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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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schreiben können; aber jene ihre Werke in
unsrer Sprache? in unsrer Zeit? bei unsern
Sitten? -- Niemals! So wenig als wir
Deutschen je einen Homer bekommen wer-
den, der das in allen Stücken für uns sey,
was jener für die Griechen war.



9.

So sehr verzweifle ich also an Uebersez-
zung der ältesten Griechischen Dichter; aber
desto mehr suche man von der Griechischen
Prose eines Platons und Xenophons, ei-
ues Thucydides und Polybius, und die
spätern Griechischen Dichter zu nuzzen. Zu
dieser Zeit lebten die kaloi kagathoi der
Wissenschaften, die mit dem Genie unserer
Zeit näher verwandt sind; der Periode war
in seinem besten Glanze, und die Jdiotismen
milderten sich. Von diesen Schriftstellern
kann die Deutsche Sprache unstreitig viel
lernen; weil sie sich in die Griechische eher
und biegsamer schicken kann, als in die Latei-
nische; weil die Griechische es auch unstreitig

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ſchreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in
unſrer Sprache? in unſrer Zeit? bei unſern
Sitten? — Niemals! So wenig als wir
Deutſchen je einen Homer bekommen wer-
den, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns ſey,
was jener fuͤr die Griechen war.



9.

So ſehr verzweifle ich alſo an Ueberſez-
zung der aͤlteſten Griechiſchen Dichter; aber
deſto mehr ſuche man von der Griechiſchen
Proſe eines Platons und Xenophons, ei-
ues Thucydides und Polybius, und die
ſpaͤtern Griechiſchen Dichter zu nuzzen. Zu
dieſer Zeit lebten die κἀλοι κἀγαϑοι der
Wiſſenſchaften, die mit dem Genie unſerer
Zeit naͤher verwandt ſind; der Periode war
in ſeinem beſten Glanze, und die Jdiotismen
milderten ſich. Von dieſen Schriftſtellern
kann die Deutſche Sprache unſtreitig viel
lernen; weil ſie ſich in die Griechiſche eher
und biegſamer ſchicken kann, als in die Latei-
niſche; weil die Griechiſche es auch unſtreitig

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[74/0078] ſchreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in unſrer Sprache? in unſrer Zeit? bei unſern Sitten? — Niemals! So wenig als wir Deutſchen je einen Homer bekommen wer- den, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns ſey, was jener fuͤr die Griechen war. 9. So ſehr verzweifle ich alſo an Ueberſez- zung der aͤlteſten Griechiſchen Dichter; aber deſto mehr ſuche man von der Griechiſchen Proſe eines Platons und Xenophons, ei- ues Thucydides und Polybius, und die ſpaͤtern Griechiſchen Dichter zu nuzzen. Zu dieſer Zeit lebten die κἀλοι κἀγαϑοι der Wiſſenſchaften, die mit dem Genie unſerer Zeit naͤher verwandt ſind; der Periode war in ſeinem beſten Glanze, und die Jdiotismen milderten ſich. Von dieſen Schriftſtellern kann die Deutſche Sprache unſtreitig viel lernen; weil ſie ſich in die Griechiſche eher und biegſamer ſchicken kann, als in die Latei- niſche; weil die Griechiſche es auch unſtreitig mehr

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/78>, abgerufen am 13.11.2024.