Daß die Hebräer nie große Redner ge- habt haben, beweiset der Herausgeber des Lowth in seiner Vorrede; der überhaupt durch seine Roten und Epimetre mehr als Lowth selbst geworden, und viele Dinge hin- geworfen hat, die durchaus verdienen ange- wandt, erklärt und fruchtbarer gemacht zu werden. Wir können also nach einem Je- saias ohnmoglich unsre große Redner bilden.
Nie haben sie also auch einen völlig ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre Poesie hat einen Rhythmus, den die Chöre und Jubelsprünge gebohren haben, der von zu starker Declamation war, als ein Syl- benmaas zu halten, der durch Musik und Tanz belebt wurde. Welch ein Unterschied ist es nun, in einer durchaus Prosaischen und Philosophi- schen Sprache, deren Accente lange nicht so tö- nend sind, wo man schreibt, gelesen zu wer- den, wo, wenn die Musik sich mit der Poesie verbindet, jene die herrschende wird, in die- ser Sprache eine Orientalische Poesie durch Poetische Prose nachzuahmen; die unsrer Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum saltantium choros adoleuit poesis orienta-
lis:
Daß die Hebraͤer nie große Redner ge- habt haben, beweiſet der Herausgeber des Lowth in ſeiner Vorrede; der uͤberhaupt durch ſeine Roten und Epimetre mehr als Lowth ſelbſt geworden, und viele Dinge hin- geworfen hat, die durchaus verdienen ange- wandt, erklaͤrt und fruchtbarer gemacht zu werden. Wir koͤnnen alſo nach einem Je- ſaias ohnmo̊glich unſre große Redner bilden.
Nie haben ſie alſo auch einen voͤllig ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre Poeſie hat einen Rhythmus, den die Choͤre und Jubelſpruͤnge gebohren haben, der von zu ſtarker Declamation war, als ein Syl- benmaas zu halten, der durch Muſik und Tanz belebt wurde. Welch ein Unterſchied iſt es nun, in einer durchaus Proſaiſchen und Philoſophi- ſchen Sprache, deren Accente lange nicht ſo toͤ- nend ſind, wo man ſchreibt, geleſen zu wer- den, wo, wenn die Muſik ſich mit der Poeſie verbindet, jene die herrſchende wird, in die- ſer Sprache eine Orientaliſche Poeſie durch Poetiſche Proſe nachzuahmen; die unſrer Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum ſaltantium choros adoleuit poeſis orienta-
lis:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0062"n="230"/><p>Daß die Hebraͤer nie <hirendition="#fr">große Redner</hi> ge-<lb/>
habt haben, beweiſet der Herausgeber des<lb/><hirendition="#fr">Lowth</hi> in ſeiner Vorrede; der uͤberhaupt<lb/>
durch ſeine Roten und Epimetre mehr als<lb/><hirendition="#fr">Lowth</hi>ſelbſt geworden, und viele Dinge hin-<lb/>
geworfen hat, die durchaus verdienen ange-<lb/>
wandt, erklaͤrt und fruchtbarer gemacht zu<lb/>
werden. Wir koͤnnen alſo nach einem <hirendition="#fr">Je-<lb/>ſaias</hi> ohnmo̊glich unſre große Redner bilden.</p><lb/><p>Nie haben ſie alſo auch einen voͤllig<lb/>
ausgebildeten <hirendition="#fr">Rednerperioden</hi> gehabt; ihre<lb/>
Poeſie hat einen <hirendition="#fr">Rhythmus,</hi> den die Choͤre<lb/>
und Jubelſpruͤnge gebohren haben, der von<lb/>
zu ſtarker Declamation war, als ein Syl-<lb/>
benmaas zu halten, der durch Muſik und Tanz<lb/>
belebt wurde. Welch ein Unterſchied iſt es nun,<lb/>
in einer durchaus Proſaiſchen und Philoſophi-<lb/>ſchen Sprache, deren Accente lange nicht ſo toͤ-<lb/>
nend ſind, wo man ſchreibt, geleſen zu wer-<lb/>
den, wo, wenn die Muſik ſich mit der Poeſie<lb/>
verbindet, jene die <hirendition="#fr">herrſchende</hi> wird, in die-<lb/>ſer Sprache eine Orientaliſche Poeſie durch<lb/>
Poetiſche Proſe nachzuahmen; die unſrer<lb/>
Sprache Gewalt anthut. <hirendition="#aq">Inter mulierum<lb/>ſaltantium choros adoleuit poeſis orienta-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">lis:</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[230/0062]
Daß die Hebraͤer nie große Redner ge-
habt haben, beweiſet der Herausgeber des
Lowth in ſeiner Vorrede; der uͤberhaupt
durch ſeine Roten und Epimetre mehr als
Lowth ſelbſt geworden, und viele Dinge hin-
geworfen hat, die durchaus verdienen ange-
wandt, erklaͤrt und fruchtbarer gemacht zu
werden. Wir koͤnnen alſo nach einem Je-
ſaias ohnmo̊glich unſre große Redner bilden.
Nie haben ſie alſo auch einen voͤllig
ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre
Poeſie hat einen Rhythmus, den die Choͤre
und Jubelſpruͤnge gebohren haben, der von
zu ſtarker Declamation war, als ein Syl-
benmaas zu halten, der durch Muſik und Tanz
belebt wurde. Welch ein Unterſchied iſt es nun,
in einer durchaus Proſaiſchen und Philoſophi-
ſchen Sprache, deren Accente lange nicht ſo toͤ-
nend ſind, wo man ſchreibt, geleſen zu wer-
den, wo, wenn die Muſik ſich mit der Poeſie
verbindet, jene die herrſchende wird, in die-
ſer Sprache eine Orientaliſche Poeſie durch
Poetiſche Proſe nachzuahmen; die unſrer
Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum
ſaltantium choros adoleuit poeſis orienta-
lis:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/62>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.