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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 9.

Die alte Welt bietet in dieser Hinsicht kein zusammenhängen-
des Werk dar. Die Juristen des Mittelalters haben die völker-
rechtlichen Fragen ihrer Zeit nach romanistischen und canonistischen
Sätzen entschieden. In den Anfängen der neuen Europäischen Zeit
trat an die Stelle des Rechts die raffinirende Staatsklugheit, de-
ren Vertreter und Lehrer vorzüglich Nicolo Macchiavelli wurde.
Seine Schrift vom Fürsten ist ein Meisterwerk der sich über jede
objective Schranke hinaussetzenden selbstsüchtigen Subjectivität, de-
ren es freilich zu mancher Zeit und für manche Völker bedurft hat,
um sie zum Bewußtsein ihrer Versumpfung und zu einer neuen
Erhebung zu bringen. 1 Weiterhin suchten im sechszehnten Jahr-
hundert practische Juristen ein System gegenseitiger Forderungs-
rechte unter den christlichen Staaten zu begründen; zuerst nur mehr
für einzelne nahe liegende Fragen, 2 bis Hugo Groot, geb. 1583
+ 1645, den ganzen in der bisherigen Staatspraxis sich darbie-
tenden Kreis des internationalen Rechts umfassend, dasselbe zu ei-
ner eigenen selbständigen Wissenschaft erhob, welche bis auf den
heutigen Tag ununterbrochen gepflegt worden ist. Er unterschied
in seinem unsterblich gewordenen Buche vom Recht des Friedens
und des Krieges, welches 1625 vollendet ward, 3 ein doppeltes Völ-
kerrecht, ein unveränderlich natürliches und ein willkührliches aller
oder doch mehrerer Völker. Eine tiefere Grundlegung findet sich
nicht, also auch keine innere Vermittlung des natürlichen und po-
sitiven Rechts. Seine Hauptrichtung war, das wirklich schon, we-
nigstens in einzelnen Fällen geübte Recht, so weit es der Sitt-
lichkeit entspricht zu bestätigen, für andere noch nicht entschiedene
Fragen dagegen eine der Sittlichkeit entsprechende Lösung aus all-
gemeinen juristischen Regeln und ehrwürdigen Auctoritäten zu ge-
ben. Diese sittliche Durchsichtigkeit verschaffte dem Buche selbst den
bleibendsten Beifall. Demnächst aber haben sich in der Grundan-

1 Ueber den eigentlichen Charakter Machiavelli's und seiner Lehren finden sich
tüchtige Bemerkungen bei Isambert, Annales politiques et diplomatiques.
Par. 1823. p.
76.
2 Der bedeutendste unter ihnen war Alberico Gentile + 1611, Italiener,
zuletzt in Oxford. Seine Schriften: de legationibus. de iure belli. de
iustitia bellica.
3 Ueber die verschiedenen Schicksale dieses Buchs s. v. Ompteda §. 120 ff.
und eine Uebersicht seines Inhalts ebendas. §. 57 ff.
Einleitung. §. 9.

Die alte Welt bietet in dieſer Hinſicht kein zuſammenhängen-
des Werk dar. Die Juriſten des Mittelalters haben die völker-
rechtlichen Fragen ihrer Zeit nach romaniſtiſchen und canoniſtiſchen
Sätzen entſchieden. In den Anfängen der neuen Europäiſchen Zeit
trat an die Stelle des Rechts die raffinirende Staatsklugheit, de-
ren Vertreter und Lehrer vorzüglich Nicolo Macchiavelli wurde.
Seine Schrift vom Fürſten iſt ein Meiſterwerk der ſich über jede
objective Schranke hinausſetzenden ſelbſtſüchtigen Subjectivität, de-
ren es freilich zu mancher Zeit und für manche Völker bedurft hat,
um ſie zum Bewußtſein ihrer Verſumpfung und zu einer neuen
Erhebung zu bringen. 1 Weiterhin ſuchten im ſechszehnten Jahr-
hundert practiſche Juriſten ein Syſtem gegenſeitiger Forderungs-
rechte unter den chriſtlichen Staaten zu begründen; zuerſt nur mehr
für einzelne nahe liegende Fragen, 2 bis Hugo Groot, geb. 1583
† 1645, den ganzen in der bisherigen Staatspraxis ſich darbie-
tenden Kreis des internationalen Rechts umfaſſend, daſſelbe zu ei-
ner eigenen ſelbſtändigen Wiſſenſchaft erhob, welche bis auf den
heutigen Tag ununterbrochen gepflegt worden iſt. Er unterſchied
in ſeinem unſterblich gewordenen Buche vom Recht des Friedens
und des Krieges, welches 1625 vollendet ward, 3 ein doppeltes Völ-
kerrecht, ein unveränderlich natürliches und ein willkührliches aller
oder doch mehrerer Völker. Eine tiefere Grundlegung findet ſich
nicht, alſo auch keine innere Vermittlung des natürlichen und po-
ſitiven Rechts. Seine Hauptrichtung war, das wirklich ſchon, we-
nigſtens in einzelnen Fällen geübte Recht, ſo weit es der Sitt-
lichkeit entſpricht zu beſtätigen, für andere noch nicht entſchiedene
Fragen dagegen eine der Sittlichkeit entſprechende Löſung aus all-
gemeinen juriſtiſchen Regeln und ehrwürdigen Auctoritäten zu ge-
ben. Dieſe ſittliche Durchſichtigkeit verſchaffte dem Buche ſelbſt den
bleibendſten Beifall. Demnächſt aber haben ſich in der Grundan-

