von Wurtzel aus verdorret etc. a. Alle, alle diese unseelige Zorn- Zeichen must du in dir erstecken, nicht zwar durch ein eigen-liebig Menschen-scheuend, sondern durch ein GOtt trauend und ihme an- klebend Unterdrucken; dann wo du dem verkehrten Trieb deines Her- tzens folgest, und thust ihm das geringste zu lieb, so ernehrest du das bellende Neid-Hündlein und lassest ihm Lufft, daß es auf diese Weise niemahls zum Sterben kommt, da es ohne dem ein gar zähes Le- ben hat.
Das sechste Capitel. Unvergleichlicher Nutz der Liebe gegen die Feinde und Beleydigere.
§. 1. Aber ach! die arme Christen kennen weder GOttes Liebe,Falsche Einbil- dung de- ren wel- che da ihre Beruhi- gung in Kühlung ihres Müth- leins su- chen. noch des Teufels Feindschafft; sie wissen eben so wenig ihr eigen Hertzen-Leyd und JESUM den Heyland, Natur und Gnad, Fleisch und Geist, Sünd und Heiligung, Licht und Finsterniß zu unterscheiden, als Kühe und Gäns den Lauff des Gestirns und die Staats-Griffe der Höfen in Europa kennen. Der arme Mensch, der elende Tropff und ungeschickte Dölpel meynt, er könne nicht ehender und leichter der Anfechtung des Zorns loß werden, und wieder zum Frieden und Sanfftmuth kommen, als wann er sein Müthlein kühle, und den Zorn ausstosse; und darum folget er flugs des Teufels Rath, der ihm eingibt, er solle nur ausbrechen, ein unterdrückter Zorn möchte ihm das Hertz abstossen, die Schuld liege auf denen, die ihn gereitz haben.
Diesem Strick folget die blinde Seel, wie ein Ochs zur Schlacht- banck; ja wann sie alsobald zu ihrer eigenen ewigen Schand, GOt- tes Gebott verworffen und dem Teufel Gehorsam geleistet hat, so rühmt sie sich noch dessen; Sie seye jetzt wieder zu frieden, es sey ihr ein Mühl- Stein ab dem Hertzen. Allein ich frage einen solchen Menschen; wur- dest du es einem zu gut halten, der vorgäbe, er könnte der Anfechtung zur Unkeuschheit nicht ringer ledig werden, als wann er seine hürische Lust büsse, und daran seyen die zarte Hälse schuld, die reitzen ihn dazu? Du wurdest ihm ja bald sagen; die böse Lust sey ein Leib und Seelen
verderb-
aMarc. XI. 20.
Y y y y 3
hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
von Wurtzel aus verdorret ꝛc. a. Alle, alle dieſe unſeelige Zorn- Zeichen muſt du in dir erſtecken, nicht zwar durch ein eigen-liebig Menſchen-ſcheuend, ſondern durch ein GOtt trauend und ihme an- klebend Unterdrucken; dann wo du dem verkehrten Trieb deines Her- tzens folgeſt, und thuſt ihm das geringſte zu lieb, ſo ernehreſt du das bellende Neid-Huͤndlein und laſſeſt ihm Lufft, daß es auf dieſe Weiſe niemahls zum Sterben kommt, da es ohne dem ein gar zaͤhes Le- ben hat.
Das ſechste Capitel. Unvergleichlicher Nutz der Liebe gegen die Feinde und Beleydigere.
§. 1. Aber ach! die arme Chriſten kennen weder GOttes Liebe,Falſche Einbil- dung de- ren wel- che da ihre Beruhi- gung in Kuͤhlung ihres Muͤth- leins ſu- chen. noch des Teufels Feindſchafft; ſie wiſſen eben ſo wenig ihr eigen Hertzen-Leyd und JESUM den Heyland, Natur und Gnad, Fleiſch und Geiſt, Suͤnd und Heiligung, Licht und Finſterniß zu unterſcheiden, als Kuͤhe und Gaͤns den Lauff des Geſtirns und die Staats-Griffe der Hoͤfen in Europa kennen. Der arme Menſch, der elende Tropff und ungeſchickte Doͤlpel meynt, er koͤnne nicht ehender und leichter der Anfechtung des Zorns loß werden, und wieder zum Frieden und Sanfftmuth kommen, als wann er ſein Muͤthlein kuͤhle, und den Zorn ausſtoſſe; und darum folget er flugs des Teufels Rath, der ihm eingibt, er ſolle nur ausbrechen, ein unterdruͤckter Zorn moͤchte ihm das Hertz abſtoſſen, die Schuld liege auf denen, die ihn gereitz haben.
