Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
keine allgemeine positive Gesellschaft unter ihnen errichtet
worden. Daher gehören die aus dem Begriff einer solchen
Ciuitas maxima herzuleitenden Rechte und Verbindlich-
keiten in das natürliche Völkerrecht und in die Völker-
moral, und das Wolfische sogenannte ius gentium volun-
tarium a),
welches andere das modificirte nennen b) ist
nicht als ein allgemeines positives Völkerrecht zu betrach-
ten. Am wenigsten läßt sich auf eine bloße, auf Ver-
nunftschlüsse, nicht auf Handlungen beruhende, Vermuthung
des Willens eine positive Zwangsverbindlichkeit gründen.
Daß zwischen Völkern, die in eine positive Gesellschaft
erweislich getreten sind, aus diesem Eintritte selbst beson-
dere Pflichten erwachsen, ist wohl unläugbar; aber auch
diese gehören in das hypothetische natürliche, nicht in das
positive Recht, auch dafür ist daher der Ausdruck ius
gentium voluntarium
, oder willkührliches oder frey-
williges Völkerrecht nicht völlig passend; passender ist wohl
der des natürlichen Gesellschaftsrechts der Völker.

a) Wolf ius gentium. Proleg. §. 7. u. f. Vergl. Vattel droit des
gens
. Prelim
. §. 21.
b) v. Ompteda Abhandlung von dem Begriffe des Völker-
rechts
, in dessen Litteratur Th. 1. §. 3.
§. 6.
Ursprung des heutigen europäischen Völkerrechts.

Schon bey den alten Völkern, insonderheit bey den
Griechen und Römern, findet man Spuren eines positiven
Friedens- und Kriegs Völkerrechts a). Aber darauf läßt
sich unser heutiges Völkerrecht nicht gründen. Seit den
Zeiten der Völkerwanderungen, gewann ganz Europa eine
neue Gesialt; erst seit dieser Zeit, und größtentheils erst
weit später, bildeten sich stuffenweise unsere heutigen Sit-
ten. Hauptveranlassungen dazu gaben: die Einführung
der christlichen Religion b), des Systems der Hierarchie
mit allen seinen Folgen im geistlichen und weltlichen, die
Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckungen Amerikas

und
A 4

Einleitung.
keine allgemeine poſitive Geſellſchaft unter ihnen errichtet
worden. Daher gehoͤren die aus dem Begriff einer ſolchen
Ciuitas maxima herzuleitenden Rechte und Verbindlich-
keiten in das natuͤrliche Voͤlkerrecht und in die Voͤlker-
moral, und das Wolfiſche ſogenannte ius gentium volun-
tarium a),
welches andere das modificirte nennen b) iſt
nicht als ein allgemeines poſitives Voͤlkerrecht zu betrach-
ten. Am wenigſten laͤßt ſich auf eine bloße, auf Ver-
nunftſchluͤſſe, nicht auf Handlungen beruhende, Vermuthung
des Willens eine poſitive Zwangsverbindlichkeit gruͤnden.
Daß zwiſchen Voͤlkern, die in eine poſitive Geſellſchaft
erweislich getreten ſind, aus dieſem Eintritte ſelbſt beſon-
dere Pflichten erwachſen, iſt wohl unlaͤugbar; aber auch
dieſe gehoͤren in das hypothetiſche natuͤrliche, nicht in das
poſitive Recht, auch dafuͤr iſt daher der Ausdruck ius
gentium voluntarium
, oder willkuͤhrliches oder frey-
williges Voͤlkerrecht nicht voͤllig paſſend; paſſender iſt wohl
der des natuͤrlichen Geſellſchaftsrechts der Voͤlker.

a) Wolf ius gentium. Proleg. §. 7. u. f. Vergl. Vattel droit des
gens
. Prelim
. §. 21.
b) v. Ompteda Abhandlung von dem Begriffe des Voͤlker-
rechts
, in deſſen Litteratur Th. 1. §. 3.
§. 6.
Urſprung des heutigen europaͤiſchen Voͤlkerrechts.

