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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 9. Einleitung.
Recht, wohl aber eine gewisse Mäßigung in den Staatshändeln
und bei deren Schlichtung vorwalten; es war vorzüglich der sta-
stus quo
auf welchen man wieder zurückzukommen suchte; 1 eine
möglichst farblose blasse Diplomatie.

Jedoch auch dieser Geist der Mäßigung schwand eine Zeitlang
im Norden mit der Theilung Polens, im Westen mit den Siegen
der Revolution. Der Sieger dictirte die Tractaten; was dem Be-
siegten blieb, war Gnade oder weise Schonung für den Augenblick;
Veränderungen des Besitzstandes wurden oft nur durch ein Sena-
tus-Consult oder eine Proclamation angezeigt. Alle Verträge seit
dem Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts bis 1814 drehten
sich beinahe um die Axe der Napoleonischen Herrschaft oder ins-
geheim um den entgegengesetzten Pol, bis der Widerstand dagegen
offen aufzutreten vermochte und das Vertragsgewebe v. 1815 erschuf.

Dieser glückliche Erfolg führte die Praxis der Congresse zurück
und erweiterte sie noch in Form und Richtung. Die letztere war
ein non plus ultra gegen die Revolution oder wo sie nicht zu un-
terdrücken war, wenigstens die Erhaltung eines möglichst gefahrlo-
sen status quo, während andrerseits, wo die Revolution sich in
den Constitutionalismus eingefriedigt hatte, Alliancen zur Selbst-
entwickelung des inneren Staatenlebens geschlossen wurden.

Die großartigsten Gegenstände von Staatenverträgen, welche
theils in Verbindung mit der Tagespolitik standen, theils außer
derselben abgehandelt wurden, waren in der zweiten Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts die Rechte der Neutralen zur See, sodann im
gegenwärtigen das Napoleonische Continentalsystem, weiterhin die
Unterdrückung des Sclavenhandels, endlich der deutsche Zollverein.

Die Theorieen und Literatur des Völkerrechts.

9. Eine andere, wenn auch nur mittelbare Quelle des Euro-
päischen äußeren Staatenrechts ist die wissenschaftliche oder auch nur
referirende Darstellung desselben in den Schriften der verschiedenen
Entwickelungsstadien. Wie in anderen Beziehungen hat auch hier
die Wissenschaft und Presse theils bestätigend, theils vorauseilend
und vorbereitend gewirkt; sie ist ein Zeugniß von der Wirklichkeit
ihrer Zeit oder von den darin Statt findenden Schwankungen.


1 Vgl. Friedr. Schlegel's Vorlesungen über m. Gesch. S. 509.
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§. 9. Einleitung.
Recht, wohl aber eine gewiſſe Mäßigung in den Staatshändeln
und bei deren Schlichtung vorwalten; es war vorzüglich der sta-
stus quo
auf welchen man wieder zurückzukommen ſuchte; 1 eine
möglichſt farbloſe blaſſe Diplomatie.

Jedoch auch dieſer Geiſt der Mäßigung ſchwand eine Zeitlang
im Norden mit der Theilung Polens, im Weſten mit den Siegen
der Revolution. Der Sieger dictirte die Tractaten; was dem Be-
ſiegten blieb, war Gnade oder weiſe Schonung für den Augenblick;
Veränderungen des Beſitzſtandes wurden oft nur durch ein Sena-
tus-Conſult oder eine Proclamation angezeigt. Alle Verträge ſeit
dem Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts bis 1814 drehten
ſich beinahe um die Axe der Napoleoniſchen Herrſchaft oder ins-
geheim um den entgegengeſetzten Pol, bis der Widerſtand dagegen
offen aufzutreten vermochte und das Vertragsgewebe v. 1815 erſchuf.

Dieſer glückliche Erfolg führte die Praxis der Congreſſe zurück
und erweiterte ſie noch in Form und Richtung. Die letztere war
ein non plus ultra gegen die Revolution oder wo ſie nicht zu un-
terdrücken war, wenigſtens die Erhaltung eines möglichſt gefahrlo-
ſen status quo, während andrerſeits, wo die Revolution ſich in
den Conſtitutionalismus eingefriedigt hatte, Alliancen zur Selbſt-
entwickelung des inneren Staatenlebens geſchloſſen wurden.