Dieſem Strick folget die blinde Seel, wie ein Ochs zur Schlacht- banck; ja wann ſie alſobald zu ihrer eigenen ewigen Schand, GOt- tes Gebott verworffen und dem Teufel Gehorſam geleiſtet hat, ſo ruͤhmt ſie ſich noch deſſen; Sie ſeye jetzt wieder zu frieden, es ſey ihr ein Muͤhl- Stein ab dem Hertzen. Allein ich frage einen ſolchen Menſchen; wur- deſt du es einem zu gut halten, der vorgaͤbe, er koͤnnte der Anfechtung zur Unkeuſchheit nicht ringer ledig werden, als wann er ſeine huͤriſche Luſt buͤſſe, und daran ſeyen die zarte Haͤlſe ſchuld, die reitzen ihn dazu? Du wurdeſt ihm ja bald ſagen; die boͤſe Luſt ſey ein Leib und Seelen
verderb-
aMarc. XI. 20.
Y y y y 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0821"n="725"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">hervor bluͤhende Lilien-Zweig.</hi></fw><lb/>
von Wurtzel aus verdorret ꝛc. <noteplace="foot"n="a"><hirendition="#aq">Marc. XI.</hi> 20.</note>. Alle, alle dieſe unſeelige Zorn-<lb/>
Zeichen muſt du in dir erſtecken, nicht zwar durch ein eigen-liebig<lb/>
Menſchen-ſcheuend, ſondern durch ein GOtt trauend und ihme an-<lb/>
klebend Unterdrucken; dann wo du dem verkehrten Trieb deines Her-<lb/>
tzens folgeſt, und thuſt ihm das geringſte zu lieb, ſo ernehreſt du das<lb/>
bellende Neid-Huͤndlein und laſſeſt ihm Lufft, daß es auf dieſe Weiſe<lb/>
niemahls zum Sterben kommt, da es ohne dem ein gar zaͤhes Le-<lb/>
ben hat.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Das ſechste Capitel.<lb/>
Unvergleichlicher Nutz der Liebe gegen die Feinde und Beleydigere.</hi></head><lb/><p>§. 1. Aber ach! die arme Chriſten kennen weder GOttes Liebe,<noteplace="right">Falſche<lb/>
Einbil-<lb/>
dung de-<lb/>
ren wel-<lb/>
che da ihre<lb/>
Beruhi-<lb/>
gung in<lb/>
Kuͤhlung<lb/>
ihres<lb/>
Muͤth-<lb/>
leins ſu-<lb/>
chen.</note><lb/>
noch des Teufels Feindſchafft; ſie wiſſen eben ſo wenig ihr eigen<lb/>
Hertzen-Leyd und JESUM den Heyland, Natur und Gnad,<lb/>
Fleiſch und Geiſt, Suͤnd und Heiligung, Licht und Finſterniß zu<lb/>
unterſcheiden, als Kuͤhe und Gaͤns den Lauff des Geſtirns und die<lb/>
Staats-Griffe der Hoͤfen in Europa kennen. Der arme Menſch,<lb/>
der elende Tropff und ungeſchickte Doͤlpel meynt, er koͤnne nicht<lb/>
ehender und leichter der Anfechtung des Zorns loß werden, und<lb/>
wieder zum Frieden und Sanfftmuth kommen, als wann er ſein<lb/>
Muͤthlein kuͤhle, und den Zorn ausſtoſſe; und darum folget er flugs<lb/>
des Teufels Rath, der ihm eingibt, er ſolle nur ausbrechen, ein<lb/>
unterdruͤckter Zorn moͤchte ihm das Hertz abſtoſſen, die Schuld<lb/>
liege auf denen, die ihn gereitz haben.</p><lb/><p>Dieſem Strick folget die blinde Seel, wie ein Ochs zur Schlacht-<lb/>
banck; ja wann ſie alſobald zu ihrer eigenen ewigen Schand, GOt-<lb/>
tes Gebott verworffen und dem Teufel Gehorſam geleiſtet hat, ſo ruͤhmt<lb/>ſie ſich noch deſſen; Sie ſeye jetzt wieder zu frieden, es ſey ihr ein Muͤhl-<lb/>
Stein ab dem Hertzen. Allein ich frage einen ſolchen Menſchen; wur-<lb/>
deſt du es einem zu gut halten, der vorgaͤbe, er koͤnnte der Anfechtung zur<lb/>
Unkeuſchheit nicht ringer ledig werden, als wann er ſeine huͤriſche Luſt<lb/>
buͤſſe, und daran ſeyen die zarte Haͤlſe ſchuld, die reitzen ihn dazu?<lb/>
Du wurdeſt ihm ja bald ſagen; die boͤſe Luſt ſey ein Leib und Seelen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y y y y 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">verderb-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[725/0821]
hervor bluͤhende Lilien-Zweig.
