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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
worden, dass die Regierung der Vereinigten Staaten während des
deutsch-französischen Krieges grosse Mengen von Waffen an Frank-
reich verkaufte.

2. Insbesondere darf der neutrale Staat nicht dulden, dass das
von ihm beherrschte Land- und Wassergebiet zum Ausgangs- oder
Stützpunkt für kriegerische Unternehmungen gemacht wird.

Er ist daher verpflichtet, Streitkräfte der Kriegführenden,
die auf sein Gebiet gedrängt werden (man erinnere sich an den
Übertritt der französischen Ostarmee auf schweizerisches Gebiet
am 1. Februar 1871), zu entwaffnen und während der Dauer des
Krieges auf Kosten des Kriegführenden, dem sie angehören, zu
internieren. Er darf nicht gestatten, dass auf seinem Staats-
landgebiet
Werbungen oder Rüstungen für einen der Kriegführen-
den vorgenommen werden; und wenn er auch nicht verpflichtet
ist, seine Staatsangehörigen zu hindern, dass sie in dem einen
oder dem andern der streitenden Heere Kriegsdienste nehmen,
so verletzt er doch die Pflicht der Neutralität, wenn er seinen
aktiven Offizieren und Mannschaften die Teilnahme an den Feind-
seligkeiten gestattet, ohne sie aus dem eigenen Dienste zu ent-
lassen. Es war daher eine Verletzung der Neutralität, als Russ-
land 1876 seinen Offizieren den Dienst in der serbischen Armee
gestattete. Über die deutschen Offiziere im türkischen Heere
während des griechischen Feldzuges von 1897 vgl. R. G. IV 720.
Dasselbe gilt im allgemeinen auch von dem Staatswassergebiet.
Doch darf den Kriegsschiffen der Kriegführenden die Durchfahrt
durch die Küstengewässer, ja sogar im Falle der Seenot (relache
forcee) der Aufenthalt in diesen, gestattet werden. Auch ist es
keine Verletzung der Neutralität, wenn den Kriegsschiffen der
Kriegführenden das Anlaufen der Häfen und das Einnehmen der
für die Weiterreise bis zum nächsten Hafen erforderlichen Kohlen
gestattet wird; doch müssen in diesem Falle die beiden Gegner
mit gleichem Mass gemessen werden. Dagegen darf der neutrale
Staat nicht dulden, dass in seinen Häfen und auf seinen Werften
Kriegsschiffe für einen der Kriegführenden gebaut, ausgerüstet,

IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
worden, daſs die Regierung der Vereinigten Staaten während des
deutsch-französischen Krieges groſse Mengen von Waffen an Frank-
reich verkaufte.

2. Insbesondere darf der neutrale Staat nicht dulden, daſs das
von ihm beherrschte Land- und Wassergebiet zum Ausgangs- oder
Stützpunkt für kriegerische Unternehmungen gemacht wird.

Er ist daher verpflichtet, Streitkräfte der Kriegführenden,
die auf sein Gebiet gedrängt werden (man erinnere sich an den
Übertritt der französischen Ostarmee auf schweizerisches Gebiet
am 1. Februar 1871), zu entwaffnen und während der Dauer des
Krieges auf Kosten des Kriegführenden, dem sie angehören, zu
internieren. Er darf nicht gestatten, daſs auf seinem Staats-
landgebiet
Werbungen oder Rüstungen für einen der Kriegführen-
den vorgenommen werden; und wenn er auch nicht verpflichtet
ist, seine Staatsangehörigen zu hindern, daſs sie in dem einen
oder dem andern der streitenden Heere Kriegsdienste nehmen,
so verletzt er doch die Pflicht der Neutralität, wenn er seinen
aktiven Offizieren und Mannschaften die Teilnahme an den Feind-
seligkeiten gestattet, ohne sie aus dem eigenen Dienste zu ent-
lassen. Es war daher eine Verletzung der Neutralität, als Ruſs-
land 1876 seinen Offizieren den Dienst in der serbischen Armee
gestattete. Über die deutschen Offiziere im türkischen Heere
während des griechischen Feldzuges von 1897 vgl. R. G. IV 720.
Dasselbe gilt im allgemeinen auch von dem Staatswassergebiet.
Doch darf den Kriegsschiffen der Kriegführenden die Durchfahrt
durch die Küstengewässer, ja sogar im Falle der Seenot (relâche
forcée) der Aufenthalt in diesen, gestattet werden. Auch ist es
keine Verletzung der Neutralität, wenn den Kriegsschiffen der
Kriegführenden das Anlaufen der Häfen und das Einnehmen der
für die Weiterreise bis zum nächsten Hafen erforderlichen Kohlen
gestattet wird; doch müssen in diesem Falle die beiden Gegner
mit gleichem Maſs gemessen werden. Dagegen darf der neutrale
Staat nicht dulden, daſs in seinen Häfen und auf seinen Werften
Kriegsschiffe für einen der Kriegführenden gebaut, ausgerüstet,

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[242/0264] IV. Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung. worden, daſs die Regierung der Vereinigten Staaten während des deutsch-französischen Krieges groſse Mengen von Waffen an Frank- reich verkaufte. 2. Insbesondere darf der neutrale Staat nicht dulden, daſs das von ihm beherrschte Land- und Wassergebiet zum Ausgangs- oder Stützpunkt für kriegerische Unternehmungen gemacht wird. Er ist daher verpflichtet, Streitkräfte der Kriegführenden, die auf sein Gebiet gedrängt werden (man erinnere sich an den Übertritt der französischen Ostarmee auf schweizerisches Gebiet am 1. Februar 1871), zu entwaffnen und während der Dauer des Krieges auf Kosten des Kriegführenden, dem sie angehören, zu internieren. Er darf nicht gestatten, daſs auf seinem Staats- landgebiet Werbungen oder Rüstungen für einen der Kriegführen- den vorgenommen werden; und wenn er auch nicht verpflichtet ist, seine Staatsangehörigen zu hindern, daſs sie in dem einen oder dem andern der streitenden Heere Kriegsdienste nehmen, so verletzt er doch die Pflicht der Neutralität, wenn er seinen aktiven Offizieren und Mannschaften die Teilnahme an den Feind- seligkeiten gestattet, ohne sie aus dem eigenen Dienste zu ent- lassen. Es war daher eine Verletzung der Neutralität, als Ruſs- land 1876 seinen Offizieren den Dienst in der serbischen Armee gestattete. Über die deutschen Offiziere im türkischen Heere während des griechischen Feldzuges von 1897 vgl. R. G. IV 720. Dasselbe gilt im allgemeinen auch von dem Staatswassergebiet. Doch darf den Kriegsschiffen der Kriegführenden die Durchfahrt durch die Küstengewässer, ja sogar im Falle der Seenot (relâche forcée) der Aufenthalt in diesen, gestattet werden. Auch ist es keine Verletzung der Neutralität, wenn den Kriegsschiffen der Kriegführenden das Anlaufen der Häfen und das Einnehmen der für die Weiterreise bis zum nächsten Hafen erforderlichen Kohlen gestattet wird; doch müssen in diesem Falle die beiden Gegner mit gleichem Maſs gemessen werden. Dagegen darf der neutrale Staat nicht dulden, daſs in seinen Häfen und auf seinen Werften Kriegsschiffe für einen der Kriegführenden gebaut, ausgerüstet,

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/264>, abgerufen am 27.04.2024.