Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
Milchstraße, und der unermeslichen Menge solcher Milch-
straßensystemen unter dem Nahmen der Nebelsterne, wel-
che vermuthlich wiederum ein dergleichen System unter
sich ausmachen, lassen uns hier keine Grenzen erwarten.
Nun liegt das Erhabene, bey der ästhetischen Beurthei-
lung eines so unermeslichen Ganzen, nicht sowohl in
der Größe der Zahl, als darin, daß wir im Fortschritte
immer auf desto größere Einheiten gelangen, (wozu die
systematische Abtheilung des Weltgebäudes beyträgt) die
uns alles Große in der Natur immer wiederum als klein,
eigentlich aber unsere Einbildungskraft in ihrer ganzen
Grenzlosigkeit und mit ihr die Natur als gegen die Jdee
der Vernunft, wenn sie eine ihnen angemessene Darstel-
lung verschaffen soll, verschwindend vorstellt.

§. 27.
Von der Qualität des Wohlgefallens in der
Beurtheilung des Erhabenen.

Das Gefühl der Unangemessenheit unseres Vermö-
gens zur Erreichung einer Jdee, die für uns Gesetz
ist,
ist Achtung. Nun ist die Jdee der Zusammen-
fassung einer jeden Erscheinung, die uns gegeben wer-
den mag, in die Anschauung eines Ganzen, welche uns
durch ein Gesetz der Vernunft auferlegt ist, die kein an-
deres bestimmtes für jedermann gültiges und veränder-
liches Maas erkennt als das absolut-Ganze. Unsere
Einbildungskraft aber beweiset, selbst in ihrer größten

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Milchſtraße, und der unermeslichen Menge ſolcher Milch-
ſtraßenſyſtemen unter dem Nahmen der Nebelſterne, wel-
che vermuthlich wiederum ein dergleichen Syſtem unter
ſich ausmachen, laſſen uns hier keine Grenzen erwarten.
Nun liegt das Erhabene, bey der aͤſthetiſchen Beurthei-
lung eines ſo unermeslichen Ganzen, nicht ſowohl in
der Groͤße der Zahl, als darin, daß wir im Fortſchritte
immer auf deſto groͤßere Einheiten gelangen, (wozu die
ſyſtematiſche Abtheilung des Weltgebaͤudes beytraͤgt) die
uns alles Große in der Natur immer wiederum als klein,
eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer ganzen
Grenzloſigkeit und mit ihr die Natur als gegen die Jdee
der Vernunft, wenn ſie eine ihnen angemeſſene Darſtel-
lung verſchaffen ſoll, verſchwindend vorſtellt.

§. 27.
Von der Qualitaͤt des Wohlgefallens in der
Beurtheilung des Erhabenen.

