dem herbesten Fluche verknüpffet? War- um tadeln wir Blinde doch den weisesten GOTT, daß er dem Menschen einen sol- chen Stein des Anstosses vor die Füsse ge- leget, da er doch wider seine Vorsorge vor die Wohlfahrt des menschlichen Ge- schlechts gehandelt, wenn er selbiges nicht gethan hätte? Denn wäre der Mensch nicht ohne solche Versuchung und Ubung in grösserer Gefahr zu fallen gewesen, als bey derselben?
§. 7.
Warum GOtt die ersten Menschen nicht durch die blosse All- macht im Guten be- stätiget?
Vielleicht denckt jemand, warum hat denn GOTT die ersten Menschen eben durch eine solche schwehre Versuchung im Guten befestigen wollen? Warum hat er nicht beschlossen, sie ohne alle Ubungen zu Herren über die sinnlichen Begierden zu machen, und warum hat er ihnen nicht eine unveränderliche Gewohnheit im Gu- ten anerschaffen? Es würde diese Frage schwehr zu beantworten seyn, wenn aus- gemacht wäre, daß es möglich, einen freyen Geist ohne Ubung im Guten fest zu setzen. Da selbiges aber nicht kan erwiesen wer- den, so hat man vielmehr Ursach zu zweif-
feln,
dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War- um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol- chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge- leget, da er doch wider ſeine Vorſorge vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge- ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als bey derſelben?
§. 7.
Warum GOtt die erſten Menſchen nicht durch die bloſſe All- macht im Guten be- ſtaͤtiget?
Vielleicht denckt jemand, warum hat denn GOTT die erſten Menſchen eben durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im Guten befeſtigen wollen? Warum hat er nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu machen, und warum hat er ihnen nicht eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu- ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus- gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen. Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer- den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif-
feln,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0258"n="226[222]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War-<lb/>
um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten<lb/>
GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol-<lb/>
chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge-<lb/>
leget, da er doch wider ſeine Vorſorge<lb/>
vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge-<lb/>ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht<lb/>
gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch<lb/>
nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung<lb/>
in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als<lb/>
bey derſelben?</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 7.</head><lb/><noteplace="left">Warum<lb/>
GOtt die<lb/>
erſten<lb/>
Menſchen<lb/>
nicht<lb/>
durch die<lb/>
bloſſe All-<lb/>
macht im<lb/>
Guten be-<lb/>ſtaͤtiget?</note><p>Vielleicht denckt jemand, warum hat<lb/>
denn GOTT die erſten Menſchen eben<lb/>
durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im<lb/>
Guten befeſtigen wollen? Warum hat er<lb/>
nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu<lb/>
Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu<lb/>
machen, und warum hat er ihnen nicht<lb/>
eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu-<lb/>
ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage<lb/>ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus-<lb/>
gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen<lb/>
Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen.<lb/>
Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer-<lb/>
den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">feln,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[226[222]/0258]
dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War-
um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten
GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol-
chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge-
leget, da er doch wider ſeine Vorſorge
vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge-
ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht
gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch
nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung
in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als
bey derſelben?
§. 7.
Vielleicht denckt jemand, warum hat
denn GOTT die erſten Menſchen eben
durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im
Guten befeſtigen wollen? Warum hat er
nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu
Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu
machen, und warum hat er ihnen nicht
eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu-
ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage
ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus-
gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen
Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen.
Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer-
den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif-
feln,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 226[222]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/258>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.