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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Jndem kam ein Kapuziner an den Postwagen,
und bat den Schwager, ihn doch einzunehmen,
weil er sehr ermüdet, und von der langen Reise
halb krank sey. Meinetwegen wol, sagte der Post-
knecht, wenns die Herren da zufrieden sind. So-
gleich machte Siegwart den Schlag auf, und ließ
den Kapuziner ein. Er setzte sich neben Kaspar,
der sich ängstlich vor ihm zurück zog. Bleib er sitzen,
junger Herr! sagte Siegwart, und schlag er sei-
nen Mantel mit um den Ehrwürdigen Herrn her-
um! Er sieht ja, daß er halb erfroren ist. Kas-
par thats halb unwillig, und der Kapuziner sah
unsern Siegwart dankbar an. -- Wo geht denn
die Reise bey den jungen Herren hin? fragte er. --
Nach Jngolstadt, war die Antwort. -- So? da-
hin will ich auch. Will Gott recht danken, wenn
ich da bin; denn nun marschir ich schon seit fünf
Tagen aus dem Frankenland heraus. Jch glaubt'
oft, ich könnt's kaum mehr aushalten. -- War-
um gehn Sie denn bey dieser veränderlichen Jahrs-
zeit so weit, Herr Pater? fragte Siegwart. --
Ach, was thut man nicht um des lieben Gehor-
sams willen! antwortete er. Jch habe Geschäfte
für meinen Provinzial gehabt. Freylich kommt
michs hart an, da ich schon seit Jahr und Tag



Jndem kam ein Kapuziner an den Poſtwagen,
und bat den Schwager, ihn doch einzunehmen,
weil er ſehr ermuͤdet, und von der langen Reiſe
halb krank ſey. Meinetwegen wol, ſagte der Poſt-
knecht, wenns die Herren da zufrieden ſind. So-
gleich machte Siegwart den Schlag auf, und ließ
den Kapuziner ein. Er ſetzte ſich neben Kaſpar,
der ſich aͤngſtlich vor ihm zuruͤck zog. Bleib er ſitzen,
junger Herr! ſagte Siegwart, und ſchlag er ſei-
nen Mantel mit um den Ehrwuͤrdigen Herrn her-
um! Er ſieht ja, daß er halb erfroren iſt. Kas-
par thats halb unwillig, und der Kapuziner ſah
unſern Siegwart dankbar an. — Wo geht denn
die Reiſe bey den jungen Herren hin? fragte er. —
Nach Jngolſtadt, war die Antwort. — So? da-
hin will ich auch. Will Gott recht danken, wenn
ich da bin; denn nun marſchir ich ſchon ſeit fuͤnf
Tagen aus dem Frankenland heraus. Jch glaubt’
oft, ich koͤnnt’s kaum mehr aushalten. — War-
um gehn Sie denn bey dieſer veraͤnderlichen Jahrs-
zeit ſo weit, Herr Pater? fragte Siegwart. —
Ach, was thut man nicht um des lieben Gehor-
ſams willen! antwortete er. Jch habe Geſchaͤfte
fuͤr meinen Provinzial gehabt. Freylich kommt
michs hart an, da ich ſchon ſeit Jahr und Tag

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[550/0130] Jndem kam ein Kapuziner an den Poſtwagen, und bat den Schwager, ihn doch einzunehmen, weil er ſehr ermuͤdet, und von der langen Reiſe halb krank ſey. Meinetwegen wol, ſagte der Poſt- knecht, wenns die Herren da zufrieden ſind. So- gleich machte Siegwart den Schlag auf, und ließ den Kapuziner ein. Er ſetzte ſich neben Kaſpar, der ſich aͤngſtlich vor ihm zuruͤck zog. Bleib er ſitzen, junger Herr! ſagte Siegwart, und ſchlag er ſei- nen Mantel mit um den Ehrwuͤrdigen Herrn her- um! Er ſieht ja, daß er halb erfroren iſt. Kas- par thats halb unwillig, und der Kapuziner ſah unſern Siegwart dankbar an. — Wo geht denn die Reiſe bey den jungen Herren hin? fragte er. — Nach Jngolſtadt, war die Antwort. — So? da- hin will ich auch. Will Gott recht danken, wenn ich da bin; denn nun marſchir ich ſchon ſeit fuͤnf Tagen aus dem Frankenland heraus. Jch glaubt’ oft, ich koͤnnt’s kaum mehr aushalten. — War- um gehn Sie denn bey dieſer veraͤnderlichen Jahrs- zeit ſo weit, Herr Pater? fragte Siegwart. — Ach, was thut man nicht um des lieben Gehor- ſams willen! antwortete er. Jch habe Geſchaͤfte fuͤr meinen Provinzial gehabt. Freylich kommt michs hart an, da ich ſchon ſeit Jahr und Tag

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/130>, abgerufen am 26.04.2024.