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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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ich ihm aus Homer vorlas, wie ihn die idyllischen,
ich möchte sagen die weiblichen Stellen des Gedichts
ergriffen.

Vielleicht, weil sie seiner künstlerischen Stimmung
fruchtbarer begegneten, als die wüste Einförmigkeit
von Kampf und Gefahr. Und dann ist es doch ein
Anderes, ein Gemüth haben, für gewisse gemeinsame,
natürliche, heidnische Rührungen empfänglich, und
eines, das den Segnungen unsrer Religion geöffnet
ist. Edward war Christ; Euer Freund ist höchstens
ein äußerlicher Katholik.

Ich läugne nicht, nahm die Mutter das Wort.
ich habe mir auch schon darüber Gedanken gemacht.
Ehe man diesem Unbekannten ein Werk überträgt,
das uns Allen am Herzen liegt, würde es wenigstens
wünschenswerth sein, eine Skizze zu sehn, über die
man reden und entscheiden könnte.

Ich kenne ihn, theure Mutter, sagte Theodor mit
Nachdruck. Wäre es seine Art, den ersten Gedanken
auf ein Blättchen zu werfen, so wäre es natürlich,
über den Entwurf mit ihm zu verhandeln. Er liebt
es aber, gleich in Thon und in einiger Größe zu ent¬
werfen, und hat sich besonders ausgebeten, diesmal
eine Zeitlang arbeiten zu dürfen, ohne sich mitzuthei¬
len. Daß es auf Eure Entscheidung ankommt, weiß er.

Darauf ward eine Stille, in der die etwas leb¬
haft gesprochenen Worte des jungen Mannes em¬

ich ihm aus Homer vorlas, wie ihn die idylliſchen,
ich möchte ſagen die weiblichen Stellen des Gedichts
ergriffen.

Vielleicht, weil ſie ſeiner künſtleriſchen Stimmung
fruchtbarer begegneten, als die wüſte Einförmigkeit
von Kampf und Gefahr. Und dann iſt es doch ein
Anderes, ein Gemüth haben, für gewiſſe gemeinſame,
natürliche, heidniſche Rührungen empfänglich, und
eines, das den Segnungen unſrer Religion geöffnet
iſt. Edward war Chriſt; Euer Freund iſt höchſtens
ein äußerlicher Katholik.

Ich läugne nicht, nahm die Mutter das Wort.
ich habe mir auch ſchon darüber Gedanken gemacht.
Ehe man dieſem Unbekannten ein Werk überträgt,
das uns Allen am Herzen liegt, würde es wenigſtens
wünſchenswerth ſein, eine Skizze zu ſehn, über die
man reden und entſcheiden könnte.

Ich kenne ihn, theure Mutter, ſagte Theodor mit
Nachdruck. Wäre es ſeine Art, den erſten Gedanken
auf ein Blättchen zu werfen, ſo wäre es natürlich,
über den Entwurf mit ihm zu verhandeln. Er liebt
es aber, gleich in Thon und in einiger Größe zu ent¬
werfen, und hat ſich beſonders ausgebeten, diesmal
eine Zeitlang arbeiten zu dürfen, ohne ſich mitzuthei¬
len. Daß es auf Eure Entſcheidung ankommt, weiß er.

Darauf ward eine Stille, in der die etwas leb¬
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[181/0193] ich ihm aus Homer vorlas, wie ihn die idylliſchen, ich möchte ſagen die weiblichen Stellen des Gedichts ergriffen. Vielleicht, weil ſie ſeiner künſtleriſchen Stimmung fruchtbarer begegneten, als die wüſte Einförmigkeit von Kampf und Gefahr. Und dann iſt es doch ein Anderes, ein Gemüth haben, für gewiſſe gemeinſame, natürliche, heidniſche Rührungen empfänglich, und eines, das den Segnungen unſrer Religion geöffnet iſt. Edward war Chriſt; Euer Freund iſt höchſtens ein äußerlicher Katholik. Ich läugne nicht, nahm die Mutter das Wort. ich habe mir auch ſchon darüber Gedanken gemacht. Ehe man dieſem Unbekannten ein Werk überträgt, das uns Allen am Herzen liegt, würde es wenigſtens wünſchenswerth ſein, eine Skizze zu ſehn, über die man reden und entſcheiden könnte. Ich kenne ihn, theure Mutter, ſagte Theodor mit Nachdruck. Wäre es ſeine Art, den erſten Gedanken auf ein Blättchen zu werfen, ſo wäre es natürlich, über den Entwurf mit ihm zu verhandeln. Er liebt es aber, gleich in Thon und in einiger Größe zu ent¬ werfen, und hat ſich beſonders ausgebeten, diesmal eine Zeitlang arbeiten zu dürfen, ohne ſich mitzuthei¬ len. Daß es auf Eure Entſcheidung ankommt, weiß er. Darauf ward eine Stille, in der die etwas leb¬ haft geſprochenen Worte des jungen Mannes em¬

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/193>, abgerufen am 26.04.2024.