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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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ren, das neben ihr sein Spindelchen schwang. Eben
steigt er ins Schiff. Der Antonino soll ihn nach
Capri hinüberfahren. Maria Santissima, was sieht
der ehrwürdige Herr noch verschlafen aus! -- Und
damit winkte sie mit der Hand einem kleinen freund¬
lichen Prete zu, der unten sich eben zurechtgesetzt hatte
in der Barke, nachdem er seinen schwarzen Rock sorg¬
fältig aufgehoben und über die Holzbank gebreitet
hatte. Die Andern am Strand hielten mit der Ar¬
beit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu sehen, der
nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.

Warum muß er denn nach Capri, Großmutter?
fragte das Kind. Haben die Leute dort keinen Pfar¬
rer, daß sie unsern borgen müssen?

Sei nicht so einfältig, sagte die Alte. Genug
haben sie da und die schönsten Kirchen und sogar
einen Einsiedler, wie wir ihn nicht haben. Aber da
ist eine vornehme Signora, die hat lange hier in
Sorrent gewohnt und war sehr krank, daß der Padre
oft zu ihr mußte mit dem Hochwürdigsten, wenn sie
dachten, sie übersteht keine Nacht mehr. Nun, die
heilige Jungfrau hat ihr beigestanden, daß sie wieder
frisch und gesund worden ist und hat alle Tage im
Meere baden können. Als sie von hier fort ist, nach
Capri hinüber, hat sie noch einen schönen Haufen
Ducaten an die Kirche geschenkt und an das arme
Volk, und hat nicht fort wollen, sagen sie, ehe der

ren, das neben ihr ſein Spindelchen ſchwang. Eben
ſteigt er ins Schiff. Der Antonino ſoll ihn nach
Capri hinüberfahren. Maria Santiſſima, was ſieht
der ehrwürdige Herr noch verſchlafen aus! — Und
damit winkte ſie mit der Hand einem kleinen freund¬
lichen Prete zu, der unten ſich eben zurechtgeſetzt hatte
in der Barke, nachdem er ſeinen ſchwarzen Rock ſorg¬
fältig aufgehoben und über die Holzbank gebreitet
hatte. Die Andern am Strand hielten mit der Ar¬
beit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu ſehen, der
nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.

Warum muß er denn nach Capri, Großmutter?
fragte das Kind. Haben die Leute dort keinen Pfar¬
rer, daß ſie unſern borgen müſſen?

Sei nicht ſo einfältig, ſagte die Alte. Genug
haben ſie da und die ſchönſten Kirchen und ſogar
einen Einſiedler, wie wir ihn nicht haben. Aber da
iſt eine vornehme Signora, die hat lange hier in
Sorrent gewohnt und war ſehr krank, daß der Padre
oft zu ihr mußte mit dem Hochwürdigſten, wenn ſie
dachten, ſie überſteht keine Nacht mehr. Nun, die
heilige Jungfrau hat ihr beigeſtanden, daß ſie wieder
friſch und geſund worden iſt und hat alle Tage im
Meere baden können. Als ſie von hier fort iſt, nach
Capri hinüber, hat ſie noch einen ſchönen Haufen
Ducaten an die Kirche geſchenkt und an das arme
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[92/0104] ren, das neben ihr ſein Spindelchen ſchwang. Eben ſteigt er ins Schiff. Der Antonino ſoll ihn nach Capri hinüberfahren. Maria Santiſſima, was ſieht der ehrwürdige Herr noch verſchlafen aus! — Und damit winkte ſie mit der Hand einem kleinen freund¬ lichen Prete zu, der unten ſich eben zurechtgeſetzt hatte in der Barke, nachdem er ſeinen ſchwarzen Rock ſorg¬ fältig aufgehoben und über die Holzbank gebreitet hatte. Die Andern am Strand hielten mit der Ar¬ beit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu ſehen, der nach rechts und links freundlich nickte und grüßte. Warum muß er denn nach Capri, Großmutter? fragte das Kind. Haben die Leute dort keinen Pfar¬ rer, daß ſie unſern borgen müſſen? Sei nicht ſo einfältig, ſagte die Alte. Genug haben ſie da und die ſchönſten Kirchen und ſogar einen Einſiedler, wie wir ihn nicht haben. Aber da iſt eine vornehme Signora, die hat lange hier in Sorrent gewohnt und war ſehr krank, daß der Padre oft zu ihr mußte mit dem Hochwürdigſten, wenn ſie dachten, ſie überſteht keine Nacht mehr. Nun, die heilige Jungfrau hat ihr beigeſtanden, daß ſie wieder friſch und geſund worden iſt und hat alle Tage im Meere baden können. Als ſie von hier fort iſt, nach Capri hinüber, hat ſie noch einen ſchönen Haufen Ducaten an die Kirche geſchenkt und an das arme Volk, und hat nicht fort wollen, ſagen ſie, ehe der

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/104>, abgerufen am 26.04.2024.