Die großartigſten Gegenſtände von Staatenverträgen, welche
theils in Verbindung mit der Tagespolitik ſtanden, theils außer
derſelben abgehandelt wurden, waren in der zweiten Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts die Rechte der Neutralen zur See, ſodann im
gegenwärtigen das Napoleoniſche Continentalſyſtem, weiterhin die
Unterdrückung des Sclavenhandels, endlich der deutſche Zollverein.

Die Theorieen und Literatur des Völkerrechts.

9. Eine andere, wenn auch nur mittelbare Quelle des Euro-
päiſchen äußeren Staatenrechts iſt die wiſſenſchaftliche oder auch nur
referirende Darſtellung deſſelben in den Schriften der verſchiedenen
Entwickelungsſtadien. Wie in anderen Beziehungen hat auch hier
die Wiſſenſchaft und Preſſe theils beſtätigend, theils vorauseilend
und vorbereitend gewirkt; ſie iſt ein Zeugniß von der Wirklichkeit
ihrer Zeit oder von den darin Statt findenden Schwankungen.


1 Vgl. Friedr. Schlegel’s Vorleſungen über m. Geſch. S. 509.
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[17/0041] §. 9. Einleitung. Recht, wohl aber eine gewiſſe Mäßigung in den Staatshändeln und bei deren Schlichtung vorwalten; es war vorzüglich der sta- stus quo auf welchen man wieder zurückzukommen ſuchte; 1 eine möglichſt farbloſe blaſſe Diplomatie. Jedoch auch dieſer Geiſt der Mäßigung ſchwand eine Zeitlang im Norden mit der Theilung Polens, im Weſten mit den Siegen der Revolution. Der Sieger dictirte die Tractaten; was dem Be- ſiegten blieb, war Gnade oder weiſe Schonung für den Augenblick; Veränderungen des Beſitzſtandes wurden oft nur durch ein Sena- tus-Conſult oder eine Proclamation angezeigt. Alle Verträge ſeit dem Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts bis 1814 drehten ſich beinahe um die Axe der Napoleoniſchen Herrſchaft oder ins- geheim um den entgegengeſetzten Pol, bis der Widerſtand dagegen offen aufzutreten vermochte und das Vertragsgewebe v. 1815 erſchuf. Dieſer glückliche Erfolg führte die Praxis der Congreſſe zurück und erweiterte ſie noch in Form und Richtung. Die letztere war ein non plus ultra gegen die Revolution oder wo ſie nicht zu un- terdrücken war, wenigſtens die Erhaltung eines möglichſt gefahrlo- ſen status quo, während andrerſeits, wo die Revolution ſich in den Conſtitutionalismus eingefriedigt hatte, Alliancen zur Selbſt- entwickelung des inneren Staatenlebens geſchloſſen wurden. Die großartigſten Gegenſtände von Staatenverträgen, welche theils in Verbindung mit der Tagespolitik ſtanden, theils außer derſelben abgehandelt wurden, waren in der zweiten Hälfte des vo- rigen Jahrhunderts die Rechte der Neutralen zur See, ſodann im gegenwärtigen das Napoleoniſche Continentalſyſtem, weiterhin die Unterdrückung des Sclavenhandels, endlich der deutſche Zollverein. Die Theorieen und Literatur des Völkerrechts. 9. Eine andere, wenn auch nur mittelbare Quelle des Euro- päiſchen äußeren Staatenrechts iſt die wiſſenſchaftliche oder auch nur referirende Darſtellung deſſelben in den Schriften der verſchiedenen Entwickelungsſtadien. Wie in anderen Beziehungen hat auch hier die Wiſſenſchaft und Preſſe theils beſtätigend, theils vorauseilend und vorbereitend gewirkt; ſie iſt ein Zeugniß von der Wirklichkeit ihrer Zeit oder von den darin Statt findenden Schwankungen. 1 Vgl. Friedr. Schlegel’s Vorleſungen über m. Geſch. S. 509. 2

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/41>, abgerufen am 21.11.2024.