Das Gefuͤhl der Unangemeſſenheit unſeres Vermoͤ-
gens zur Erreichung einer Jdee, die fuͤr uns Geſetz
iſt,
iſt Achtung. Nun iſt die Jdee der Zuſammen-
faſſung einer jeden Erſcheinung, die uns gegeben wer-
den mag, in die Anſchauung eines Ganzen, welche uns
durch ein Geſetz der Vernunft auferlegt iſt, die kein an-
deres beſtimmtes fuͤr jedermann guͤltiges und veraͤnder-
liches Maas erkennt als das abſolut-Ganze. Unſere
Einbildungskraft aber beweiſet, ſelbſt in ihrer groͤßten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0159" n="95"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Milch&#x017F;traße, und der unermeslichen Menge &#x017F;olcher Milch-<lb/>
&#x017F;traßen&#x017F;y&#x017F;temen unter dem Nahmen der Nebel&#x017F;terne, wel-<lb/>
che vermuthlich wiederum ein dergleichen Sy&#x017F;tem unter<lb/>
&#x017F;ich ausmachen, la&#x017F;&#x017F;en uns hier keine Grenzen erwarten.<lb/>
Nun liegt das Erhabene, bey der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Beurthei-<lb/>
lung eines &#x017F;o unermeslichen Ganzen, nicht &#x017F;owohl in<lb/>
der Gro&#x0364;ße der Zahl, als darin, daß wir im Fort&#x017F;chritte<lb/>
immer auf de&#x017F;to gro&#x0364;ßere Einheiten gelangen, (wozu die<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Abtheilung des Weltgeba&#x0364;udes beytra&#x0364;gt) die<lb/>
uns alles Große in der Natur immer wiederum als klein,<lb/>
eigentlich aber un&#x017F;ere Einbildungskraft in ihrer ganzen<lb/>
Grenzlo&#x017F;igkeit und mit ihr die Natur als gegen die Jdee<lb/>
der Vernunft, wenn &#x017F;ie eine ihnen angeme&#x017F;&#x017F;ene Dar&#x017F;tel-<lb/>
lung ver&#x017F;chaffen &#x017F;oll, ver&#x017F;chwindend vor&#x017F;tellt.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">§. 27.<lb/>
Von der Qualita&#x0364;t des Wohlgefallens in der<lb/>
Beurtheilung des Erhabenen.</hi> </head><lb/>
                <p>Das Gefu&#x0364;hl der Unangeme&#x017F;&#x017F;enheit un&#x017F;eres Vermo&#x0364;-<lb/>
gens zur Erreichung einer Jdee, <hi rendition="#fr">die fu&#x0364;r uns Ge&#x017F;etz<lb/>
i&#x017F;t,</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Achtung.</hi></hi> Nun i&#x017F;t die Jdee der Zu&#x017F;ammen-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung einer jeden Er&#x017F;cheinung, die uns gegeben wer-<lb/>
den mag, in die An&#x017F;chauung eines Ganzen, welche uns<lb/>
durch ein Ge&#x017F;etz der Vernunft auferlegt i&#x017F;t, die kein an-<lb/>
deres be&#x017F;timmtes fu&#x0364;r jedermann gu&#x0364;ltiges und vera&#x0364;nder-<lb/>
liches Maas erkennt als das ab&#x017F;olut-Ganze. Un&#x017F;ere<lb/>
Einbildungskraft aber bewei&#x017F;et, &#x017F;elb&#x017F;t in ihrer gro&#x0364;ßten<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0159] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Milchſtraße, und der unermeslichen Menge ſolcher Milch- ſtraßenſyſtemen unter dem Nahmen der Nebelſterne, wel- che vermuthlich wiederum ein dergleichen Syſtem unter ſich ausmachen, laſſen uns hier keine Grenzen erwarten. Nun liegt das Erhabene, bey der aͤſthetiſchen Beurthei- lung eines ſo unermeslichen Ganzen, nicht ſowohl in der Groͤße der Zahl, als darin, daß wir im Fortſchritte immer auf deſto groͤßere Einheiten gelangen, (wozu die ſyſtematiſche Abtheilung des Weltgebaͤudes beytraͤgt) die uns alles Große in der Natur immer wiederum als klein, eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer ganzen Grenzloſigkeit und mit ihr die Natur als gegen die Jdee der Vernunft, wenn ſie eine ihnen angemeſſene Darſtel- lung verſchaffen ſoll, verſchwindend vorſtellt. §. 27. Von der Qualitaͤt des Wohlgefallens in der Beurtheilung des Erhabenen. Das Gefuͤhl der Unangemeſſenheit unſeres Vermoͤ- gens zur Erreichung einer Jdee, die fuͤr uns Geſetz iſt, iſt Achtung. Nun iſt die Jdee der Zuſammen- faſſung einer jeden Erſcheinung, die uns gegeben wer- den mag, in die Anſchauung eines Ganzen, welche uns durch ein Geſetz der Vernunft auferlegt iſt, die kein an- deres beſtimmtes fuͤr jedermann guͤltiges und veraͤnder- liches Maas erkennt als das abſolut-Ganze. Unſere Einbildungskraft aber beweiſet, ſelbſt in ihrer groͤßten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/159
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/159>, abgerufen am 20.11.2024.