Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
liegende Wein-Trauben.

§. 16. O theurster JESU! ists doch möglich, daß der armekräfftigst
überzeu-
get.

Sünder dieses alles höre, und dabey eine Stund, will geschweigen
sein Lebenlang ruhig seyn könne!

Bernhardus sagte: putabam me bonum, donec ivi in hortum;
Jch meynte, ich wäre sicher, wußte nichts von dem ewigen Urtheil,
das im Himmel über mich ergangen war, biß ich sahe, daß der ei-
nige GOttes Sohn sich mein erbarmet, herfür trittet, und sich
in dasselbe für mich hergibt; o wehe, es ist mir nicht mehr erlaubt
zu spielen, wann ein solcher Ernst darhinter ist! meine Seele hat
Ursach zu weinen, nicht über JESUM, sonderen über mich selbst;
dann so man diß thut am grünen Holtz, was wird am dürren wer-
den! sollte mir nicht ein Stich ins Hertz gehen, der ich mit meiner
Trägheit, Unachtsamkeit und eitelen Gedancken diesem JESU so
viel Thränen und Angst gemacht.

Das achte Capitel.
Nutzanwendung, zum Trost und Ermunterung, der wegen ihren
Sünden bekümmerten Seelen.

§. 1. Einwurff. Ja sagt etwan eine, durch dieses alles bißher ge-Der über
ihre dörre
und kaltes
Gebett be-
trübten
Seelen
gibt dieses
Seelen-
Leyden
kräfftigen
Trost,

troffene Seel; welche Sinnes wäre, anderst zu werden, und JE-
SU anzuhangen, und ihre Sünden zu lassen: ja; ich wolte wohl
gern mich änderen, aber ich weiß nicht, ich kan nicht recht über mei-
ne Sünden betrübt seyn, dann ich bin so hart und dürr, ich lese, und
höre Christi grosses Leyden an mit trockenen Augen, mein Gebett ist
auch gantz lau und kalt?

Antwort. Höre was Lutherus hierüber sagt: "Dem Bilde Chri-
"sti must du gleichförmig werden, es geschehe im Leben oder in der
"Höll; zum wenigsten must du im Sterben ins Erschrecken fallen,
"zitteren und beben, und alles fühlen was JEsus hier im Garten ge-
"fühlet hat. Obwohl in unenlich niederem Grad, und auch nicht aus
der Ursach und Zweck; dann JEsus tilgete mit seiner Angst deine
Schuld vor GOtt, eröffnete dir die tieff verriglete Porten des Him-
mels, und brachte dir eben damit den H. Geist zuwegen, der dich durch
sein sanfft und gelind Liebe-Feur bey Leibes Leben reinige, und zum An-
schauen GOttes bereite; allweilen nur die GOtt schauen werden,
welche reines Hertzens seynd
a; darum dancke GOtt in allen inner-

lichen
a Matth. V. 8.
M m m
liegende Wein-Trauben.

§. 16. O theurſter JESU! iſts doch moͤglich, daß der armekraͤfftigſt
uͤberzeu-
get.

Suͤnder dieſes alles hoͤre, und dabey eine Stund, will geſchweigen
ſein Lebenlang ruhig ſeyn koͤnne!

Bernhardus ſagte: putabam me bonum, donec ivi in hortum;
Jch meynte, ich waͤre ſicher, wußte nichts von dem ewigen Urtheil,
das im Himmel uͤber mich ergangen war, biß ich ſahe, daß der ei-
nige GOttes Sohn ſich mein erbarmet, herfuͤr trittet, und ſich
in daſſelbe fuͤr mich hergibt; o wehe, es iſt mir nicht mehr erlaubt
zu ſpielen, wann ein ſolcher Ernſt darhinter iſt! meine Seele hat
Urſach zu weinen, nicht uͤber JESUM, ſonderen uͤber mich ſelbſt;
dann ſo man diß thut am gruͤnen Holtz, was wird am duͤrren wer-
den! ſollte mir nicht ein Stich ins Hertz gehen, der ich mit meiner
Traͤgheit, Unachtſamkeit und eitelen Gedancken dieſem JESU ſo
viel Thraͤnen und Angſt gemacht.

Das achte Capitel.
Nutzanwendung, zum Troſt und Ermunterung, der wegen ihren
Suͤnden bekuͤmmerten Seelen.

§. 1. Einwurff. Ja ſagt etwan eine, durch dieſes alles bißher ge-Der uͤber
ihre doͤrre
und kaltes
Gebett be-
truͤbten
Seelen
gibt dieſes
Seelen-
Leyden
kraͤfftigen
Troſt,

troffene Seel; welche Sinnes waͤre, anderſt zu werden, und JE-
SU anzuhangen, und ihre Suͤnden zu laſſen: ja; ich wolte wohl
gern mich aͤnderen, aber ich weiß nicht, ich kan nicht recht uͤber mei-
ne Suͤnden betruͤbt ſeyn, dann ich bin ſo hart und duͤrr, ich leſe, und
hoͤre Chriſti groſſes Leyden an mit trockenen Augen, mein Gebett iſt
auch gantz lau und kalt?

