San Fernando de Atabapo. -- San Baltasar. -- Die Flüsse Temi und Tuamini. -- Javita. -- Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro.
Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewässer des Orinoko verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten aussprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. "Sie müssen," sagte uns der Präsident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, "zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der starken Strömung der schwarzen Wasser nicht mehr weiter kommen, so führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wüsten Land- strich zwischen Orinoko und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Piroge vier Tagereisen weit über Land zum Canno Pimichin ziehen zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Südost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann den Cassiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist über den oberen Orinoko (von Ost nach West) wieder nach San Fernando." Diesen Plan entwarf man uns für unsere Flußfahrt, und wir führten ihn nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in 33 Tagen aus. Die Krümmungen in diesem Flußlabyrinth sind so stark, daß man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen könnte. Für diejenigen, welche
Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
San Fernando de Atabapo. — San Baltaſar. — Die Flüſſe Temi und Tuamini. — Javita. — Trageplatz zwiſchen dem Tuamini und dem Rio Negro.
Wir hatten in der Nacht faſt unvermerkt die Gewäſſer des Orinoko verlaſſen und ſahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land verſetzt, am Ufer eines Fluſſes, deſſen Namen wir faſt noch nie hatten ausſprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Braſiliens gelangen ſollten. „Sie müſſen,“ ſagte uns der Präſident der Miſſionen, der in San Fernando ſeinen Sitz hat, „zuerſt den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der ſtarken Strömung der ſchwarzen Waſſer nicht mehr weiter kommen, ſo führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Waſſer finden werden. Auf dieſem wüſten Land- ſtrich zwiſchen Orinoko und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Piroge vier Tagereiſen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu laſſen. Zerbricht ſie nicht, ſo fahren Sie ohne Anſtand den Rio Negro (von Nordweſt nach Südoſt) hinunter bis zur Schanze San Carlos, ſodann den Caſſiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfriſt über den oberen Orinoko (von Oſt nach Weſt) wieder nach San Fernando.“ Dieſen Plan entwarf man uns für unſere Flußfahrt, und wir führten ihn nicht ohne Beſchwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in 33 Tagen aus. Die Krümmungen in dieſem Flußlabyrinth ſind ſo ſtark, daß man ſich ohne die Reiſekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küſte von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt ſind, ſo gut als keine Vorſtellung machen könnte. Für diejenigen, welche
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[[197]/0205]
Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
San Fernando de Atabapo. — San Baltaſar. — Die Flüſſe Temi
und Tuamini. — Javita. — Trageplatz zwiſchen dem Tuamini und
dem Rio Negro.
Wir hatten in der Nacht faſt unvermerkt die Gewäſſer
des Orinoko verlaſſen und ſahen uns bei Sonnenaufgang wie
in ein anderes Land verſetzt, am Ufer eines Fluſſes, deſſen
Namen wir faſt noch nie hatten ausſprechen hören, und auf
dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro
an der Grenze Braſiliens gelangen ſollten. „Sie müſſen,“
ſagte uns der Präſident der Miſſionen, der in San Fernando
ſeinen Sitz hat, „zuerſt den Atabapo, dann den Temi, endlich
den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der ſtarken
Strömung der ſchwarzen Waſſer nicht mehr weiter kommen,
ſo führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die
Sie unter Waſſer finden werden. Auf dieſem wüſten Land-
ſtrich zwiſchen Orinoko und Rio Negro leben nur zwei Mönche,
aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Piroge vier
Tagereiſen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu
laſſen. Zerbricht ſie nicht, ſo fahren Sie ohne Anſtand den
Rio Negro (von Nordweſt nach Südoſt) hinunter bis zur
Schanze San Carlos, ſodann den Caſſiquiare (von Süd nach
Nord) herauf und kommen in Monatsfriſt über den oberen
Orinoko (von Oſt nach Weſt) wieder nach San Fernando.“
Dieſen Plan entwarf man uns für unſere Flußfahrt, und
wir führten ihn nicht ohne Beſchwerden, aber immer leicht
und ohne Gefahr in 33 Tagen aus. Die Krümmungen in
dieſem Flußlabyrinth ſind ſo ſtark, daß man ſich ohne die
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der Capitania General von Gran-Para gelangt ſind, ſo gut
als keine Vorſtellung machen könnte. Für diejenigen, welche
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. [197]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/205>, abgerufen am 22.02.2025.
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