1 Ueber den eigentlichen Charakter Machiavelli’s und ſeiner Lehren finden ſich
tüchtige Bemerkungen bei Isambert, Annales politiques et diplomatiques.
Par. 1823. p.
76.
2 Der bedeutendſte unter ihnen war Alberico Gentile † 1611, Italiener,
zuletzt in Oxford. Seine Schriften: de legationibus. de iure belli. de
iustitia bellica.
3 Ueber die verſchiedenen Schickſale dieſes Buchs ſ. v. Ompteda §. 120 ff.
und eine Ueberſicht ſeines Inhalts ebendaſ. §. 57 ff.
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[18/0042] Einleitung. §. 9. Die alte Welt bietet in dieſer Hinſicht kein zuſammenhängen- des Werk dar. Die Juriſten des Mittelalters haben die völker- rechtlichen Fragen ihrer Zeit nach romaniſtiſchen und canoniſtiſchen Sätzen entſchieden. In den Anfängen der neuen Europäiſchen Zeit trat an die Stelle des Rechts die raffinirende Staatsklugheit, de- ren Vertreter und Lehrer vorzüglich Nicolo Macchiavelli wurde. Seine Schrift vom Fürſten iſt ein Meiſterwerk der ſich über jede objective Schranke hinausſetzenden ſelbſtſüchtigen Subjectivität, de- ren es freilich zu mancher Zeit und für manche Völker bedurft hat, um ſie zum Bewußtſein ihrer Verſumpfung und zu einer neuen Erhebung zu bringen. 1 Weiterhin ſuchten im ſechszehnten Jahr- hundert practiſche Juriſten ein Syſtem gegenſeitiger Forderungs- rechte unter den chriſtlichen Staaten zu begründen; zuerſt nur mehr für einzelne nahe liegende Fragen, 2 bis Hugo Groot, geb. 1583 † 1645, den ganzen in der bisherigen Staatspraxis ſich darbie- tenden Kreis des internationalen Rechts umfaſſend, daſſelbe zu ei- ner eigenen ſelbſtändigen Wiſſenſchaft erhob, welche bis auf den heutigen Tag ununterbrochen gepflegt worden iſt. Er unterſchied in ſeinem unſterblich gewordenen Buche vom Recht des Friedens und des Krieges, welches 1625 vollendet ward, 3 ein doppeltes Völ- kerrecht, ein unveränderlich natürliches und ein willkührliches aller oder doch mehrerer Völker. Eine tiefere Grundlegung findet ſich nicht, alſo auch keine innere Vermittlung des natürlichen und po- ſitiven Rechts. Seine Hauptrichtung war, das wirklich ſchon, we- nigſtens in einzelnen Fällen geübte Recht, ſo weit es der Sitt- lichkeit entſpricht zu beſtätigen, für andere noch nicht entſchiedene Fragen dagegen eine der Sittlichkeit entſprechende Löſung aus all- gemeinen juriſtiſchen Regeln und ehrwürdigen Auctoritäten zu ge- ben. Dieſe ſittliche Durchſichtigkeit verſchaffte dem Buche ſelbſt den bleibendſten Beifall. Demnächſt aber haben ſich in der Grundan- 1 Ueber den eigentlichen Charakter Machiavelli’s und ſeiner Lehren finden ſich tüchtige Bemerkungen bei Isambert, Annales politiques et diplomatiques. Par. 1823. p. 76. 2 Der bedeutendſte unter ihnen war Alberico Gentile † 1611, Italiener, zuletzt in Oxford. Seine Schriften: de legationibus. de iure belli. de iustitia bellica. 3 Ueber die verſchiedenen Schickſale dieſes Buchs ſ. v. Ompteda §. 120 ff. und eine Ueberſicht ſeines Inhalts ebendaſ. §. 57 ff.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/42>, abgerufen am 24.11.2024.