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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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gen übersandte, jede in einen Brief mit obigem
Motto gewickelt, so kam mit den guten Silber¬
stücken, von denen sie jedes einzelne in den spar¬
samen Händen gehabt, jedesmal auch ihr häus¬
licher Machteinfluß und die eiserne Gewohnheit
der Bescheidenheit und des Respectes mit. Als
jedoch das erste Jahr und mit ihm die mütterli¬
chen Sendungen zu Ende gingen, da hatte Hein¬
rich noch nicht die mindesten Anstalten getroffen,
sich auf eigene Faust zu ernähren, denn hier trat
nun der Zeitpunkt ein, wo die allgemeine und
doch so geheimnißvolle Macht dieser modernen
Kunst und Heldenschaft sich ihm offenbaren sollte.
In der heutigen Welt sind Alle, die in der Werk¬
statt der fortschreitenden Cultur beschäftigt sind
und es mit einem Zweige derselben zu thun ha¬
ben, geschieden von Acker und Herde, vom Wald
und oft sogar vom Wasser. Kein Stück Brot, sich
zu nähren, kein Bündel Reisig, sich zu wärmen,
keine Flocke Flachs oder Wolle, sich zu kleiden,
in großen Städten keinen frischen Trunk Wasser
können sie unmittelbar durch eigene frohe Mühe
und Leibesbewegung von der Natur gewinnen.

gen uͤberſandte, jede in einen Brief mit obigem
Motto gewickelt, ſo kam mit den guten Silber¬
ſtuͤcken, von denen ſie jedes einzelne in den ſpar¬
ſamen Haͤnden gehabt, jedesmal auch ihr haͤus¬
licher Machteinfluß und die eiſerne Gewohnheit
der Beſcheidenheit und des Reſpectes mit. Als
jedoch das erſte Jahr und mit ihm die muͤtterli¬
chen Sendungen zu Ende gingen, da hatte Hein¬
rich noch nicht die mindeſten Anſtalten getroffen,
ſich auf eigene Fauſt zu ernaͤhren, denn hier trat
nun der Zeitpunkt ein, wo die allgemeine und
doch ſo geheimnißvolle Macht dieſer modernen
Kunſt und Heldenſchaft ſich ihm offenbaren ſollte.
In der heutigen Welt ſind Alle, die in der Werk¬
ſtatt der fortſchreitenden Cultur beſchaͤftigt ſind
und es mit einem Zweige derſelben zu thun ha¬
ben, geſchieden von Acker und Herde, vom Wald
und oft ſogar vom Waſſer. Kein Stuͤck Brot, ſich
zu naͤhren, kein Buͤndel Reiſig, ſich zu waͤrmen,
keine Flocke Flachs oder Wolle, ſich zu kleiden,
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koͤnnen ſie unmittelbar durch eigene frohe Muͤhe
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[112/0122] gen uͤberſandte, jede in einen Brief mit obigem Motto gewickelt, ſo kam mit den guten Silber¬ ſtuͤcken, von denen ſie jedes einzelne in den ſpar¬ ſamen Haͤnden gehabt, jedesmal auch ihr haͤus¬ licher Machteinfluß und die eiſerne Gewohnheit der Beſcheidenheit und des Reſpectes mit. Als jedoch das erſte Jahr und mit ihm die muͤtterli¬ chen Sendungen zu Ende gingen, da hatte Hein¬ rich noch nicht die mindeſten Anſtalten getroffen, ſich auf eigene Fauſt zu ernaͤhren, denn hier trat nun der Zeitpunkt ein, wo die allgemeine und doch ſo geheimnißvolle Macht dieſer modernen Kunſt und Heldenſchaft ſich ihm offenbaren ſollte. In der heutigen Welt ſind Alle, die in der Werk¬ ſtatt der fortſchreitenden Cultur beſchaͤftigt ſind und es mit einem Zweige derſelben zu thun ha¬ ben, geſchieden von Acker und Herde, vom Wald und oft ſogar vom Waſſer. Kein Stuͤck Brot, ſich zu naͤhren, kein Buͤndel Reiſig, ſich zu waͤrmen, keine Flocke Flachs oder Wolle, ſich zu kleiden, in großen Staͤdten keinen friſchen Trunk Waſſer koͤnnen ſie unmittelbar durch eigene frohe Muͤhe und Leibesbewegung von der Natur gewinnen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/122>, abgerufen am 26.04.2024.