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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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her, das einem Notenpulte glich; dieses wurde in die
Mitte des Hofes gesetzt. Der andere trug ein kleines Gefäß
mit Wasser und ein anderes, offenes, rundes, worin
sich eine brennende Flüssigkeit befand. Diese beiden Ge-
fäße wurden auf das Pult gestellt, zu dem Mir Scheik
Khan trat.

Er gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die
Musik von neuem begann. Sie spielte eine Einleitung,
nach welcher die Priester mit einer einstimmigen Hymne
einfielen. Leider konnte ich mir ihren Inhalt nicht
notieren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche
Wortlaut ist meinem Gedächtnisse entschwunden. Sie war
in arabischer Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit,
zum Glauben und zur Wachsamkeit auf.

Nach derselben hielt Mir Scheik Khan eine kurze
Ansprache an die Priester. Er schilderte in kurzen Worten
die Notwendigkeit, seinen Wandel von jeder Sünde rein
zu halten, Gutes zu thun an allen Menschen, seinem
Glauben stets treu zu bleiben und ihn gegen alle Feinde
zu verteidigen.

Dann trat er zurück und setzte sich zu uns unter den
Weinstock. Jetzt brachte einer der Priester einen lebenden
Hahn herbei, der mittels einer Schnur an das Pult
befestigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Wasser
und zur Rechten das Feuer gestellt.

Die Musik begann wieder. Der Hahn hockte in sich
gekehrt am Boden; die leisen Klänge der Flöten schien er
gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne stärker, und
er lauschte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte
er sich mit hellen, klugen Augen im Kreise um und be-
merkte dabei das Wasser. Schnell fuhr er mit dem Schnabel
in das Gefäß, um zu trinken. Dieses freudige Ereignis
wurde durch ein helles, jubelndes Zusammenschlagen der

her, das einem Notenpulte glich; dieſes wurde in die
Mitte des Hofes geſetzt. Der andere trug ein kleines Gefäß
mit Waſſer und ein anderes, offenes, rundes, worin
ſich eine brennende Flüſſigkeit befand. Dieſe beiden Ge-
fäße wurden auf das Pult geſtellt, zu dem Mir Scheik
Khan trat.

Er gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die
Muſik von neuem begann. Sie ſpielte eine Einleitung,
nach welcher die Prieſter mit einer einſtimmigen Hymne
einfielen. Leider konnte ich mir ihren Inhalt nicht
notieren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche
Wortlaut iſt meinem Gedächtniſſe entſchwunden. Sie war
in arabiſcher Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit,
zum Glauben und zur Wachſamkeit auf.

Nach derſelben hielt Mir Scheik Khan eine kurze
Anſprache an die Prieſter. Er ſchilderte in kurzen Worten
die Notwendigkeit, ſeinen Wandel von jeder Sünde rein
zu halten, Gutes zu thun an allen Menſchen, ſeinem
Glauben ſtets treu zu bleiben und ihn gegen alle Feinde
zu verteidigen.

Dann trat er zurück und ſetzte ſich zu uns unter den
Weinſtock. Jetzt brachte einer der Prieſter einen lebenden
Hahn herbei, der mittels einer Schnur an das Pult
befeſtigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Waſſer
und zur Rechten das Feuer geſtellt.

Die Muſik begann wieder. Der Hahn hockte in ſich
gekehrt am Boden; die leiſen Klänge der Flöten ſchien er
gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne ſtärker, und
er lauſchte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte
er ſich mit hellen, klugen Augen im Kreiſe um und be-
merkte dabei das Waſſer. Schnell fuhr er mit dem Schnabel
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[12/0026] her, das einem Notenpulte glich; dieſes wurde in die Mitte des Hofes geſetzt. Der andere trug ein kleines Gefäß mit Waſſer und ein anderes, offenes, rundes, worin ſich eine brennende Flüſſigkeit befand. Dieſe beiden Ge- fäße wurden auf das Pult geſtellt, zu dem Mir Scheik Khan trat. Er gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Muſik von neuem begann. Sie ſpielte eine Einleitung, nach welcher die Prieſter mit einer einſtimmigen Hymne einfielen. Leider konnte ich mir ihren Inhalt nicht notieren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche Wortlaut iſt meinem Gedächtniſſe entſchwunden. Sie war in arabiſcher Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit, zum Glauben und zur Wachſamkeit auf. Nach derſelben hielt Mir Scheik Khan eine kurze Anſprache an die Prieſter. Er ſchilderte in kurzen Worten die Notwendigkeit, ſeinen Wandel von jeder Sünde rein zu halten, Gutes zu thun an allen Menſchen, ſeinem Glauben ſtets treu zu bleiben und ihn gegen alle Feinde zu verteidigen. Dann trat er zurück und ſetzte ſich zu uns unter den Weinſtock. Jetzt brachte einer der Prieſter einen lebenden Hahn herbei, der mittels einer Schnur an das Pult befeſtigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Waſſer und zur Rechten das Feuer geſtellt. Die Muſik begann wieder. Der Hahn hockte in ſich gekehrt am Boden; die leiſen Klänge der Flöten ſchien er gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne ſtärker, und er lauſchte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte er ſich mit hellen, klugen Augen im Kreiſe um und be- merkte dabei das Waſſer. Schnell fuhr er mit dem Schnabel in das Gefäß, um zu trinken. Dieſes freudige Ereignis wurde durch ein helles, jubelndes Zuſammenſchlagen der

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/26>, abgerufen am 26.04.2024.