Antwort. Hoͤre was Lutherus hieruͤber ſagt: „Dem Bilde Chri-
„ſti muſt du gleichfoͤrmig werden, es geſchehe im Leben oder in der
„Hoͤll; zum wenigſten muſt du im Sterben ins Erſchrecken fallen,
„zitteren und beben, und alles fuͤhlen was JEſus hier im Garten ge-
„fuͤhlet hat. Obwohl in unenlich niederem Grad, und auch nicht aus
der Urſach und Zweck; dann JEſus tilgete mit ſeiner Angſt deine
Schuld vor GOtt, eroͤffnete dir die tieff verriglete Porten des Him-
mels, und brachte dir eben damit den H. Geiſt zuwegen, der dich durch
ſein ſanfft und gelind Liebe-Feur bey Leibes Leben reinige, und zum An-
ſchauen GOttes bereite; allweilen nur die GOtt ſchauen werden,
welche reines Hertzens ſeynd
a; darum dancke GOtt in allen inner-

lichen
a Matth. V. 8.
M m m
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0553" n="457"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">liegende Wein-Trauben.</hi> </fw><lb/>
          <p>§. 16. O theur&#x017F;ter JESU! i&#x017F;ts doch mo&#x0364;glich, daß der arme<note place="right">kra&#x0364;fftig&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;berzeu-<lb/>
get.</note><lb/>
Su&#x0364;nder die&#x017F;es alles ho&#x0364;re, und dabey eine Stund, will ge&#x017F;chweigen<lb/>
&#x017F;ein Lebenlang ruhig &#x017F;eyn ko&#x0364;nne!</p><lb/>
          <p>Bernhardus &#x017F;agte: <hi rendition="#aq">putabam me bonum, donec ivi in hortum;</hi><lb/>
Jch meynte, ich wa&#x0364;re &#x017F;icher, wußte nichts von dem ewigen Urtheil,<lb/>
das im Himmel u&#x0364;ber mich ergangen war, biß ich &#x017F;ahe, daß der ei-<lb/>
nige GOttes Sohn &#x017F;ich mein erbarmet, herfu&#x0364;r trittet, und &#x017F;ich<lb/>
in da&#x017F;&#x017F;elbe fu&#x0364;r mich hergibt; o wehe, es i&#x017F;t mir nicht mehr erlaubt<lb/>
zu &#x017F;pielen, wann ein &#x017F;olcher Ern&#x017F;t darhinter i&#x017F;t! meine Seele hat<lb/>
Ur&#x017F;ach zu weinen, nicht u&#x0364;ber JESUM, &#x017F;onderen u&#x0364;ber mich &#x017F;elb&#x017F;t;<lb/>
dann &#x017F;o man diß thut am gru&#x0364;nen Holtz, was wird am du&#x0364;rren wer-<lb/>
den! &#x017F;ollte mir nicht ein Stich ins Hertz gehen, der ich mit meiner<lb/>
Tra&#x0364;gheit, Unacht&#x017F;amkeit und eitelen Gedancken die&#x017F;em JESU &#x017F;o<lb/>
viel Thra&#x0364;nen und Ang&#x017F;t gemacht.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Das achte Capitel.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Nutzanwendung, zum Tro&#x017F;t und Ermunterung, der wegen ihren<lb/>
Su&#x0364;nden beku&#x0364;mmerten Seelen.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 1. <hi rendition="#fr">Einwurff.</hi> Ja &#x017F;agt etwan eine, durch die&#x017F;es alles bißher ge-<note place="right">Der u&#x0364;ber<lb/>
ihre do&#x0364;rre<lb/>
und kaltes<lb/>
Gebett be-<lb/>
tru&#x0364;bten<lb/>
Seelen<lb/>
gibt die&#x017F;es<lb/>
Seelen-<lb/>
Leyden<lb/>
kra&#x0364;fftigen<lb/>
Tro&#x017F;t,</note><lb/>
troffene Seel; welche Sinnes wa&#x0364;re, ander&#x017F;t zu werden, und JE-<lb/>
SU anzuhangen, und ihre Su&#x0364;nden zu la&#x017F;&#x017F;en: ja; ich wolte wohl<lb/>
gern mich a&#x0364;nderen, aber ich weiß nicht, ich kan nicht recht u&#x0364;ber mei-<lb/>
ne Su&#x0364;nden betru&#x0364;bt &#x017F;eyn, dann ich bin &#x017F;o hart und du&#x0364;rr, ich le&#x017F;e, und<lb/>
ho&#x0364;re Chri&#x017F;ti gro&#x017F;&#x017F;es Leyden an mit trockenen Augen, mein Gebett i&#x017F;t<lb/>
auch gantz lau und kalt?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Antwort.</hi> Ho&#x0364;re was Lutherus hieru&#x0364;ber &#x017F;agt: &#x201E;Dem Bilde Chri-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ti mu&#x017F;t du gleichfo&#x0364;rmig werden, es ge&#x017F;chehe im Leben oder in der<lb/>
