-- "Der erste Misbrauch, der aus die- sem verbreiteten Französischen Geschmack ent- springt, ist daß man seine eigne Sprache ver- nachläßigt; (woran man gewiß Unrecht hat; ich kann es nicht gnug wiederholen!) ein schreiender Misbrauch. Mit einem Wort, es geht so weit, daß eine ungeheure Menge von Personen sich piquirt, nur französisch zu lesen, und daß sie es endlich so weit bringen, ihre eigne Schriftsteller nicht mehr verstehen zu können. Ich habe, ja ich habe Deutsche gekannt, Leute von Geist und Verdienst, die das beste, das wir in unsrer Sprache pro- saisch und poetisch haben, mit Nutzen lasen, und gestanden, daß sie die Dichter ihrer eig- nen Sprache durchaus nicht verstünden, so gar behaupteten, daß die Schuld hiebei an den Dichtern, nicht an ihnen selbst liege. Ich mußte ihnen zeigen, daß an ihrer Seite die Schuld sei, da ihnen alle Uebung und Be-
kannt-
2. Folgen der Gallicomanie in Deutſchland.
— „Der erſte Misbrauch, der aus die- ſem verbreiteten Franzoͤſiſchen Geſchmack ent- ſpringt, iſt daß man ſeine eigne Sprache ver- nachlaͤßigt; (woran man gewiß Unrecht hat; ich kann es nicht gnug wiederholen!) ein ſchreiender Misbrauch. Mit einem Wort, es geht ſo weit, daß eine ungeheure Menge von Perſonen ſich piquirt, nur franzoͤſiſch zu leſen, und daß ſie es endlich ſo weit bringen, ihre eigne Schriftſteller nicht mehr verſtehen zu koͤnnen. Ich habe, ja ich habe Deutſche gekannt, Leute von Geiſt und Verdienſt, die das beſte, das wir in unſrer Sprache pro- ſaiſch und poetiſch haben, mit Nutzen laſen, und geſtanden, daß ſie die Dichter ihrer eig- nen Sprache durchaus nicht verſtuͤnden, ſo gar behaupteten, daß die Schuld hiebei an den Dichtern, nicht an ihnen ſelbſt liege. Ich mußte ihnen zeigen, daß an ihrer Seite die Schuld ſei, da ihnen alle Uebung und Be-
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2. Folgen der Gallicomanie in Deutſchland.
— „Der erſte Misbrauch, der aus die-
ſem verbreiteten Franzoͤſiſchen Geſchmack ent-
ſpringt, iſt daß man ſeine eigne Sprache ver-
nachlaͤßigt; (woran man gewiß Unrecht hat;
ich kann es nicht gnug wiederholen!) ein
ſchreiender Misbrauch. Mit einem Wort, es
geht ſo weit, daß eine ungeheure Menge von
Perſonen ſich piquirt, nur franzoͤſiſch zu
leſen, und daß ſie es endlich ſo weit bringen,
ihre eigne Schriftſteller nicht mehr verſtehen
zu koͤnnen. Ich habe, ja ich habe Deutſche
gekannt, Leute von Geiſt und Verdienſt, die
das beſte, das wir in unſrer Sprache pro-
ſaiſch und poetiſch haben, mit Nutzen laſen,
und geſtanden, daß ſie die Dichter ihrer eig-
nen Sprache durchaus nicht verſtuͤnden, ſo
gar behaupteten, daß die Schuld hiebei an den
Dichtern, nicht an ihnen ſelbſt liege. Ich
mußte ihnen zeigen, daß an ihrer Seite die
Schuld ſei, da ihnen alle Uebung und Be-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/39>, abgerufen am 22.02.2025.
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