Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





ben selbige andern zu unterrichten, und sie
zu nöthiger Arbeit anzuführen, biß denn
endlich die Kinder nach langen Jahren
selbst in den Stand kommen, ihren Unter-
halt zu suchen und zu besorgen. Und auf die-
se Arth gelangen die Kinder durch langen
Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver-
mögen ihren Verstand zu gebrauchen, und
werden gewöhnet ein gesellschafftliches Le-
ben mit andern zu führen.

§. 9.
Ohne ei-
nen sehr
schwachen
Leib wür-
den die
Kinder
schwehr-
lich Spra-
chen ler-
nen und
zur Ver-
nunfft
kommen.

Man stelle sich nun vor, die Kinder
würden nicht so schwächlich und hinfällig
gebohren, sondern könten, wie die Thiere,
nach wenigen Wochen ihre Eltern verlas-
sen und ihre Nahrung selber suchen, wür-
den sich erstlich die Eltern wol so viel Mü-
he wegen der Kinder geben? Würden sie
sich so lange mit ihnen schleppen? Wür-
den sie ihnen so viel zureden, wenn sie an-
fiengen zu weinen? Es würde dieses alles
schwehrlich statt finden. Gesetzt aber, die
Eltern wolten alle diese Mühe über sich
nehmen, würde das Kind auch wol bey
den Eltern bleiben? Würde es sich wol
durch die Schärffe zu etwas anhalten las-
sen? Würde es Stock und Schläge vor-
lieb nehmen? Würde es nicht bey dem er-

sten





ben ſelbige andern zu unterrichten, und ſie
zu noͤthiger Arbeit anzufuͤhren, biß denn
endlich die Kinder nach langen Jahren
ſelbſt in den Stand kommen, ihren Unter-
halt zu ſuchen und zu beſorgen. Und auf die-
ſe Arth gelangen die Kinder durch langen
Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver-
moͤgen ihren Verſtand zu gebrauchen, und
werden gewoͤhnet ein geſellſchafftliches Le-
ben mit andern zu fuͤhren.

§. 9.
Ohne ei-
nen ſehr
ſchwachẽ
Leib wuͤr-
den die
Kinder
ſchwehr-
lich Spra-
chen ler-
nen und
zur Ver-
nunfft
kommen.

Man ſtelle ſich nun vor, die Kinder
wuͤrden nicht ſo ſchwaͤchlich und hinfaͤllig
gebohren, ſondern koͤnten, wie die Thiere,
nach wenigen Wochen ihre Eltern verlaſ-
ſen und ihre Nahrung ſelber ſuchen, wuͤr-
den ſich erſtlich die Eltern wol ſo viel Muͤ-
he wegen der Kinder geben? Wuͤrden ſie
ſich ſo lange mit ihnen ſchleppen? Wuͤr-
den ſie ihnen ſo viel zureden, wenn ſie an-
fiengen zu weinen? Es wuͤrde dieſes alles
ſchwehrlich ſtatt finden. Geſetzt aber, die
Eltern wolten alle dieſe Muͤhe uͤber ſich
nehmen, wuͤrde das Kind auch wol bey
den Eltern bleiben? Wuͤrde es ſich wol
durch die Schaͤrffe zu etwas anhalten laſ-
ſen? Wuͤrde es Stock und Schlaͤge vor-
lieb nehmen? Wuͤrde es nicht bey dem er-

ſten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0086" n="50"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ben &#x017F;elbige andern zu unterrichten, und &#x017F;ie<lb/>
zu no&#x0364;thiger Arbeit anzufu&#x0364;hren, biß denn<lb/>
endlich die Kinder nach langen Jahren<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in den Stand kommen, ihren Unter-<lb/>
halt zu &#x017F;uchen und zu be&#x017F;orgen. Und auf die-<lb/>
&#x017F;e Arth gelangen die Kinder durch langen<lb/>
Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen ihren Ver&#x017F;tand zu gebrauchen, und<lb/>
werden gewo&#x0364;hnet ein ge&#x017F;ell&#x017F;chafftliches Le-<lb/>
ben mit andern zu fu&#x0364;hren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 9.</head><lb/>
            <note place="left">Ohne ei-<lb/>
nen &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chwache&#x0303;<lb/>
Leib wu&#x0364;r-<lb/>
den die<lb/>
Kinder<lb/>
&#x017F;chwehr-<lb/>
lich Spra-<lb/>
chen ler-<lb/>
nen und<lb/>
zur Ver-<lb/>
nunfft<lb/>
kommen.</note>
            <p>Man &#x017F;telle &#x017F;ich nun vor, die Kinder<lb/>
wu&#x0364;rden nicht &#x017F;o &#x017F;chwa&#x0364;chlich und hinfa&#x0364;llig<lb/>
gebohren, &#x017F;ondern ko&#x0364;nten, wie die Thiere,<lb/>
nach wenigen Wochen ihre Eltern verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en und ihre Nahrung &#x017F;elber &#x017F;uchen, wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x017F;ich er&#x017F;tlich die Eltern wol &#x017F;o viel Mu&#x0364;-<lb/>
he wegen der Kinder geben? Wu&#x0364;rden &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o lange mit ihnen &#x017F;chleppen? Wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x017F;ie ihnen &#x017F;o viel zureden, wenn &#x017F;ie an-<lb/>
fiengen zu weinen? Es wu&#x0364;rde die&#x017F;es alles<lb/>
&#x017F;chwehrlich &#x017F;tatt finden. Ge&#x017F;etzt aber, die<lb/>
Eltern wolten alle die&#x017F;e Mu&#x0364;he u&#x0364;ber &#x017F;ich<lb/>
nehmen, wu&#x0364;rde das Kind auch wol bey<lb/>
den Eltern bleiben? Wu&#x0364;rde es &#x017F;ich wol<lb/>
durch die Scha&#x0364;rffe zu etwas anhalten la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en? Wu&#x0364;rde es Stock und Schla&#x0364;ge vor-<lb/>
lieb nehmen? Wu&#x0364;rde es nicht bey dem er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0086] ben ſelbige andern zu unterrichten, und ſie zu noͤthiger Arbeit anzufuͤhren, biß denn endlich die Kinder nach langen Jahren ſelbſt in den Stand kommen, ihren Unter- halt zu ſuchen und zu beſorgen. Und auf die- ſe Arth gelangen die Kinder durch langen Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver- moͤgen ihren Verſtand zu gebrauchen, und werden gewoͤhnet ein geſellſchafftliches Le- ben mit andern zu fuͤhren. §. 9. Man ſtelle ſich nun vor, die Kinder wuͤrden nicht ſo ſchwaͤchlich und hinfaͤllig gebohren, ſondern koͤnten, wie die Thiere, nach wenigen Wochen ihre Eltern verlaſ- ſen und ihre Nahrung ſelber ſuchen, wuͤr- den ſich erſtlich die Eltern wol ſo viel Muͤ- he wegen der Kinder geben? Wuͤrden ſie ſich ſo lange mit ihnen ſchleppen? Wuͤr- den ſie ihnen ſo viel zureden, wenn ſie an- fiengen zu weinen? Es wuͤrde dieſes alles ſchwehrlich ſtatt finden. Geſetzt aber, die Eltern wolten alle dieſe Muͤhe uͤber ſich nehmen, wuͤrde das Kind auch wol bey den Eltern bleiben? Wuͤrde es ſich wol durch die Schaͤrffe zu etwas anhalten laſ- ſen? Wuͤrde es Stock und Schlaͤge vor- lieb nehmen? Wuͤrde es nicht bey dem er- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/86
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/86>, abgerufen am 20.11.2024.