von Wurtzel aus verdorret ꝛc. a. Alle, alle dieſe unſeelige Zorn-
Zeichen muſt du in dir erſtecken, nicht zwar durch ein eigen-liebig
Menſchen-ſcheuend, ſondern durch ein GOtt trauend und ihme an-
klebend Unterdrucken; dann wo du dem verkehrten Trieb deines Her-
tzens folgeſt, und thuſt ihm das geringſte zu lieb, ſo ernehreſt du das
bellende Neid-Huͤndlein und laſſeſt ihm Lufft, daß es auf dieſe Weiſe
niemahls zum Sterben kommt, da es ohne dem ein gar zaͤhes Le-
ben hat.
Das ſechste Capitel.
Unvergleichlicher Nutz der Liebe gegen die Feinde und Beleydigere.
§. 1. Aber ach! die arme Chriſten kennen weder GOttes Liebe,
noch des Teufels Feindſchafft; ſie wiſſen eben ſo wenig ihr eigen
Hertzen-Leyd und JESUM den Heyland, Natur und Gnad,
Fleiſch und Geiſt, Suͤnd und Heiligung, Licht und Finſterniß zu
unterſcheiden, als Kuͤhe und Gaͤns den Lauff des Geſtirns und die
Staats-Griffe der Hoͤfen in Europa kennen. Der arme Menſch,
der elende Tropff und ungeſchickte Doͤlpel meynt, er koͤnne nicht
ehender und leichter der Anfechtung des Zorns loß werden, und
wieder zum Frieden und Sanfftmuth kommen, als wann er ſein
Muͤthlein kuͤhle, und den Zorn ausſtoſſe; und darum folget er flugs
des Teufels Rath, der ihm eingibt, er ſolle nur ausbrechen, ein
unterdruͤckter Zorn moͤchte ihm das Hertz abſtoſſen, die Schuld
liege auf denen, die ihn gereitz haben.
Falſche
Einbil-
dung de-
ren wel-
che da ihre
Beruhi-
gung in
Kuͤhlung
ihres
Muͤth-
leins ſu-
chen.
Dieſem Strick folget die blinde Seel, wie ein Ochs zur Schlacht-
banck; ja wann ſie alſobald zu ihrer eigenen ewigen Schand, GOt-
tes Gebott verworffen und dem Teufel Gehorſam geleiſtet hat, ſo ruͤhmt
ſie ſich noch deſſen; Sie ſeye jetzt wieder zu frieden, es ſey ihr ein Muͤhl-
Stein ab dem Hertzen. Allein ich frage einen ſolchen Menſchen; wur-
deſt du es einem zu gut halten, der vorgaͤbe, er koͤnnte der Anfechtung zur
Unkeuſchheit nicht ringer ledig werden, als wann er ſeine huͤriſche Luſt
buͤſſe, und daran ſeyen die zarte Haͤlſe ſchuld, die reitzen ihn dazu?
Du wurdeſt ihm ja bald ſagen; die boͤſe Luſt ſey ein Leib und Seelen
verderb-
a Marc. XI. 20.
Y y y y 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/821>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.