Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.§. 111. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens. Einen zureichenden Grund zu derartigen Repressalien gewährt jedevölkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Par- tei, es sei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungs- wege. 1 Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Ge- brauch machen, jedoch dürfen sie auch Einzelnen ihrer Angehörigen die Ausübung überlassen; 2 dritte Mächte sind hingegen weder schuldig auf etwanige Requisition sich der Ausübung zu unterzie- hen, noch auch berechtigt, Repressalien im Interesse einer andern Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall einer Intervention vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbesondere eintreten kann, 3 oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechts, um einem un- menschlichen absolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu setzen. Denn die Staaten sind die Vertreter der Menschheit. Retorsion unbilliger Rechtsgrundsätze und Maaßregeln. 111. Erlaubt sich eine unabhängige Macht gegen andere der Krieg ausbricht, ist noch kein Recht auf Leben und Tod begründet, ob- gleich dies von älteren Publicisten, z. B. selbst von Cocceji zu Groot noch behauptet ist. 1 Beispiele und Verhandlungen darüber s. in Ch. de Martens Causes ce- lebr. II, p. 1. und p. 151 s. 2 Dies geschah sonst durch Ertheilung s. g. Markebriefe (lettres de mar- que) in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden u. s. w. Vgl. v. Mar- tens, Pütter und Wheaton a. a. O. Dieser Gebrauch besteht nicht mehr. 3 Vgl. wegen des deutschen Bundes die Wiener Schlußacte Art. 37. In
der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird es ausdrücklich als Grundsatz an- gesehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repressalien üben dürfen. Vgl. Martens Völkerr. §. 256. §. 111. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Einen zureichenden Grund zu derartigen Repreſſalien gewährt jedevölkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Par- tei, es ſei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungs- wege. 1 Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Ge- brauch machen, jedoch dürfen ſie auch Einzelnen ihrer Angehörigen die Ausübung überlaſſen; 2 dritte Mächte ſind hingegen weder ſchuldig auf etwanige Requiſition ſich der Ausübung zu unterzie- hen, noch auch berechtigt, Repreſſalien im Intereſſe einer andern Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall einer Intervention vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbeſondere eintreten kann, 3 oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechts, um einem un- menſchlichen abſolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu ſetzen. Denn die Staaten ſind die Vertreter der Menſchheit. Retorſion unbilliger Rechtsgrundſätze und Maaßregeln. 111. Erlaubt ſich eine unabhängige Macht gegen andere der Krieg ausbricht, iſt noch kein Recht auf Leben und Tod begründet, ob- gleich dies von älteren Publiciſten, z. B. ſelbſt von Cocceji zu Groot noch behauptet iſt. 1 Beiſpiele und Verhandlungen darüber ſ. in Ch. de Martens Causes cé- lèbr. II, p. 1. und p. 151 s. 2 Dies geſchah ſonſt durch Ertheilung ſ. g. Markebriefe (lettres de mar- que) in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden u. ſ. w. Vgl. v. Mar- tens, Pütter und Wheaton a. a. O. Dieſer Gebrauch beſteht nicht mehr. 3 Vgl. wegen des deutſchen Bundes die Wiener Schlußacte Art. 37. In
der Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft wird es ausdrücklich als Grundſatz an- geſehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repreſſalien üben dürfen. Vgl. Martens Völkerr. §. 256. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0215" n="191"/><fw place="top" type="header">§. 111. <hi rendition="#g">Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens</hi>.</fw><lb/> Einen zureichenden Grund zu derartigen Repreſſalien gewährt jede<lb/> völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des<lb/> Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Par-<lb/> tei, es ſei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungs-<lb/> wege. <note place="foot" n="1">Beiſpiele und Verhandlungen darüber ſ. in <hi rendition="#aq">Ch. de Martens Causes cé-<lb/> lèbr. II, p.</hi> 1. und <hi rendition="#aq">p. 151 s.</hi></note> Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Ge-<lb/> brauch machen, jedoch dürfen ſie auch Einzelnen ihrer Angehörigen<lb/> die Ausübung überlaſſen; <note place="foot" n="2">Dies geſchah ſonſt durch Ertheilung ſ. g. Markebriefe (<hi rendition="#aq">lettres de mar-<lb/> que</hi>) in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden u. ſ. w. Vgl. v. Mar-<lb/> tens, Pütter und Wheaton a. a. O. Dieſer Gebrauch beſteht nicht mehr.