Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.Wollte aber jemand annehmen, es sey je- mand, dessen Vernunft von unerkannten Jrrthümern gantz rein wäre, so frage ich, wer ist denn derjenige? Es wird zwar kei- ner von den Philosophen so unverschämt seyn, und sagen: Er sey es. Jn der That aber setzt mancher bey dem Gebrauch obi- ger Grund-Regel zum Voraus, er sey der- jenige, der alle andere Philosophen übersehe, und seine Sätze seyn lauter Wahrheiten einer reinen Vernunft. Bey einem sol- chen aber hat obige Grund-Regel folgende Bedeutung: Was mit seiner Ver- nunft streite, könne in der Schrift nicht stehen, und eine Erklärung, die seinen Sätzen widerspreche, sey falsch. Jst aber dieser Ausspruch zu ertragen? Wer selbigen gebraucht, erhebt sich dersel- be nicht über alle Menschen, und macht sich zu dem einigen, welcher eine reine Ver- nunft besitzet? Sollten sich die Weisen nicht schämen einen solchen Satz anzu- nehmen? §. XVII. Soll derowegen obige Grund-RegelFortse- solchen C 5
Wollte aber jemand annehmen, es ſey je- mand, deſſen Vernunft von unerkannten Jrrthuͤmern gantz rein waͤre, ſo frage ich, wer iſt denn derjenige? Es wird zwar kei- ner von den Philoſophen ſo unverſchaͤmt ſeyn, und ſagen: Er ſey es. Jn der That aber ſetzt mancher bey dem Gebrauch obi- ger Grund-Regel zum Voraus, er ſey der- jenige, der alle andere Philoſophen uͤberſehe, und ſeine Saͤtze ſeyn lauter Wahrheiten einer reinen Vernunft. Bey einem ſol- chen aber hat obige Grund-Regel folgende Bedeutung: Was mit ſeiner Ver- nunft ſtreite, koͤnne in der Schrift nicht ſtehen, und eine Erklaͤrung, die ſeinen Saͤtzen widerſpreche, ſey falſch. Jſt aber dieſer Ausſpruch zu ertragen? Wer ſelbigen gebraucht, erhebt ſich derſel- be nicht uͤber alle Menſchen, und macht ſich zu dem einigen, welcher eine reine Ver- nunft beſitzet? Sollten ſich die Weiſen nicht ſchaͤmen einen ſolchen Satz anzu- nehmen? §. XVII. Soll derowegen obige Grund-RegelFortſe- ſolchen C 5
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Wollte aber jemand annehmen, es ſey je-
mand, deſſen Vernunft von unerkannten
Jrrthuͤmern gantz rein waͤre, ſo frage ich,
wer iſt denn derjenige? Es wird zwar kei-
ner von den Philoſophen ſo unverſchaͤmt
ſeyn, und ſagen: Er ſey es. Jn der That
aber ſetzt mancher bey dem Gebrauch obi-
ger Grund-Regel zum Voraus, er ſey der-
jenige, der alle andere Philoſophen uͤberſehe,
und ſeine Saͤtze ſeyn lauter Wahrheiten
einer reinen Vernunft. Bey einem ſol-
chen aber hat obige Grund-Regel folgende
Bedeutung: Was mit ſeiner Ver-
nunft ſtreite, koͤnne in der Schrift
nicht ſtehen, und eine Erklaͤrung, die
ſeinen Saͤtzen widerſpreche, ſey falſch.
Jſt aber dieſer Ausſpruch zu ertragen?
Wer ſelbigen gebraucht, erhebt ſich derſel-
be nicht uͤber alle Menſchen, und macht ſich
zu dem einigen, welcher eine reine Ver-
nunft beſitzet? Sollten ſich die Weiſen
nicht ſchaͤmen einen ſolchen Satz anzu-
nehmen?
§. XVII.
Soll derowegen obige Grund-Regel
brauchtbar werden, ſo muß man ſie folgen-
der Geſtalt einſchraͤncken: Was mit
ſolchen
Fortſe-
tzung eben
deſſelben.
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Zitationshilfe: | Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/59>, abgerufen am 21.02.2025. |