Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Absch. Gründe zur Möglichkeit der Erfahr.
3.
Von der Synthesis
der
Recognition im Begriffe.

Ohne Bewustseyn, daß das, was wir denken, eben
dasselbe sey, was wir einen Augenblick zuvor dachten,
würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellun-
gen vergeblich seyn. Denn es wäre eine neue Vorstel-
lung im ietzigen Zustande, die zu dem Actus, wodurch sie
nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehö-
rete, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein
Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die
ihm nur das Bewustseyn verschaffen kan. Vergesse ich
im Zählen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen
schweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan
worden sind, so würde ich die Erzeugung der Menge,
durch diese successive Hinzuthuung von Einem zu Einem,
mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff be-
steht lediglich in dem Bewustseyn dieser Einheit der Syn-
thesis.

Das Wort Begriff könte uns schon von selbst zu
dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses eine
Bewustseyn ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach
Angeschaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor-
stellung vereinigt. Dieses Bewustseyn kan oft nur schwach
seyn, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in
dem Actus selbst, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung

der
G 4
II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr.
3.
Von der Syntheſis
der
Recognition im Begriffe.

Ohne Bewuſtſeyn, daß das, was wir denken, eben
daſſelbe ſey, was wir einen Augenblick zuvor dachten,
wuͤrde alle Reproduction in der Reihe der Vorſtellun-
gen vergeblich ſeyn. Denn es waͤre eine neue Vorſtel-
lung im ietzigen Zuſtande, die zu dem Actus, wodurch ſie
nach und nach hat erzeugt werden ſollen, gar nicht gehoͤ-
rete, und das Mannigfaltige derſelben wuͤrde immer kein
Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die
ihm nur das Bewuſtſeyn verſchaffen kan. Vergeſſe ich
im Zaͤhlen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen
ſchweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan
worden ſind, ſo wuͤrde ich die Erzeugung der Menge,
durch dieſe ſucceſſive Hinzuthuung von Einem zu Einem,
mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieſer Begriff be-
ſteht lediglich in dem Bewuſtſeyn dieſer Einheit der Syn-
theſis.

Das Wort Begriff koͤnte uns ſchon von ſelbſt zu
dieſer Bemerkung Anleitung geben. Denn dieſes eine
Bewuſtſeyn iſt es, was das Mannigfaltige, nach und nach
Angeſchaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor-
ſtellung vereinigt. Dieſes Bewuſtſeyn kan oft nur ſchwach
ſeyn, ſo daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in
dem Actus ſelbſt, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung

der
G 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0133" n="103"/>
                  <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch. Gru&#x0364;nde zur Mo&#x0364;glichkeit der Erfahr.</fw><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>3.<lb/>
Von der Synthe&#x017F;is<lb/><hi rendition="#g">der<lb/><hi rendition="#b">Recognition im Begriffe.</hi></hi></head><lb/>
                    <p>Ohne Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn, daß das, was wir denken, eben<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe &#x017F;ey, was wir einen Augenblick zuvor dachten,<lb/>
wu&#x0364;rde alle Reproduction in der Reihe der Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen vergeblich &#x017F;eyn. Denn es wa&#x0364;re eine neue Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung im ietzigen Zu&#x017F;tande, die zu dem Actus, wodurch &#x017F;ie<lb/>
nach und nach hat erzeugt werden &#x017F;ollen, gar nicht geho&#x0364;-<lb/>
rete, und das Mannigfaltige der&#x017F;elben wu&#x0364;rde immer kein<lb/>
Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die<lb/>
ihm nur das Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn ver&#x017F;chaffen kan. Verge&#x017F;&#x017F;e ich<lb/>
im Za&#x0364;hlen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen<lb/>
&#x017F;chweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan<lb/>
worden &#x017F;ind, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich die Erzeugung der Menge,<lb/>
durch die&#x017F;e &#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;ive Hinzuthuung von Einem zu Einem,<lb/>
mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn die&#x017F;er Begriff be-<lb/>
&#x017F;teht lediglich in dem Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn die&#x017F;er Einheit der Syn-<lb/>
the&#x017F;is.</p><lb/>
                    <p>Das Wort Begriff ko&#x0364;nte uns &#x017F;chon von &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
die&#x017F;er Bemerkung Anleitung geben. Denn die&#x017F;es eine<lb/>
Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn i&#x017F;t es, was das Mannigfaltige, nach und nach<lb/>
Ange&#x017F;chaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor-<lb/>
&#x017F;tellung vereinigt. Die&#x017F;es Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn kan oft nur &#x017F;chwach<lb/>
&#x017F;eyn, &#x017F;o daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in<lb/>
dem Actus &#x017F;elb&#x017F;t, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0133] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. 3. Von der Syntheſis der Recognition im Begriffe. Ohne Bewuſtſeyn, daß das, was wir denken, eben daſſelbe ſey, was wir einen Augenblick zuvor dachten, wuͤrde alle Reproduction in der Reihe der Vorſtellun- gen vergeblich ſeyn. Denn es waͤre eine neue Vorſtel- lung im ietzigen Zuſtande, die zu dem Actus, wodurch ſie nach und nach hat erzeugt werden ſollen, gar nicht gehoͤ- rete, und das Mannigfaltige derſelben wuͤrde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewuſtſeyn verſchaffen kan. Vergeſſe ich im Zaͤhlen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen ſchweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan worden ſind, ſo wuͤrde ich die Erzeugung der Menge, durch dieſe ſucceſſive Hinzuthuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieſer Begriff be- ſteht lediglich in dem Bewuſtſeyn dieſer Einheit der Syn- theſis. Das Wort Begriff koͤnte uns ſchon von ſelbſt zu dieſer Bemerkung Anleitung geben. Denn dieſes eine Bewuſtſeyn iſt es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeſchaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor- ſtellung vereinigt. Dieſes Bewuſtſeyn kan oft nur ſchwach ſeyn, ſo daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Actus ſelbſt, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung der G 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/133
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/133>, abgerufen am 30.12.2024.