</note> dritte Mächte ſind hingegen weder<lb/> ſchuldig auf etwanige Requiſition ſich der Ausübung zu unterzie-<lb/> hen, noch auch berechtigt, Repreſſalien im Intereſſe einer andern<lb/> Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall einer Intervention<lb/> vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbeſondere eintreten kann, <note place="foot" n="3">Vgl. wegen des deutſchen Bundes die Wiener Schlußacte Art. 37. In<lb/> der Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft wird es ausdrücklich als Grundſatz an-<lb/> geſehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repreſſalien üben dürfen. Vgl.<lb/> Martens Völkerr. §. 256.</note><lb/> oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechts, um einem un-<lb/> menſchlichen abſolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu ſetzen.<lb/> Denn die Staaten ſind die Vertreter der Menſchheit.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>Retorſion unbilliger Rechtsgrundſätze und Maaßregeln.</head><lb/> <p>111. Erlaubt ſich eine unabhängige Macht gegen andere<lb/> Mächte oder deren Angehörige zwar keine Ungerechtigkeit, wohl<lb/> aber eine Unbilligkeit, d. h. eine ungleiche Behandlung fremder<lb/> Staaten oder der Ihrigen innerhalb des eigenen Rechtskreiſes, in-<lb/> dem ſie dieſelben entweder von gewiſſen Vortheilen ganz ausſchließt,<lb/> welche ſie ihren eigenen Unterthanen bewilligt, oder ſie doch zu<lb/> Gunſten der letztern oder auch gegen andere bevorzugtere Natio-<lb/> nen zurückſtellt, oder endlich indem ſie auswärtige Nationen bei<lb/> der Einräumung gewiſſer Vortheile auf ungewöhnliche Weiſe be-<lb/> laſtet: ſo finden keine eigentlichen Repreſſalien Statt, ſondern es<lb/><note xml:id="note-0215" prev="#note-0214" place="foot" n="3">der Krieg ausbricht, iſt noch kein Recht auf Leben und Tod begründet, ob-<lb/> gleich dies von älteren Publiciſten, z. B. ſelbſt von Cocceji zu Groot noch<lb/> behauptet iſt.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0215]
§. 111. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Einen zureichenden Grund zu derartigen Repreſſalien gewährt jede
völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des
Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Par-
tei, es ſei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungs-
wege. 1 Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Ge-
brauch machen, jedoch dürfen ſie auch Einzelnen ihrer Angehörigen
die Ausübung überlaſſen; 2 dritte Mächte ſind hingegen weder
ſchuldig auf etwanige Requiſition ſich der Ausübung zu unterzie-
hen, noch auch berechtigt, Repreſſalien im Intereſſe einer andern
Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall einer Intervention
vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbeſondere eintreten kann, 3
oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechts, um einem un-
menſchlichen abſolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu ſetzen.
Denn die Staaten ſind die Vertreter der Menſchheit.
Retorſion unbilliger Rechtsgrundſätze und Maaßregeln.
111. Erlaubt ſich eine unabhängige Macht gegen andere
Mächte oder deren Angehörige zwar keine Ungerechtigkeit, wohl
aber eine Unbilligkeit, d. h. eine ungleiche Behandlung fremder
Staaten oder der Ihrigen innerhalb des eigenen Rechtskreiſes, in-
dem ſie dieſelben entweder von gewiſſen Vortheilen ganz ausſchließt,
welche ſie ihren eigenen Unterthanen bewilligt, oder ſie doch zu
Gunſten der letztern oder auch gegen andere bevorzugtere Natio-
nen zurückſtellt, oder endlich indem ſie auswärtige Nationen bei
der Einräumung gewiſſer Vortheile auf ungewöhnliche Weiſe be-
laſtet: ſo finden keine eigentlichen Repreſſalien Statt, ſondern es
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1 Beiſpiele und Verhandlungen darüber ſ. in Ch. de Martens Causes cé-
lèbr. II, p. 1. und p. 151 s.
2 Dies geſchah ſonſt durch Ertheilung ſ. g. Markebriefe (lettres de mar-
que) in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden u. ſ. w. Vgl. v. Mar-
tens, Pütter und Wheaton a. a. O. Dieſer Gebrauch beſteht nicht mehr.
3 Vgl. wegen des deutſchen Bundes die Wiener Schlußacte Art. 37. In
der Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft wird es ausdrücklich als Grundſatz an-
geſehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repreſſalien üben dürfen. Vgl.
Martens Völkerr. §. 256.
3 der Krieg ausbricht, iſt noch kein Recht auf Leben und Tod begründet, ob-
gleich dies von älteren Publiciſten, z. B. ſelbſt von Cocceji zu Groot noch
behauptet iſt.
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