Wer aber kein Odengenie ist? der soll wenig- stens ein Jüngling von Geschmacke werden. So sang der Römer, das ist seine Welt; so wir nicht -- wer hat Vorzüge? So sang Horaz: das ist sein Wortbau, seine Lieblingsgegenstände, seine besten Uebergänge, die Composition seiner Gemälde, die Einpflanzung derselben in dies und jenes Sylben- maaß: dies wählt er jetzt, dies irgendwo anders. Nun endlich -- wie ausgesucht Alles! Gedanke, Wendung, Ausdruck, Wort! das ist seine Manier, das ist mein lieber Horaz! -- Und wenn mein Jüngling auch von der Kritik Profession machte: wenn ich ihm auch nachher vollständiges kritisches Geräth zur Hand legte, und die vornehmsten Ab- wege der Kritiker zeigte -- niemals weiche er doch aus dem Gleise, aus der Odenillusion des Dichters -- -- Wie weit sich Herr Klotz mit seinen bis- herigen horazischen Werkchen um diese verdient gemacht, beurtheile ein andrer.
7.
Jch schließe, und finde nöthig, folgendes hinzu zu setzen. Freilich habe ich diesmal, statt in kritischen Wäldern, oft in kritischen nugis herumwandeln müssen: allein warum schreibt Hr. Klotz solche am liebsten? warum hat er fast nichts, als solche, ge-
schrie-
Kritiſche Waͤlder.
Wer aber kein Odengenie iſt? der ſoll wenig- ſtens ein Juͤngling von Geſchmacke werden. So ſang der Roͤmer, das iſt ſeine Welt; ſo wir nicht — wer hat Vorzuͤge? So ſang Horaz: das iſt ſein Wortbau, ſeine Lieblingsgegenſtaͤnde, ſeine beſten Uebergaͤnge, die Compoſition ſeiner Gemaͤlde, die Einpflanzung derſelben in dies und jenes Sylben- maaß: dies waͤhlt er jetzt, dies irgendwo anders. Nun endlich — wie ausgeſucht Alles! Gedanke, Wendung, Ausdruck, Wort! das iſt ſeine Manier, das iſt mein lieber Horaz! — Und wenn mein Juͤngling auch von der Kritik Profeſſion machte: wenn ich ihm auch nachher vollſtaͤndiges kritiſches Geraͤth zur Hand legte, und die vornehmſten Ab- wege der Kritiker zeigte — niemals weiche er doch aus dem Gleiſe, aus der Odenilluſion des Dichters — — Wie weit ſich Herr Klotz mit ſeinen bis- herigen horaziſchen Werkchen um dieſe verdient gemacht, beurtheile ein andrer.
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Jch ſchließe, und finde noͤthig, folgendes hinzu zu ſetzen. Freilich habe ich diesmal, ſtatt in kritiſchen Waͤldern, oft in kritiſchen nugis herumwandeln muͤſſen: allein warum ſchreibt Hr. Klotz ſolche am liebſten? warum hat er faſt nichts, als ſolche, ge-
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Kritiſche Waͤlder.
Wer aber kein Odengenie iſt? der ſoll wenig-
ſtens ein Juͤngling von Geſchmacke werden. So
ſang der Roͤmer, das iſt ſeine Welt; ſo wir nicht
— wer hat Vorzuͤge? So ſang Horaz: das iſt ſein
Wortbau, ſeine Lieblingsgegenſtaͤnde, ſeine beſten
Uebergaͤnge, die Compoſition ſeiner Gemaͤlde, die
Einpflanzung derſelben in dies und jenes Sylben-
maaß: dies waͤhlt er jetzt, dies irgendwo anders.
Nun endlich — wie ausgeſucht Alles! Gedanke,
Wendung, Ausdruck, Wort! das iſt ſeine Manier,
das iſt mein lieber Horaz! — Und wenn mein
Juͤngling auch von der Kritik Profeſſion machte:
wenn ich ihm auch nachher vollſtaͤndiges kritiſches
Geraͤth zur Hand legte, und die vornehmſten Ab-
wege der Kritiker zeigte — niemals weiche er doch
aus dem Gleiſe, aus der Odenilluſion des Dichters
— — Wie weit ſich Herr Klotz mit ſeinen bis-
herigen horaziſchen Werkchen um dieſe verdient
gemacht, beurtheile ein andrer.
7.
Jch ſchließe, und finde noͤthig, folgendes hinzu zu
ſetzen. Freilich habe ich diesmal, ſtatt in kritiſchen
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/266>, abgerufen am 16.07.2024.
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