Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
Drittes Kapitel.

Ich konnte den unbestimmten Zwischenzustand
nun nicht länger ertragen, sondern suchte unter
meinen Sachen nach einem feinen Blättchen
Papier, um einen Brief an meine Mutter zu
schreiben, den ersten in meinem Leben. Als ich
ganz zu oberst am Rande das "Liebe Mutter!"
hinsetzte, schwebte sie mir in einem neuen Lichte
vor, ich empfand diesen feinen Fortschritt und
Ernst des Lebens wohl und meine Schreibgeläu¬
figkeit ließ mich anfänglich im Stiche und kaum
die ersten Sätze finden. Doch führten mich die
Schilderungen meiner Reise und des Aufenthaltes
im Pfarrhause, so wie der sonstigen Erlebnisse
bald in das Geleise zurück, und meine Beschrei¬
bung fiel nur allzu geschmückt und prahlerisch
aus. Ich trug ein großes Behagen zur Schau

Drittes Kapitel.

Ich konnte den unbeſtimmten Zwiſchenzuſtand
nun nicht laͤnger ertragen, ſondern ſuchte unter
meinen Sachen nach einem feinen Blaͤttchen
Papier, um einen Brief an meine Mutter zu
ſchreiben, den erſten in meinem Leben. Als ich
ganz zu oberſt am Rande das »Liebe Mutter!«
hinſetzte, ſchwebte ſie mir in einem neuen Lichte
vor, ich empfand dieſen feinen Fortſchritt und
Ernſt des Lebens wohl und meine Schreibgelaͤu¬
figkeit ließ mich anfaͤnglich im Stiche und kaum
die erſten Saͤtze finden. Doch fuͤhrten mich die
Schilderungen meiner Reiſe und des Aufenthaltes
im Pfarrhauſe, ſo wie der ſonſtigen Erlebniſſe
bald in das Geleiſe zuruͤck, und meine Beſchrei¬
bung fiel nur allzu geſchmuͤckt und prahleriſch
aus. Ich trug ein großes Behagen zur Schau

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0089" n="[79]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Drittes Kapitel.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Ich konnte den unbe&#x017F;timmten Zwi&#x017F;chenzu&#x017F;tand<lb/>
nun nicht la&#x0364;nger ertragen, &#x017F;ondern &#x017F;uchte unter<lb/>
meinen Sachen nach einem feinen Bla&#x0364;ttchen<lb/>
Papier, um einen Brief an meine Mutter zu<lb/>
&#x017F;chreiben, den er&#x017F;ten in meinem Leben. Als ich<lb/>
ganz zu ober&#x017F;t am Rande das »Liebe Mutter!«<lb/>
hin&#x017F;etzte, &#x017F;chwebte &#x017F;ie mir in einem neuen Lichte<lb/>
vor, ich empfand die&#x017F;en feinen Fort&#x017F;chritt und<lb/>
Ern&#x017F;t des Lebens wohl und meine Schreibgela&#x0364;<lb/>
figkeit ließ mich anfa&#x0364;nglich im Stiche und kaum<lb/>
die er&#x017F;ten Sa&#x0364;tze finden. Doch fu&#x0364;hrten mich die<lb/>
Schilderungen meiner Rei&#x017F;e und des Aufenthaltes<lb/>
im Pfarrhau&#x017F;e, &#x017F;o wie der &#x017F;on&#x017F;tigen Erlebni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
bald in das Gelei&#x017F;e zuru&#x0364;ck, und meine Be&#x017F;chrei¬<lb/>
bung fiel nur allzu ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt und prahleri&#x017F;ch<lb/>
aus. Ich trug ein großes Behagen zur Schau<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[79]/0089] Drittes Kapitel. Ich konnte den unbeſtimmten Zwiſchenzuſtand nun nicht laͤnger ertragen, ſondern ſuchte unter meinen Sachen nach einem feinen Blaͤttchen Papier, um einen Brief an meine Mutter zu ſchreiben, den erſten in meinem Leben. Als ich ganz zu oberſt am Rande das »Liebe Mutter!« hinſetzte, ſchwebte ſie mir in einem neuen Lichte vor, ich empfand dieſen feinen Fortſchritt und Ernſt des Lebens wohl und meine Schreibgelaͤu¬ figkeit ließ mich anfaͤnglich im Stiche und kaum die erſten Saͤtze finden. Doch fuͤhrten mich die Schilderungen meiner Reiſe und des Aufenthaltes im Pfarrhauſe, ſo wie der ſonſtigen Erlebniſſe bald in das Geleiſe zuruͤck, und meine Beſchrei¬ bung fiel nur allzu geſchmuͤckt und prahleriſch aus. Ich trug ein großes Behagen zur Schau

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/89
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. [79]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/89>, abgerufen am 03.12.2024.