Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Methodenlehre III. Hauptst.
Der
Transscendentalen Methodenlehre
Drittes Hauptstück.
Die
Architectonik der reinen Vernunft.

Ich verstehe unter einer Architectonik die Kunst der
Systeme. Weil die systematische Einheit dasienige
ist, was gemeine Erkentniß allererst zur Wissenschaft, d. i.
aus einem blossen Aggregat derselben ein System macht,
so ist Architectonik: die Lehre des scientifischen in unserer
Erkentniß überhaupt und sie gehört also nothwendig zur
Methodenlehre.

Unter der Regierung der Vernunft dürfen unsere Er-
kentnisse überhaupt keine Rhapsodie, sondern sie müssen
ein System ausmachen, in welchem sie allein die wesent-
lichen Zwecke derselben unterstützen und befördern können.
Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der
mannigfaltigen Erkentnisse unter einer Idee. Diese ist
der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern
durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen so wol,
als die Stelle der Theile unter einander, a priori bestimt
wird. Der scientifische Vernunftbegriff enthält also den
Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben con-
gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle Theile
und in der Idee desselben auch untereinander beziehen, macht,
daß ein ieder Theil bey der Kentniß der übrigen vermißt

wer-
Methodenlehre III. Hauptſt.
Der
Transſcendentalen Methodenlehre
Drittes Hauptſtuͤck.
Die
Architectonik der reinen Vernunft.

Ich verſtehe unter einer Architectonik die Kunſt der
Syſteme. Weil die ſyſtematiſche Einheit dasienige
iſt, was gemeine Erkentniß allererſt zur Wiſſenſchaft, d. i.
aus einem bloſſen Aggregat derſelben ein Syſtem macht,
ſo iſt Architectonik: die Lehre des ſcientifiſchen in unſerer
Erkentniß uͤberhaupt und ſie gehoͤrt alſo nothwendig zur
Methodenlehre.

Unter der Regierung der Vernunft duͤrfen unſere Er-
kentniſſe uͤberhaupt keine Rhapſodie, ſondern ſie muͤſſen
ein Syſtem ausmachen, in welchem ſie allein die weſent-
lichen Zwecke derſelben unterſtuͤtzen und befoͤrdern koͤnnen.
Ich verſtehe aber unter einem Syſteme die Einheit der
mannigfaltigen Erkentniſſe unter einer Idee. Dieſe iſt
der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, ſo fern
durch denſelben der Umfang des Mannigfaltigen ſo wol,
als die Stelle der Theile unter einander, a priori beſtimt
wird. Der ſcientifiſche Vernunftbegriff enthaͤlt alſo den
Zweck und die Form des Ganzen, das mit demſelben con-
gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf ſich alle Theile
und in der Idee deſſelben auch untereinander beziehen, macht,
daß ein ieder Theil bey der Kentniß der uͤbrigen vermißt

wer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0862" n="832"/>
        <fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der</hi><lb/>
Trans&#x017F;cendentalen Methodenlehre<lb/><hi rendition="#g">Drittes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck</hi>.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Die</hi><lb/> <hi rendition="#b">Architectonik der reinen Vernunft.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch ver&#x017F;tehe unter einer Architectonik die Kun&#x017F;t der<lb/>
Sy&#x017F;teme. Weil die &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Einheit dasienige<lb/>
i&#x017F;t, was gemeine Erkentniß allerer&#x017F;t zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, d. i.<lb/>
aus einem blo&#x017F;&#x017F;en Aggregat der&#x017F;elben ein Sy&#x017F;tem macht,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t Architectonik: die Lehre des &#x017F;cientifi&#x017F;chen in un&#x017F;erer<lb/>
Erkentniß u&#x0364;berhaupt und &#x017F;ie geho&#x0364;rt al&#x017F;o nothwendig zur<lb/>
Methodenlehre.</p><lb/>
          <p>Unter der Regierung der Vernunft du&#x0364;rfen un&#x017F;ere Er-<lb/>
kentni&#x017F;&#x017F;e u&#x0364;berhaupt keine Rhap&#x017F;odie, &#x017F;ondern &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ein Sy&#x017F;tem ausmachen, in welchem &#x017F;ie allein die we&#x017F;ent-<lb/>
lichen Zwecke der&#x017F;elben unter&#x017F;tu&#x0364;tzen und befo&#x0364;rdern ko&#x0364;nnen.<lb/>
Ich ver&#x017F;tehe aber unter einem Sy&#x017F;teme die Einheit der<lb/>
mannigfaltigen Erkentni&#x017F;&#x017F;e unter einer Idee. Die&#x017F;e i&#x017F;t<lb/>
der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, &#x017F;o fern<lb/>
durch den&#x017F;elben der Umfang des Mannigfaltigen &#x017F;o wol,<lb/>
als die Stelle der Theile unter einander, <hi rendition="#aq">a priori</hi> be&#x017F;timt<lb/>
wird. Der &#x017F;cientifi&#x017F;che Vernunftbegriff entha&#x0364;lt al&#x017F;o den<lb/>
Zweck und die Form des Ganzen, das mit dem&#x017F;elben con-<lb/>
gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf &#x017F;ich alle Theile<lb/>
und in der Idee de&#x017F;&#x017F;elben auch untereinander beziehen, macht,<lb/>
daß ein ieder Theil bey der Kentniß der u&#x0364;brigen vermißt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[832/0862] Methodenlehre III. Hauptſt. Der Transſcendentalen Methodenlehre Drittes Hauptſtuͤck. Die Architectonik der reinen Vernunft. Ich verſtehe unter einer Architectonik die Kunſt der Syſteme. Weil die ſyſtematiſche Einheit dasienige iſt, was gemeine Erkentniß allererſt zur Wiſſenſchaft, d. i. aus einem bloſſen Aggregat derſelben ein Syſtem macht, ſo iſt Architectonik: die Lehre des ſcientifiſchen in unſerer Erkentniß uͤberhaupt und ſie gehoͤrt alſo nothwendig zur Methodenlehre. Unter der Regierung der Vernunft duͤrfen unſere Er- kentniſſe uͤberhaupt keine Rhapſodie, ſondern ſie muͤſſen ein Syſtem ausmachen, in welchem ſie allein die weſent- lichen Zwecke derſelben unterſtuͤtzen und befoͤrdern koͤnnen. Ich verſtehe aber unter einem Syſteme die Einheit der mannigfaltigen Erkentniſſe unter einer Idee. Dieſe iſt der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, ſo fern durch denſelben der Umfang des Mannigfaltigen ſo wol, als die Stelle der Theile unter einander, a priori beſtimt wird. Der ſcientifiſche Vernunftbegriff enthaͤlt alſo den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demſelben con- gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf ſich alle Theile und in der Idee deſſelben auch untereinander beziehen, macht, daß ein ieder Theil bey der Kentniß der uͤbrigen vermißt wer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/862
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 832. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/862>, abgerufen am 03.12.2024.