Schon bey den alten Voͤlkern, inſonderheit bey den
Griechen und Roͤmern, findet man Spuren eines poſitiven
Friedens- und Kriegs Voͤlkerrechts a). Aber darauf laͤßt
ſich unſer heutiges Voͤlkerrecht nicht gruͤnden. Seit den
Zeiten der Voͤlkerwanderungen, gewann ganz Europa eine
neue Geſialt; erſt ſeit dieſer Zeit, und groͤßtentheils erſt
weit ſpaͤter, bildeten ſich ſtuffenweiſe unſere heutigen Sit-
ten. Hauptveranlaſſungen dazu gaben: die Einfuͤhrung
der chriſtlichen Religion b), des Syſtems der Hierarchie
mit allen ſeinen Folgen im geiſtlichen und weltlichen, die
Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckungen Amerikas

und
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="7"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
keine allgemeine po&#x017F;itive Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft unter ihnen errichtet<lb/>
worden. Daher geho&#x0364;ren die aus dem Begriff einer &#x017F;olchen<lb/><hi rendition="#aq">Ciuitas maxima</hi> herzuleitenden Rechte und Verbindlich-<lb/>
keiten in das natu&#x0364;rliche Vo&#x0364;lkerrecht und in die Vo&#x0364;lker-<lb/>
moral, und das <hi rendition="#fr">Wolfi&#x017F;che</hi> &#x017F;ogenannte <hi rendition="#aq">ius gentium volun-<lb/>
tarium <hi rendition="#i">a</hi>),</hi> welches andere das modificirte nennen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>) i&#x017F;t<lb/>
nicht als ein allgemeines po&#x017F;itives Vo&#x0364;lkerrecht zu betrach-<lb/>
ten. Am wenig&#x017F;ten la&#x0364;ßt &#x017F;ich auf eine bloße, auf Ver-<lb/>
nunft&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, nicht auf Handlungen beruhende, Vermuthung<lb/>
des Willens eine po&#x017F;itive <hi rendition="#fr">Zwangsverbindlichkeit</hi> gru&#x0364;nden.<lb/>
Daß zwi&#x017F;chen Vo&#x0364;lkern, die in eine po&#x017F;itive <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi><lb/>
erweislich getreten &#x017F;ind, aus die&#x017F;em Eintritte &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;on-<lb/>
dere Pflichten erwach&#x017F;en, i&#x017F;t wohl unla&#x0364;ugbar; aber auch<lb/>
die&#x017F;e geho&#x0364;ren in das hypotheti&#x017F;che natu&#x0364;rliche, nicht in das<lb/>
po&#x017F;itive Recht, auch dafu&#x0364;r i&#x017F;t daher der Ausdruck <hi rendition="#aq">ius<lb/>
gentium voluntarium</hi>, oder willku&#x0364;hrliches oder frey-<lb/>
williges Vo&#x0364;lkerrecht nicht vo&#x0364;llig pa&#x017F;&#x017F;end; pa&#x017F;&#x017F;ender i&#x017F;t wohl<lb/>
der des natu&#x0364;rlichen <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsrechts</hi> der <hi rendition="#fr">Vo&#x0364;lker</hi>.</p><lb/>
          <note place="end" n="a)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Wolf</hi><hi rendition="#i">ius gentium</hi>. Proleg</hi>. §. 7. u. f. Vergl. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Vattel</hi><hi rendition="#i">droit des<lb/>
gens</hi>. Prelim</hi>. §. 21.</note><lb/>
          <note place="end" n="b)"><hi rendition="#fr">v. <hi rendition="#g">Ompteda</hi> Abhandlung von dem Begriffe des Vo&#x0364;lker-<lb/>
rechts</hi>, in de&#x017F;&#x017F;en Litteratur Th. 1. §. 3.</note>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 6.<lb/><hi rendition="#fr">Ur&#x017F;prung des heutigen europa&#x0364;i&#x017F;chen Vo&#x0364;lkerrechts.</hi></head><lb/>