&#x201E;Ho&#x0364;ll; zum wenig&#x017F;ten mu&#x017F;t du im Sterben ins Er&#x017F;chrecken fallen,<lb/>
&#x201E;zitteren und beben, und alles fu&#x0364;hlen was JE&#x017F;us hier im Garten ge-<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;hlet hat. Obwohl in unenlich niederem Grad, und auch nicht aus<lb/>
der Ur&#x017F;ach und Zweck; dann JE&#x017F;us tilgete mit &#x017F;einer Ang&#x017F;t deine<lb/>
Schuld vor GOtt, ero&#x0364;ffnete dir die tieff verriglete Porten des Him-<lb/>
mels, und brachte dir eben damit den H. Gei&#x017F;t zuwegen, der dich durch<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;anfft und gelind Liebe-Feur bey Leibes Leben reinige, und zum An-<lb/>
&#x017F;chauen GOttes bereite; allweilen nur <hi rendition="#fr">die GOtt &#x017F;chauen werden,<lb/>
welche reines Hertzens &#x017F;eynd</hi> <note place="foot" n="a"><hi rendition="#aq">Matth. V.</hi> 8.</note>; darum dancke GOtt in allen inner-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M m m</fw><fw place="bottom" type="catch">lichen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[457/0553] liegende Wein-Trauben. §. 16. O theurſter JESU! iſts doch moͤglich, daß der arme Suͤnder dieſes alles hoͤre, und dabey eine Stund, will geſchweigen ſein Lebenlang ruhig ſeyn koͤnne! kraͤfftigſt uͤberzeu- get. Bernhardus ſagte: putabam me bonum, donec ivi in hortum; Jch meynte, ich waͤre ſicher, wußte nichts von dem ewigen Urtheil, das im Himmel uͤber mich ergangen war, biß ich ſahe, daß der ei- nige GOttes Sohn ſich mein erbarmet, herfuͤr trittet, und ſich in daſſelbe fuͤr mich hergibt; o wehe, es iſt mir nicht mehr erlaubt zu ſpielen, wann ein ſolcher Ernſt darhinter iſt! meine Seele hat Urſach zu weinen, nicht uͤber JESUM, ſonderen uͤber mich ſelbſt; dann ſo man diß thut am gruͤnen Holtz, was wird am duͤrren wer- den! ſollte mir nicht ein Stich ins Hertz gehen, der ich mit meiner Traͤgheit, Unachtſamkeit und eitelen Gedancken dieſem JESU ſo viel Thraͤnen und Angſt gemacht. Das achte Capitel. Nutzanwendung, zum Troſt und Ermunterung, der wegen ihren Suͤnden bekuͤmmerten Seelen. §. 1. Einwurff. Ja ſagt etwan eine, durch dieſes alles bißher ge- troffene Seel; welche Sinnes waͤre, anderſt zu werden, und JE- SU anzuhangen, und ihre Suͤnden zu laſſen: ja; ich wolte wohl gern mich aͤnderen, aber ich weiß nicht, ich kan nicht recht uͤber mei- ne Suͤnden betruͤbt ſeyn, dann ich bin ſo hart und duͤrr, ich leſe, und hoͤre Chriſti groſſes Leyden an mit trockenen Augen, mein Gebett iſt auch gantz lau und kalt? Der uͤber ihre doͤrre und kaltes Gebett be- truͤbten Seelen gibt dieſes Seelen- Leyden kraͤfftigen Troſt, Antwort. Hoͤre was Lutherus hieruͤber ſagt: „Dem Bilde Chri- „ſti muſt du gleichfoͤrmig werden, es geſchehe im Leben oder in der „Hoͤll; zum wenigſten muſt du im Sterben ins Erſchrecken fallen, „zitteren und beben, und alles fuͤhlen was JEſus hier im Garten ge- „fuͤhlet hat. Obwohl in unenlich niederem Grad, und auch nicht aus der Urſach und Zweck; dann JEſus tilgete mit ſeiner Angſt deine Schuld vor GOtt, eroͤffnete dir die tieff verriglete Porten des Him- mels, und brachte dir eben damit den H. Geiſt zuwegen, der dich durch ſein ſanfft und gelind Liebe-Feur bey Leibes Leben reinige, und zum An- ſchauen GOttes bereite; allweilen nur die GOtt ſchauen werden, welche reines Hertzens ſeynd a; darum dancke GOtt in allen inner- lichen a Matth. V. 8. M m m

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/553
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/553>, abgerufen am 22.12.2024.