Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Nation, Zeit, und Geschmack einen Menschen
darstellen können.

Compos'd of many ingredient Valours
Just like the Manhood of nine Taylors,

wie Hudibras singt.


5.

Ueberhaupt hat sich die ganze Poetische
Sphäre
bei beiden Nationen geändert. Die
gesittete Freiheit, in der wir leben, läßt
Künste und Wissenschaften blühen; die et-
was rauhere, die mit Gährungen des
Staats, und mit Unterdrückungen kämpft,
läßt, wie bei den Römern und Griechen, die
Beredsamkeit ihre Wunder thun; aber
wilde Einfalt ist das Feld der Dichter.
Jn dieser haben die Hebräer sehr lange gelebt,
beständig treu dem Ackerbau und der Vieh-
zucht, den sinnlichen Begriffen, und ihrem
Vaterlande: nie hat also die Zeit der Be-
redsamkeit
ihre Blüthe erreichen; ja die
Periode der Weltweisheit kaum anbrechen
können.

Daß
Q

Nation, Zeit, und Geſchmack einen Menſchen
darſtellen koͤnnen.

Compos’d of many ingredient Valours
Juſt like the Manhood of nine Taylors,

wie Hudibras ſingt.


5.

Ueberhaupt hat ſich die ganze Poetiſche
Sphaͤre
bei beiden Nationen geaͤndert. Die
geſittete Freiheit, in der wir leben, laͤßt
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften bluͤhen; die et-
was rauhere, die mit Gaͤhrungen des
Staats, und mit Unterdruͤckungen kaͤmpft,
laͤßt, wie bei den Roͤmern und Griechen, die
Beredſamkeit ihre Wunder thun; aber
wilde Einfalt iſt das Feld der Dichter.
Jn dieſer haben die Hebraͤer ſehr lange gelebt,
beſtaͤndig treu dem Ackerbau und der Vieh-
zucht, den ſinnlichen Begriffen, und ihrem
Vaterlande: nie hat alſo die Zeit der Be-
redſamkeit
ihre Bluͤthe erreichen; ja die
Periode der Weltweisheit kaum anbrechen
koͤnnen.

Daß
Q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="229"/>
Nation, Zeit, und Ge&#x017F;chmack einen Men&#x017F;chen<lb/>
dar&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Compos&#x2019;d of many ingredient Valours<lb/>
Ju&#x017F;t like the Manhood of nine Taylors,</hi><lb/> <hi rendition="#et">wie Hudibras &#x017F;ingt.</hi> </quote>
            <bibl/>
          </cit>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">5.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">U</hi>eberhaupt hat &#x017F;ich <hi rendition="#fr">die ganze Poeti&#x017F;che<lb/>
Spha&#x0364;re</hi> bei beiden Nationen gea&#x0364;ndert. Die<lb/>
ge&#x017F;ittete <hi rendition="#fr">Freiheit,</hi> in der wir leben, la&#x0364;ßt<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te und <hi rendition="#fr">Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften</hi> blu&#x0364;hen; die et-<lb/>
was <hi rendition="#fr">rauhere,</hi> die mit Ga&#x0364;hrungen des<lb/>
Staats, und mit Unterdru&#x0364;ckungen ka&#x0364;mpft,<lb/>
la&#x0364;ßt, wie bei den Ro&#x0364;mern und Griechen, die<lb/><hi rendition="#fr">Bered&#x017F;amkeit</hi> ihre Wunder thun; aber<lb/>
wilde <hi rendition="#fr">Einfalt</hi> i&#x017F;t das Feld der <hi rendition="#fr">Dichter.</hi><lb/>
Jn die&#x017F;er haben die Hebra&#x0364;er &#x017F;ehr lange gelebt,<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig treu dem Ackerbau und der Vieh-<lb/>
zucht, den &#x017F;innlichen Begriffen, und ihrem<lb/>
Vaterlande: nie hat al&#x017F;o die Zeit der <hi rendition="#fr">Be-<lb/>
red&#x017F;amkeit</hi> ihre Blu&#x0364;the erreichen; ja die<lb/>
Periode der <hi rendition="#fr">Weltweisheit</hi> kaum anbrechen<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Q</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Daß</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0061] Nation, Zeit, und Geſchmack einen Menſchen darſtellen koͤnnen. Compos’d of many ingredient Valours Juſt like the Manhood of nine Taylors, wie Hudibras ſingt. 5. Ueberhaupt hat ſich die ganze Poetiſche Sphaͤre bei beiden Nationen geaͤndert. Die geſittete Freiheit, in der wir leben, laͤßt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften bluͤhen; die et- was rauhere, die mit Gaͤhrungen des Staats, und mit Unterdruͤckungen kaͤmpft, laͤßt, wie bei den Roͤmern und Griechen, die Beredſamkeit ihre Wunder thun; aber wilde Einfalt iſt das Feld der Dichter. Jn dieſer haben die Hebraͤer ſehr lange gelebt, beſtaͤndig treu dem Ackerbau und der Vieh- zucht, den ſinnlichen Begriffen, und ihrem Vaterlande: nie hat alſo die Zeit der Be- redſamkeit ihre Bluͤthe erreichen; ja die Periode der Weltweisheit kaum anbrechen koͤnnen. Daß Q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/61
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/61>, abgerufen am 21.11.2024.