Zweytes Moment des Geschmacksurtheils, nämlich seiner Quantität nach.
§. 6. Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird.
Diese Erklärung des Schönen kann aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohl- gefallens ohne alles Jnteresse, gefolgert werden. Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlge- fallen an demselben bey ihm selbst ohne alles Jnteresse sey, das kann derselbe nicht anders als so beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse. Denn da es sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Jnteresse) gründet, sondern der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Ge- genstande widmet, völlig frey fühlt: so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auf- finden, an die sich sein Subject allein hinge und muß es daher als in demjenigen begründet ansehen, was er auch bey jedem andern voraussetzen kann; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen. Er wird daher vom Schö-
Kants Crit. d. Urtheilskr. B
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Zweytes Moment des Geſchmacksurtheils, naͤmlich ſeiner Quantitaͤt nach.
§. 6. Das Schoͤne iſt das, was ohne Begriffe, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgeſtellt wird.
Dieſe Erklaͤrung des Schoͤnen kann aus der vorigen Erklaͤrung deſſelben, als eines Gegenſtandes des Wohl- gefallens ohne alles Jntereſſe, gefolgert werden. Denn das, wovon jemand ſich bewußt iſt, daß das Wohlge- fallen an demſelben bey ihm ſelbſt ohne alles Jntereſſe ſey, das kann derſelbe nicht anders als ſo beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens fuͤr jedermann enthalten muͤſſe. Denn da es ſich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes uͤberlegtes Jntereſſe) gruͤndet, ſondern der Urtheilende ſich in Anſehung des Wohlgefallens, welches er dem Ge- genſtande widmet, voͤllig frey fuͤhlt: ſo kann er keine Privatbedingungen als Gruͤnde des Wohlgefallens auf- finden, an die ſich ſein Subject allein hinge und muß es daher als in demjenigen begruͤndet anſehen, was er auch bey jedem andern vorausſetzen kann; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein aͤhnliches Wohlgefallen zuzumuthen. Er wird daher vom Schoͤ-
Kants Crit. d. Urtheilskr. B
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Zweytes Moment
des Geſchmacksurtheils, naͤmlich ſeiner
Quantitaͤt nach.
§. 6.
Das Schoͤne iſt das, was ohne Begriffe, als
Object eines allgemeinen Wohlgefallens
vorgeſtellt wird.
Dieſe Erklaͤrung des Schoͤnen kann aus der vorigen
Erklaͤrung deſſelben, als eines Gegenſtandes des Wohl-
gefallens ohne alles Jntereſſe, gefolgert werden. Denn
das, wovon jemand ſich bewußt iſt, daß das Wohlge-
fallen an demſelben bey ihm ſelbſt ohne alles Jntereſſe
ſey, das kann derſelbe nicht anders als ſo beurtheilen,
daß es einen Grund des Wohlgefallens fuͤr jedermann
enthalten muͤſſe. Denn da es ſich nicht auf irgend eine
Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes
uͤberlegtes Jntereſſe) gruͤndet, ſondern der Urtheilende
ſich in Anſehung des Wohlgefallens, welches er dem Ge-
genſtande widmet, voͤllig frey fuͤhlt: ſo kann er keine
Privatbedingungen als Gruͤnde des Wohlgefallens auf-
finden, an die ſich ſein Subject allein hinge und muß es
daher als in demjenigen begruͤndet anſehen, was er auch
bey jedem andern vorausſetzen kann; folglich muß er
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/81>, abgerufen am 21.12.2024.
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