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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Diebstahl. §. 64.
zugleich die gegründete Aussicht rechtzeitiger Wiedereinlösung
besteht.6 Auch die Ausübung eines vermeintlichen Retentions-
rechtes kann nicht als Aneignung betrachtet werden.7

Die Absicht (auch hier gleich erweiterter Vorsatz, oben
§. 28 III) muß auf rechtswidrige Zueignung gehen. Dieb-
stahl liegt also nicht vor, wenn ein Anspruch auf Uebertra-
gung des Eigentums an der Sache selbst besteht, wohl aber
dann, wenn ein anderer Anspruch durch die weggenommene
Sache gesichert werden soll;8 Wegnahme von Geld, um sich
für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, ist
demnach nur dann nicht Diebstahl, wenn, was zu den
seltensten Fällen gehören dürfte, ein Anspruch auf Ueber-
tragung gerade der weggenommenen Geld stücke bestand.9

Gewinnsüchtige Absicht, also Absicht auf Erlangung
eines Vermögensvorteils (animus lucri faciendi) ist nach
heutigem Recht nicht erforderlich. Der Diebstahl ist kein
Bereicherungsdelikt.

5. Der Diebstahl ist vollendet mit der vollendeten
Wegnahme, also sobald der eigene Gewahrsam an der Sache
durch den Thäter begründet ist. Die alten zum Teil ab-
weichenden Ansichten -- Kontrektations-, Ablations-, Ap-
prehensions-Theorien -- sind heute allgemein aufgegeben.
Der Versuch -- strafbar, auch wenn der Diebstahl Ver-
gehen ist -- beginnt mit dem Brechen des fremden Ge-
wahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der
verschiedenen Erscheinung und Sicherung dieses Gewahr-
sams;10 mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei

6 [Spaltenumbruch] RGR. 22. April 1880, R
I
659 u. 664, E II 22.
7 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 5. Mai 1880,
E II 48.
8 [Spaltenumbruch] RGR. 9. Februar 1880, E
I
193.
9 [Spaltenumbruch] A. A. RGR. 17. Juni 1880,
E II 184, R II 73.
10 [Spaltenumbruch] Bestritten.
17*

Der Diebſtahl. §. 64.
zugleich die gegründete Ausſicht rechtzeitiger Wiedereinlöſung
beſteht.6 Auch die Ausübung eines vermeintlichen Retentions-
rechtes kann nicht als Aneignung betrachtet werden.7

Die Abſicht (auch hier gleich erweiterter Vorſatz, oben
§. 28 III) muß auf rechtswidrige Zueignung gehen. Dieb-
ſtahl liegt alſo nicht vor, wenn ein Anſpruch auf Uebertra-
gung des Eigentums an der Sache ſelbſt beſteht, wohl aber
dann, wenn ein anderer Anſpruch durch die weggenommene
Sache geſichert werden ſoll;8 Wegnahme von Geld, um ſich
für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, iſt
demnach nur dann nicht Diebſtahl, wenn, was zu den
ſeltenſten Fällen gehören dürfte, ein Anſpruch auf Ueber-
tragung gerade der weggenommenen Geld ſtücke beſtand.9

Gewinnſüchtige Abſicht, alſo Abſicht auf Erlangung
eines Vermögensvorteils (animus lucri faciendi) iſt nach
heutigem Recht nicht erforderlich. Der Diebſtahl iſt kein
Bereicherungsdelikt.

5. Der Diebſtahl iſt vollendet mit der vollendeten
Wegnahme, alſo ſobald der eigene Gewahrſam an der Sache
durch den Thäter begründet iſt. Die alten zum Teil ab-
weichenden Anſichten — Kontrektations-, Ablations-, Ap-
prehenſions-Theorien — ſind heute allgemein aufgegeben.
Der Verſuch — ſtrafbar, auch wenn der Diebſtahl Ver-
gehen iſt — beginnt mit dem Brechen des fremden Ge-
wahrſams; daher in verſchiedenen Zeitpunkten je nach der
verſchiedenen Erſcheinung und Sicherung dieſes Gewahr-
ſams;10 mit dem Einbrechen, Einſteigen, Einſchleichen bei

6 [Spaltenumbruch] RGR. 22. April 1880, R
I
659 u. 664, E II 22.
7 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 5. Mai 1880,
E II 48.
8 [Spaltenumbruch] RGR. 9. Februar 1880, E
I
193.
9 [Spaltenumbruch] A. A. RGR. 17. Juni 1880,
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10 [Spaltenumbruch] Beſtritten.
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[259/0285] Der Diebſtahl. §. 64. zugleich die gegründete Ausſicht rechtzeitiger Wiedereinlöſung beſteht. 6 Auch die Ausübung eines vermeintlichen Retentions- rechtes kann nicht als Aneignung betrachtet werden. 7 Die Abſicht (auch hier gleich erweiterter Vorſatz, oben §. 28 III) muß auf rechtswidrige Zueignung gehen. Dieb- ſtahl liegt alſo nicht vor, wenn ein Anſpruch auf Uebertra- gung des Eigentums an der Sache ſelbſt beſteht, wohl aber dann, wenn ein anderer Anſpruch durch die weggenommene Sache geſichert werden ſoll; 8 Wegnahme von Geld, um ſich für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, iſt demnach nur dann nicht Diebſtahl, wenn, was zu den ſeltenſten Fällen gehören dürfte, ein Anſpruch auf Ueber- tragung gerade der weggenommenen Geld ſtücke beſtand. 9 Gewinnſüchtige Abſicht, alſo Abſicht auf Erlangung eines Vermögensvorteils (animus lucri faciendi) iſt nach heutigem Recht nicht erforderlich. Der Diebſtahl iſt kein Bereicherungsdelikt. 5. Der Diebſtahl iſt vollendet mit der vollendeten Wegnahme, alſo ſobald der eigene Gewahrſam an der Sache durch den Thäter begründet iſt. Die alten zum Teil ab- weichenden Anſichten — Kontrektations-, Ablations-, Ap- prehenſions-Theorien — ſind heute allgemein aufgegeben. Der Verſuch — ſtrafbar, auch wenn der Diebſtahl Ver- gehen iſt — beginnt mit dem Brechen des fremden Ge- wahrſams; daher in verſchiedenen Zeitpunkten je nach der verſchiedenen Erſcheinung und Sicherung dieſes Gewahr- ſams; 10 mit dem Einbrechen, Einſteigen, Einſchleichen bei 6 RGR. 22. April 1880, R I 659 u. 664, E II 22. 7 Vgl. RGR. 5. Mai 1880, E II 48. 8 RGR. 9. Februar 1880, E I 193. 9 A. A. RGR. 17. Juni 1880, E II 184, R II 73. 10 Beſtritten. 17*

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/285>, abgerufen am 26.04.2024.