn sie schrieb seltener, als
sonst, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg-
wart hätte so gern seinem Freund eine Neigung
ausgeredet, die allem Anschein nach nie einen glück-
lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er sich
nur von fern etwas dergleichen merken ließ, so
ward Kronhelm böse oder traurig, und argwohn-
te, daß er nicht sein Freund mehr sey. Zerstreuen
ließ er sich auch wenig, denn er saß bey den schön-
sten Frühlingstagen fast immer zu Hause, und
wollte nicht einmal gern Musik machen, wenn
Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus,
und kam er nicht sogleich wieder heim, so ward er
drüber unruhig und unzufrieden. Er wollte den
Bruder seiner Therese beständig um sich haben, und
sagte ihm oft, daß die Freundschaft so wohl eifer-
süchtig sey, als die Liebe. Siegwart, der ihn
so unaussprechlich liebte, fügte sich ganz in seine
Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm
alles zu Gefallen.

Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart,
der auf der Schule durch seinen Fleiß schon so weit



Zimmer zubrachte. Dieſer ſprach beſtaͤndig nur
von Thereſen. Siegwart muſte ganze Abende durch
mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt ſelbſt
wenig von ihr wuſte; denn ſie ſchrieb ſeltener, als
ſonſt, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg-
wart haͤtte ſo gern ſeinem Freund eine Neigung
ausgeredet, die allem Anſchein nach nie einen gluͤck-
lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er ſich
nur von fern etwas dergleichen merken ließ, ſo
ward Kronhelm boͤſe oder traurig, und argwohn-
te, daß er nicht ſein Freund mehr ſey. Zerſtreuen
ließ er ſich auch wenig, denn er ſaß bey den ſchoͤn-
ſten Fruͤhlingstagen faſt immer zu Hauſe, und
wollte nicht einmal gern Muſik machen, wenn
Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus,
und kam er nicht ſogleich wieder heim, ſo ward er
druͤber unruhig und unzufrieden. Er wollte den
Bruder ſeiner Thereſe beſtaͤndig um ſich haben, und
ſagte ihm oft, daß die Freundſchaft ſo wohl eifer-
ſuͤchtig ſey, als die Liebe. Siegwart, der ihn
ſo unausſprechlich liebte, fuͤgte ſich ganz in ſeine
Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm
alles zu Gefallen.

Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart,
der auf der Schule durch ſeinen Fleiß ſchon ſo weit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="560"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Zimmer zubrachte. Die&#x017F;er &#x017F;prach be&#x017F;ta&#x0364;ndig nur<lb/>
von There&#x017F;en. Siegwart mu&#x017F;te ganze Abende durch<lb/>
mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wenig von ihr wu&#x017F;te; denn &#x017F;ie &#x017F;chrieb &#x017F;eltener, als<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg-<lb/>
wart ha&#x0364;tte &#x017F;o gern &#x017F;einem Freund eine Neigung<lb/>
ausgeredet, die allem An&#x017F;chein nach nie einen glu&#x0364;ck-<lb/>
lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er &#x017F;ich<lb/>
nur von fern etwas dergleichen merken ließ, &#x017F;o<lb/>
ward Kronhelm bo&#x0364;&#x017F;e oder traurig, und argwohn-<lb/>
te, daß er nicht &#x017F;ein Freund mehr &#x017F;ey. Zer&#x017F;treuen<lb/>
ließ er &#x017F;ich auch wenig, denn er &#x017F;aß bey den &#x017F;cho&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;ten Fru&#x0364;hlingstagen fa&#x017F;t immer zu Hau&#x017F;e, und<lb/>
wollte nicht einmal gern Mu&#x017F;ik machen, wenn<lb/>
Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus,<lb/>
und kam er nicht &#x017F;ogleich wieder heim, &#x017F;o ward er<lb/>
dru&#x0364;ber unruhig und unzufrieden. Er wollte den<lb/>
Bruder &#x017F;einer There&#x017F;e be&#x017F;ta&#x0364;ndig um &#x017F;ich haben, und<lb/>
&#x017F;agte ihm oft, daß die Freund&#x017F;chaft &#x017F;o wohl eifer-<lb/>
&#x017F;u&#x0364;chtig &#x017F;ey, als die Liebe. Siegwart, der ihn<lb/>
&#x017F;o unaus&#x017F;prechlich liebte, fu&#x0364;gte &#x017F;ich ganz in &#x017F;eine<lb/>
Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm<lb/>
alles zu Gefallen.</p><lb/>
        <p>Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart,<lb/>
der auf der Schule durch &#x017F;einen Fleiß &#x017F;chon &#x017F;o weit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[560/0140] Zimmer zubrachte. Dieſer ſprach beſtaͤndig nur von Thereſen. Siegwart muſte ganze Abende durch mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt ſelbſt wenig von ihr wuſte; denn ſie ſchrieb ſeltener, als ſonſt, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg- wart haͤtte ſo gern ſeinem Freund eine Neigung ausgeredet, die allem Anſchein nach nie einen gluͤck- lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er ſich nur von fern etwas dergleichen merken ließ, ſo ward Kronhelm boͤſe oder traurig, und argwohn- te, daß er nicht ſein Freund mehr ſey. Zerſtreuen ließ er ſich auch wenig, denn er ſaß bey den ſchoͤn- ſten Fruͤhlingstagen faſt immer zu Hauſe, und wollte nicht einmal gern Muſik machen, wenn Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus, und kam er nicht ſogleich wieder heim, ſo ward er druͤber unruhig und unzufrieden. Er wollte den Bruder ſeiner Thereſe beſtaͤndig um ſich haben, und ſagte ihm oft, daß die Freundſchaft ſo wohl eifer- ſuͤchtig ſey, als die Liebe. Siegwart, der ihn ſo unausſprechlich liebte, fuͤgte ſich ganz in ſeine Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm alles zu Gefallen. Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart, der auf der Schule durch ſeinen Fleiß ſchon ſo weit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/140
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/140>, abgerufen am 26.04.2024.