Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
Angst vor das übermächtige Wesen, dessen Willen der
erschreckte Mensch sich unterworfen sieht, ohne ihn doch
hochzuschätzen, im Gemüthe gründet, woraus denn
freylich nichts als Gunstbewerbung und Einschmeiche-
lung, statt einer Religion des guten Lebenswandels ent-
springen kann.

Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur,
sondern nur in unserm Gemüthe enthalten, sofern wir
der Natur in uns und dadurch auch der Natur (sofern
sie auf uns einfließt) außer uns, überlegen zu seyn uns
bewußt werden können. Alles, was dieses Gefühl in
uns erregt, wozu die Macht der Natur gehört, welche
unsere Kräfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei-
gentlich) erhaben, und nur unter der Voraussetzung
dieser Jdee in uns und in Beziehung auf sie sind wir
fähig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Wesens zu
gelangen, welches nicht blos durch seine Macht die es
in der Natur beweiset, innige Achtung in uns wirkt,
sondern noch mehr durch das Vermögen, welches in uns
gelegt ist, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unsere
Bestimmung als über sie erhaben zu denken.

§. 29.
Von der Modalität des Urtheils über das
Erhabene der Natur.

Es giebt unzählige Dinge der schönen Natur, dar-
über wir Einstimmigkeit des Urtheils mit dem unsrigen

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Angſt vor das uͤbermaͤchtige Weſen, deſſen Willen der
erſchreckte Menſch ſich unterworfen ſieht, ohne ihn doch
hochzuſchaͤtzen, im Gemuͤthe gruͤndet, woraus denn
freylich nichts als Gunſtbewerbung und Einſchmeiche-
lung, ſtatt einer Religion des guten Lebenswandels ent-
ſpringen kann.

Alſo iſt die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur,
ſondern nur in unſerm Gemuͤthe enthalten, ſofern wir
der Natur in uns und dadurch auch der Natur (ſofern
ſie auf uns einfließt) außer uns, uͤberlegen zu ſeyn uns
bewußt werden koͤnnen. Alles, was dieſes Gefuͤhl in
uns erregt, wozu die Macht der Natur gehoͤrt, welche
unſere Kraͤfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei-
gentlich) erhaben, und nur unter der Vorausſetzung
dieſer Jdee in uns und in Beziehung auf ſie ſind wir
faͤhig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Weſens zu
gelangen, welches nicht blos durch ſeine Macht die es
in der Natur beweiſet, innige Achtung in uns wirkt,
ſondern noch mehr durch das Vermoͤgen, welches in uns
gelegt iſt, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unſere
Beſtimmung als uͤber ſie erhaben zu denken.

§. 29.
Von der Modalitaͤt des Urtheils uͤber das
Erhabene der Natur.

Es giebt unzaͤhlige Dinge der ſchoͤnen Natur, dar-
uͤber wir Einſtimmigkeit des Urtheils mit dem unſrigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0172" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Ang&#x017F;t vor das u&#x0364;berma&#x0364;chtige We&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en Willen der<lb/>
er&#x017F;chreckte Men&#x017F;ch &#x017F;ich unterworfen &#x017F;ieht, ohne ihn doch<lb/>
hochzu&#x017F;cha&#x0364;tzen, im Gemu&#x0364;the gru&#x0364;ndet, woraus denn<lb/>
freylich nichts als Gun&#x017F;tbewerbung und Ein&#x017F;chmeiche-<lb/>
lung, &#x017F;tatt einer Religion des guten Lebenswandels ent-<lb/>
&#x017F;pringen kann.</p><lb/>
                <p>Al&#x017F;o i&#x017F;t die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur,<lb/>
&#x017F;ondern nur in un&#x017F;erm Gemu&#x0364;the enthalten, &#x017F;ofern wir<lb/>
der Natur in uns und dadurch auch der Natur (&#x017F;ofern<lb/>
&#x017F;ie auf uns einfließt) außer uns, u&#x0364;berlegen zu &#x017F;eyn uns<lb/>
bewußt werden ko&#x0364;nnen. Alles, was die&#x017F;es Gefu&#x0364;hl in<lb/>
uns erregt, wozu die <hi rendition="#fr">Macht</hi> der Natur geho&#x0364;rt, welche<lb/>
un&#x017F;ere Kra&#x0364;fte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei-<lb/>
gentlich) erhaben, und nur unter der Voraus&#x017F;etzung<lb/>
die&#x017F;er Jdee in uns und in Beziehung auf &#x017F;ie &#x017F;ind wir<lb/>
fa&#x0364;hig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen We&#x017F;ens zu<lb/>
gelangen, welches nicht blos durch &#x017F;eine Macht die es<lb/>
in der Natur bewei&#x017F;et, innige Achtung in uns wirkt,<lb/>
&#x017F;ondern noch mehr durch das Vermo&#x0364;gen, welches in uns<lb/>
gelegt i&#x017F;t, jene ohne Furcht zu beurtheilen und un&#x017F;ere<lb/>
Be&#x017F;timmung als u&#x0364;ber &#x017F;ie erhaben zu denken.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">§. 29.<lb/>
Von der Modalita&#x0364;t des Urtheils u&#x0364;ber das<lb/>
Erhabene der Natur.</hi> </head><lb/>
                <p>Es giebt unza&#x0364;hlige Dinge der &#x017F;cho&#x0364;nen Natur, dar-<lb/>
u&#x0364;ber wir Ein&#x017F;timmigkeit des Urtheils mit dem un&#x017F;rigen<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0172] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Angſt vor das uͤbermaͤchtige Weſen, deſſen Willen der erſchreckte Menſch ſich unterworfen ſieht, ohne ihn doch hochzuſchaͤtzen, im Gemuͤthe gruͤndet, woraus denn freylich nichts als Gunſtbewerbung und Einſchmeiche- lung, ſtatt einer Religion des guten Lebenswandels ent- ſpringen kann. Alſo iſt die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, ſondern nur in unſerm Gemuͤthe enthalten, ſofern wir der Natur in uns und dadurch auch der Natur (ſofern ſie auf uns einfließt) außer uns, uͤberlegen zu ſeyn uns bewußt werden koͤnnen. Alles, was dieſes Gefuͤhl in uns erregt, wozu die Macht der Natur gehoͤrt, welche unſere Kraͤfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei- gentlich) erhaben, und nur unter der Vorausſetzung dieſer Jdee in uns und in Beziehung auf ſie ſind wir faͤhig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Weſens zu gelangen, welches nicht blos durch ſeine Macht die es in der Natur beweiſet, innige Achtung in uns wirkt, ſondern noch mehr durch das Vermoͤgen, welches in uns gelegt iſt, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unſere Beſtimmung als uͤber ſie erhaben zu denken. §. 29. Von der Modalitaͤt des Urtheils uͤber das Erhabene der Natur. Es giebt unzaͤhlige Dinge der ſchoͤnen Natur, dar- uͤber wir Einſtimmigkeit des Urtheils mit dem unſrigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/172
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/172>, abgerufen am 21.12.2024.