          <p>Schon bey den alten Vo&#x0364;lkern, in&#x017F;onderheit bey den<lb/>
Griechen und Ro&#x0364;mern, findet man Spuren eines po&#x017F;itiven<lb/>
Friedens- und Kriegs Vo&#x0364;lkerrechts <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>). Aber darauf la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich un&#x017F;er heutiges Vo&#x0364;lkerrecht nicht gru&#x0364;nden. Seit den<lb/>
Zeiten der Vo&#x0364;lkerwanderungen, gewann ganz Europa eine<lb/>
neue Ge&#x017F;ialt; er&#x017F;t &#x017F;eit die&#x017F;er Zeit, und gro&#x0364;ßtentheils er&#x017F;t<lb/>
weit &#x017F;pa&#x0364;ter, bildeten &#x017F;ich &#x017F;tuffenwei&#x017F;e un&#x017F;ere heutigen Sit-<lb/>
ten. Hauptveranla&#x017F;&#x017F;ungen dazu gaben: die Einfu&#x0364;hrung<lb/>
der chri&#x017F;tlichen Religion <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>), des Sy&#x017F;tems der Hierarchie<lb/>
mit allen &#x017F;einen Folgen im gei&#x017F;tlichen und weltlichen, die<lb/>
Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckungen Amerikas<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0035] Einleitung. keine allgemeine poſitive Geſellſchaft unter ihnen errichtet worden. Daher gehoͤren die aus dem Begriff einer ſolchen Ciuitas maxima herzuleitenden Rechte und Verbindlich- keiten in das natuͤrliche Voͤlkerrecht und in die Voͤlker- moral, und das Wolfiſche ſogenannte ius gentium volun- tarium a), welches andere das modificirte nennen b) iſt nicht als ein allgemeines poſitives Voͤlkerrecht zu betrach- ten. Am wenigſten laͤßt ſich auf eine bloße, auf Ver- nunftſchluͤſſe, nicht auf Handlungen beruhende, Vermuthung des Willens eine poſitive Zwangsverbindlichkeit gruͤnden. Daß zwiſchen Voͤlkern, die in eine poſitive Geſellſchaft erweislich getreten ſind, aus dieſem Eintritte ſelbſt beſon- dere Pflichten erwachſen, iſt wohl unlaͤugbar; aber auch dieſe gehoͤren in das hypothetiſche natuͤrliche, nicht in das poſitive Recht, auch dafuͤr iſt daher der Ausdruck ius gentium voluntarium, oder willkuͤhrliches oder frey- williges Voͤlkerrecht nicht voͤllig paſſend; paſſender iſt wohl der des natuͤrlichen Geſellſchaftsrechts der Voͤlker. a⁾ Wolf ius gentium. Proleg. §. 7. u. f. Vergl. Vattel droit des gens. Prelim. §. 21. b⁾ v. Ompteda Abhandlung von dem Begriffe des Voͤlker- rechts, in deſſen Litteratur Th. 1. §. 3. §. 6. Urſprung des heutigen europaͤiſchen Voͤlkerrechts. Schon bey den alten Voͤlkern, inſonderheit bey den Griechen und Roͤmern, findet man Spuren eines poſitiven Friedens- und Kriegs Voͤlkerrechts a). Aber darauf laͤßt ſich unſer heutiges Voͤlkerrecht nicht gruͤnden. Seit den Zeiten der Voͤlkerwanderungen, gewann ganz Europa eine neue Geſialt; erſt ſeit dieſer Zeit, und groͤßtentheils erſt weit ſpaͤter, bildeten ſich ſtuffenweiſe unſere heutigen Sit- ten. Hauptveranlaſſungen dazu gaben: die Einfuͤhrung der chriſtlichen Religion b), des Syſtems der Hierarchie mit allen ſeinen Folgen im geiſtlichen und weltlichen, die Erfindung des Schießpulvers, die Entdeckungen Amerikas und A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/35
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/35>, abgerufen am 21.12.2024.