Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Die oben beschriebenen einfachen Versuche gestatten die
mannigfachsten Abänderungen. Ich habe eine Form für dieselben
gesucht, in welcher sie Jeder mit möglichst einfachen Mitteln so-
fort anstellen kann. Die Wenigen, welche gegenwärtig der spiri-
tualistischen Theorie des Contrastes nicht beipflichten, werden
vielleicht meinen, daß es viele andere Versuche gebe, welche
jene Theorien ebenso zwingend widerlegen. Ich muß aber be-
merken, daß alle mir bisher bekannt gewordenen Versuche oder
vielmehr die Beschreibungen derselben, sich doch, wenn auch
oft gezwungener Weise, irgend einer von jenen psychologischen
Erklärungen unterwerfen lassen, welche die Spiritualisten so er-
finderisch entwickelt haben. Ich lege deshalb Gewicht darauf,
die Versuche so eingerichtet zu haben, daß sie die psychologische
Erklärung geradezu ad absurdum führen, d. h. daß die Bedin-
gung, von welcher nach der psychologischen Erklärung die Con-
trastwirkung abhängen soll, in diesem Falle gar nicht gegeben
ist, während doch die Wirkung selbst deutlich hervortritt.

§. 11.
Der simultane Contrast beruht darauf, daß die Licht-
empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der
Beleuchtung der letzteren, sondern auch von der Be-
leuchtung der übrigen Netzhaut abhängt
.

Der vorige Paragraph hat bewiesen, daß die Netzhautstelle,
welche vom Lichte des auf weißem Grunde gelegenen grauen
Streifens beleuchtet wurde, anders empfand, als die vom gleich
hellen Lichte des Streifens auf schwarzem Grunde beleuchtete.
Diese Verschiedenheit der Empfindung bei gleichem Reize konnte,
wie gezeigt wurde, nur darauf beruhen, daß die Erregung der
fraglichen Netzhautstelle nicht blos von ihrer eigenen Beleuch-
tung, sondern zugleich von der Beleuchtung der umgebenden
Netzhaut abhing. Die heutige Physiologie ist gewöhnt, die ver-
schiedene Stärke der Reaction, welche auf gleich starke Reizung
eines Organes erfolgen kann, aus einer verschiedenen Erreg-
barkeit
des letzteren zu erklären. Im Anschluß an diese Auf-
fassung könnte man auch sagen, daß die Contrastwirkung darauf
beruhe, daß die Erregbarkeit und demnach mittelbar auch die

Die oben beschriebenen einfachen Versuche gestatten die
mannigfachsten Abänderungen. Ich habe eine Form für dieselben
gesucht, in welcher sie Jeder mit möglichst einfachen Mitteln so-
fort anstellen kann. Die Wenigen, welche gegenwärtig der spiri-
tualistischen Theorie des Contrastes nicht beipflichten, werden
vielleicht meinen, daß es viele andere Versuche gebe, welche
jene Theorien ebenso zwingend widerlegen. Ich muß aber be-
merken, daß alle mir bisher bekannt gewordenen Versuche oder
vielmehr die Beschreibungen derselben, sich doch, wenn auch
oft gezwungener Weise, irgend einer von jenen psychologischen
Erklärungen unterwerfen lassen, welche die Spiritualisten so er-
finderisch entwickelt haben. Ich lege deshalb Gewicht darauf,
die Versuche so eingerichtet zu haben, daß sie die psychologische
Erklärung geradezu ad absurdum führen, d. h. daß die Bedin-
gung, von welcher nach der psychologischen Erklärung die Con-
trastwirkung abhängen soll, in diesem Falle gar nicht gegeben
ist, während doch die Wirkung selbst deutlich hervortritt.

§. 11.
Der simultane Contrast beruht darauf, daß die Licht-
empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der
Beleuchtung der letzteren, sondern auch von der Be-
leuchtung der übrigen Netzhaut abhängt
.

