Der Gast aber hat gegen den Wirth auch gegenseitig Rücksichten zu nehmen. Ein altes Sprüchwort sagt: "Ein Fisch und ein Gast "halten sich Beyde nicht gut länger als drey "Tage im Hause." Diese Vorschrift leidet nun wohl Ausnahmen; allein so viel Wahres steckt doch darinn, daß man sich niemand auf¬ dringen und Ueberlegung genug haben soll, zu bemerken, wie lange unsre Gegenwart in einem Hause angenehm und für niemand eine Bürde ist. Nicht immer ist man so aufgelegt, nicht immer in seinen häuslichen Angelegenheiten so eingerichtet, daß man gern Gäste bey sich sieht, oder lange beherbergt. Bey Leuten, die nicht auf einem sehr großen Fuß leben, soll man da¬ her nicht leicht ohnvermuthet kommen oder sich selbst einladen. Dem Manne, der uns Gast¬ freundschaft erweist, sollen wir zum Lohne sei¬ ner Güte so wenig Last als möglich machen. Wir sollen ruhig und still unsern Gang gehn, uns nach den Sitten des Hauses richten, den Ton der Familie annehmen, als wenn wir Glieder derselben wären, wenig Aufwartung fordern, genügsam seyn, uns nicht in häusliche
An¬
P2
3.
Der Gaſt aber hat gegen den Wirth auch gegenſeitig Ruͤckſichten zu nehmen. Ein altes Spruͤchwort ſagt: „Ein Fiſch und ein Gaſt „halten ſich Beyde nicht gut laͤnger als drey „Tage im Hauſe.“ Dieſe Vorſchrift leidet nun wohl Ausnahmen; allein ſo viel Wahres ſteckt doch darinn, daß man ſich niemand auf¬ dringen und Ueberlegung genug haben ſoll, zu bemerken, wie lange unſre Gegenwart in einem Hauſe angenehm und fuͤr niemand eine Buͤrde iſt. Nicht immer iſt man ſo aufgelegt, nicht immer in ſeinen haͤuslichen Angelegenheiten ſo eingerichtet, daß man gern Gaͤſte bey ſich ſieht, oder lange beherbergt. Bey Leuten, die nicht auf einem ſehr großen Fuß leben, ſoll man da¬ her nicht leicht ohnvermuthet kommen oder ſich ſelbſt einladen. Dem Manne, der uns Gaſt¬ freundſchaft erweiſt, ſollen wir zum Lohne ſei¬ ner Guͤte ſo wenig Laſt als moͤglich machen. Wir ſollen ruhig und ſtill unſern Gang gehn, uns nach den Sitten des Hauſes richten, den Ton der Familie annehmen, als wenn wir Glieder derſelben waͤren, wenig Aufwartung fordern, genuͤgſam ſeyn, uns nicht in haͤusliche
An¬
P2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0257"n="227"/></div><divn="3"><head>3.<lb/></head><p>Der Gaſt aber hat gegen den Wirth auch<lb/>
gegenſeitig Ruͤckſichten zu nehmen. Ein altes<lb/>
Spruͤchwort ſagt: „Ein Fiſch und ein Gaſt<lb/>„halten ſich Beyde nicht gut laͤnger als drey<lb/>„Tage im Hauſe.“ Dieſe Vorſchrift leidet<lb/>
nun wohl Ausnahmen; allein ſo viel Wahres<lb/>ſteckt doch darinn, daß man ſich niemand auf¬<lb/>
dringen und Ueberlegung genug haben ſoll, zu<lb/>
bemerken, wie lange unſre Gegenwart in einem<lb/>
Hauſe angenehm und fuͤr niemand eine Buͤrde<lb/>
iſt. Nicht immer iſt man ſo aufgelegt, nicht<lb/>
immer in ſeinen haͤuslichen Angelegenheiten ſo<lb/>
eingerichtet, daß man gern Gaͤſte bey ſich ſieht,<lb/>
oder lange beherbergt. Bey Leuten, die nicht<lb/>
auf einem ſehr großen Fuß leben, ſoll man da¬<lb/>
her nicht leicht ohnvermuthet kommen oder ſich<lb/>ſelbſt einladen. Dem Manne, der uns Gaſt¬<lb/>
freundſchaft erweiſt, ſollen wir zum Lohne ſei¬<lb/>
ner Guͤte ſo wenig Laſt als moͤglich machen.<lb/>
Wir ſollen ruhig und ſtill unſern Gang gehn,<lb/>
uns nach den Sitten des Hauſes richten, den<lb/>
Ton der Familie annehmen, als wenn wir<lb/>
Glieder derſelben waͤren, wenig Aufwartung<lb/>
fordern, genuͤgſam ſeyn, uns nicht in haͤusliche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P2</fw><fwplace="bottom"type="catch">An¬<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[227/0257]
3.
Der Gaſt aber hat gegen den Wirth auch
gegenſeitig Ruͤckſichten zu nehmen. Ein altes
Spruͤchwort ſagt: „Ein Fiſch und ein Gaſt
„halten ſich Beyde nicht gut laͤnger als drey
„Tage im Hauſe.“ Dieſe Vorſchrift leidet
nun wohl Ausnahmen; allein ſo viel Wahres
ſteckt doch darinn, daß man ſich niemand auf¬
dringen und Ueberlegung genug haben ſoll, zu
bemerken, wie lange unſre Gegenwart in einem
Hauſe angenehm und fuͤr niemand eine Buͤrde
iſt. Nicht immer iſt man ſo aufgelegt, nicht
immer in ſeinen haͤuslichen Angelegenheiten ſo
eingerichtet, daß man gern Gaͤſte bey ſich ſieht,
oder lange beherbergt. Bey Leuten, die nicht
auf einem ſehr großen Fuß leben, ſoll man da¬
her nicht leicht ohnvermuthet kommen oder ſich
ſelbſt einladen. Dem Manne, der uns Gaſt¬
freundſchaft erweiſt, ſollen wir zum Lohne ſei¬
ner Guͤte ſo wenig Laſt als moͤglich machen.
Wir ſollen ruhig und ſtill unſern Gang gehn,
uns nach den Sitten des Hauſes richten, den
Ton der Familie annehmen, als wenn wir
Glieder derſelben waͤren, wenig Aufwartung
fordern, genuͤgſam ſeyn, uns nicht in haͤusliche
An¬
P2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/257>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.