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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Flußgang hindurch glaubte rauschen zu hören;
die vier Strahlen glänzten hell, ebenso was an
dem steinernen Brunnenritter vergoldet war, sein
Schwertknauf und sein Brustharnisch, welch letz¬
terer die Morgensonne recht eigentlich auffing,
zusammenfaßte und sein funkelndes Gold wunder¬
bar aus der dunkelgrünen Tiefe des Stromes herauf
widerscheinen ließ. Dieser reiche Brunnen stand
auf dem hohen Platze vor dem noch reicheren
Kirchenportale und sein Wasser entsprang auf
dem Berge diesseits des Flusses, auf welchem
Heinrich jetzt stand. Es war früher sein liebstes
Knabenspiel gewesen, hier oben ein Blatt oder
eine Blume in die verborgene Quelle zu stecken,
dann neben den hölzernen Röhren hinab, über
die lange Brücke, die Stadt hinauf zu dem
Brunnen zu laufen und sich zu freuen, wenn zu
gleicher Zeit oben das Zeichen aus der Röhre in
das Becken sprang: manchmal kam es auch nicht
wieder zum Vorschein. Er pflückte eine eben
aufgehende Primel und eilte nach der Brunnen¬
stube, deren Deckel er zu heben wußte; dann
eilte er die unzähligen Stufen zwischen wuchern¬

Flußgang hindurch glaubte rauſchen zu hoͤren;
die vier Strahlen glaͤnzten hell, ebenſo was an
dem ſteinernen Brunnenritter vergoldet war, ſein
Schwertknauf und ſein Bruſtharniſch, welch letz¬
terer die Morgenſonne recht eigentlich auffing,
zuſammenfaßte und ſein funkelndes Gold wunder¬
bar aus der dunkelgruͤnen Tiefe des Stromes herauf
widerſcheinen ließ. Dieſer reiche Brunnen ſtand
auf dem hohen Platze vor dem noch reicheren
Kirchenportale und ſein Waſſer entſprang auf
dem Berge diesſeits des Fluſſes, auf welchem
Heinrich jetzt ſtand. Es war fruͤher ſein liebſtes
Knabenſpiel geweſen, hier oben ein Blatt oder
eine Blume in die verborgene Quelle zu ſtecken,
dann neben den hoͤlzernen Roͤhren hinab, uͤber
die lange Bruͤcke, die Stadt hinauf zu dem
Brunnen zu laufen und ſich zu freuen, wenn zu
gleicher Zeit oben das Zeichen aus der Roͤhre in
das Becken ſprang: manchmal kam es auch nicht
wieder zum Vorſchein. Er pfluͤckte eine eben
aufgehende Primel und eilte nach der Brunnen¬
ſtube, deren Deckel er zu heben wußte; dann
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[13/0027] Flußgang hindurch glaubte rauſchen zu hoͤren; die vier Strahlen glaͤnzten hell, ebenſo was an dem ſteinernen Brunnenritter vergoldet war, ſein Schwertknauf und ſein Bruſtharniſch, welch letz¬ terer die Morgenſonne recht eigentlich auffing, zuſammenfaßte und ſein funkelndes Gold wunder¬ bar aus der dunkelgruͤnen Tiefe des Stromes herauf widerſcheinen ließ. Dieſer reiche Brunnen ſtand auf dem hohen Platze vor dem noch reicheren Kirchenportale und ſein Waſſer entſprang auf dem Berge diesſeits des Fluſſes, auf welchem Heinrich jetzt ſtand. Es war fruͤher ſein liebſtes Knabenſpiel geweſen, hier oben ein Blatt oder eine Blume in die verborgene Quelle zu ſtecken, dann neben den hoͤlzernen Roͤhren hinab, uͤber die lange Bruͤcke, die Stadt hinauf zu dem Brunnen zu laufen und ſich zu freuen, wenn zu gleicher Zeit oben das Zeichen aus der Roͤhre in das Becken ſprang: manchmal kam es auch nicht wieder zum Vorſchein. Er pfluͤckte eine eben aufgehende Primel und eilte nach der Brunnen¬ ſtube, deren Deckel er zu heben wußte; dann eilte er die unzaͤhligen Stufen zwiſchen wuchern¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/27>, abgerufen am 26.04.2024.