Der vorige Paragraph hat bewiesen, daß die Netzhautstelle,
welche vom Lichte des auf weißem Grunde gelegenen grauen
Streifens beleuchtet wurde, anders empfand, als die vom gleich
hellen Lichte des Streifens auf schwarzem Grunde beleuchtete.
Diese Verschiedenheit der Empfindung bei gleichem Reize konnte,
wie gezeigt wurde, nur darauf beruhen, daß die Erregung der
fraglichen Netzhautstelle nicht blos von ihrer eigenen Beleuch-
tung, sondern zugleich von der Beleuchtung der umgebenden
Netzhaut abhing. Die heutige Physiologie ist gewöhnt, die ver-
schiedene Stärke der Reaction, welche auf gleich starke Reizung
eines Organes erfolgen kann, aus einer verschiedenen Erreg-
barkeit
des letzteren zu erklären. Im Anschluß an diese Auf-
fassung könnte man auch sagen, daß die Contrastwirkung darauf
beruhe, daß die Erregbarkeit und demnach mittelbar auch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0037" n="29"/>
          <p>Die oben beschriebenen einfachen Versuche gestatten die<lb/>
mannigfachsten Abänderungen. Ich habe eine Form für dieselben<lb/>
gesucht, in welcher sie Jeder mit möglichst einfachen Mitteln so-<lb/>
fort anstellen kann. Die Wenigen, welche gegenwärtig der spiri-<lb/>
tualistischen Theorie des Contrastes nicht beipflichten, werden<lb/>
vielleicht meinen, daß es viele andere Versuche gebe, welche<lb/>
jene Theorien ebenso zwingend widerlegen. Ich muß aber be-<lb/>
merken, daß alle mir bisher bekannt gewordenen Versuche oder<lb/>
vielmehr die Beschreibungen derselben, sich doch, wenn auch<lb/>
oft gezwungener Weise, irgend einer von jenen psychologischen<lb/>
Erklärungen unterwerfen lassen, welche die Spiritualisten so er-<lb/>
finderisch entwickelt haben. Ich lege deshalb Gewicht darauf,<lb/>
die Versuche so eingerichtet zu haben, daß sie die psychologische<lb/>
Erklärung geradezu ad absurdum führen, d. h. daß die Bedin-<lb/>
gung, von welcher nach der psychologischen Erklärung die Con-<lb/>
trastwirkung abhängen soll, in diesem Falle gar nicht gegeben<lb/>
ist, während doch die Wirkung selbst deutlich hervortritt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 11.<lb/><hi rendition="#g">Der simultane Contrast beruht darauf, daß die Licht-<lb/>
empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der<lb/>
Beleuchtung der letzteren, sondern auch von der Be-<lb/>
leuchtung der übrigen Netzhaut abhängt</hi>.</head><lb/>
          <p>Der vorige Paragraph hat bewiesen, daß die Netzhautstelle,<lb/>
welche vom Lichte des auf weißem Grunde gelegenen grauen<lb/>
Streifens beleuchtet wurde, anders empfand, als die vom gleich<lb/>
hellen Lichte des Streifens auf schwarzem Grunde beleuchtete.<lb/>
Diese Verschiedenheit der Empfindung bei gleichem Reize konnte,<lb/>
wie gezeigt wurde, nur darauf beruhen, daß die Erregung der<lb/>
fraglichen Netzhautstelle nicht blos von ihrer eigenen Beleuch-<lb/>
tung, sondern zugleich von der Beleuchtung der umgebenden<lb/>
Netzhaut abhing. Die heutige Physiologie ist gewöhnt, die ver-<lb/>
schiedene Stärke der Reaction, welche auf gleich starke Reizung<lb/>
eines Organes erfolgen kann, aus einer verschiedenen <hi rendition="#g">Erreg-<lb/>
barkeit</hi> des letzteren zu erklären. Im Anschluß an diese Auf-<lb/>
fassung könnte man auch sagen, daß die Contrastwirkung darauf<lb/>
beruhe, daß die Erregbarkeit und demnach mittelbar auch die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0037] Die oben beschriebenen einfachen Versuche gestatten die mannigfachsten Abänderungen. Ich habe eine Form für dieselben gesucht, in welcher sie Jeder mit möglichst einfachen Mitteln so- fort anstellen kann. Die Wenigen, welche gegenwärtig der spiri- tualistischen Theorie des Contrastes nicht beipflichten, werden vielleicht meinen, daß es viele andere Versuche gebe, welche jene Theorien ebenso zwingend widerlegen. Ich muß aber be- merken, daß alle mir bisher bekannt gewordenen Versuche oder vielmehr die Beschreibungen derselben, sich doch, wenn auch oft gezwungener Weise, irgend einer von jenen psychologischen Erklärungen unterwerfen lassen, welche die Spiritualisten so er- finderisch entwickelt haben. Ich lege deshalb Gewicht darauf, die Versuche so eingerichtet zu haben, daß sie die psychologische Erklärung geradezu ad absurdum führen, d. h. daß die Bedin- gung, von welcher nach der psychologischen Erklärung die Con- trastwirkung abhängen soll, in diesem Falle gar nicht gegeben ist, während doch die Wirkung selbst deutlich hervortritt. §. 11. Der simultane Contrast beruht darauf, daß die Licht- empfindung einer Netzhautstelle nicht blos von der Beleuchtung der letzteren, sondern auch von der Be- leuchtung der übrigen Netzhaut abhängt. Der vorige Paragraph hat bewiesen, daß die Netzhautstelle, welche vom Lichte des auf weißem Grunde gelegenen grauen Streifens beleuchtet wurde, anders empfand, als die vom gleich hellen Lichte des Streifens auf schwarzem Grunde beleuchtete. Diese Verschiedenheit der Empfindung bei gleichem Reize konnte, wie gezeigt wurde, nur darauf beruhen, daß die Erregung der fraglichen Netzhautstelle nicht blos von ihrer eigenen Beleuch- tung, sondern zugleich von der Beleuchtung der umgebenden Netzhaut abhing. Die heutige Physiologie ist gewöhnt, die ver- schiedene Stärke der Reaction, welche auf gleich starke Reizung eines Organes erfolgen kann, aus einer verschiedenen Erreg- barkeit des letzteren zu erklären. Im Anschluß an diese Auf- fassung könnte man auch sagen, daß die Contrastwirkung darauf beruhe, daß die Erregbarkeit und demnach mittelbar auch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Aus pragmatischen Gründen wurde für das DTA die z… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/37
Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/37>, abgerufen am 22.12.2024.