Jm übrigen war diese Hipotese Schuld daran, daß nicht nur unser ehemalige vortrefliche Lehrer(c), son- dern auch die ihm nachfolgende Schüler (d) in den Gedan- ken standen, daß das Blut in verschiednen Zeiten in die grosse Röhre einer Schlagader, und in verschiedner Zeit in diejenigen Gefässe aufgenommen würde, welche ihre Wände durchflechten. Doch es ist dieser Drukk einer erweiterten Schlagader nicht von solcher Beschaf- fenheit, daß er die in dem auswendigen Zellgewebe her- umgelagerte Gefäschen treffen und ausleeren sollte.
§. 9. Die Erweiterung einer Schlagader.
Man mus in diesem kritischen Jahrhunderte seine Schritte mit Behutsamkeit thun, da es schwerlich eine Sache gibt, um welche sich nicht der Verstand des Men- schen viele Mühe gemacht hätte. Wir vor unsre Per- son, glauben, daß sich wärend der Erweiterung, und Kraft des Stosses, vom hineingetriebnen Blute, die Schlagadern in den warmen Thieren erweitern, und daß ihre Achsen erst wie zunehmen: doch es gibt Ge- lerte, die überhaupt in lebendigen Thieren keine Schlag- adererweiterung mit Augen sehen können (e); andre haben hingegen gelehrt, daß sich Schlagadern nicht zu- sammenzögen (f): andre wollen, daß eine Schlagader im Herzschlage vielmehr aus ihrer Stelle forthüpfe, und eine neue Gegend einnehme, oder gegen die vorige, eine andre krumme Linie beschreibe (g), als womit sie wärend ihrer Erweiterung den Finger träfe: man hat sich über- redet, zwo Unzen Blut hätten nicht Materie genung (h),
wel-
(c)[Spaltenumbruch]boerhaave Praelection. T. II. S. 251.
(d)schreiber Element. S. 297. und im Almagest. S. 220.
(e) Beim Stähelinde pulsu S. 3.
(f)[Spaltenumbruch]G. A. Langguth, den wir anderswo angefürt, de aorta, ab officio cordis aemulo remota.
(g)Josi. Weitbrecht am an- gef. Orte S. 316.
(h) S. 314.
Sechſtes Buch. Die Seitenbewegung
Jm uͤbrigen war dieſe Hipoteſe Schuld daran, daß nicht nur unſer ehemalige vortrefliche Lehrer(c), ſon- dern auch die ihm nachfolgende Schuͤler (d) in den Gedan- ken ſtanden, daß das Blut in verſchiednen Zeiten in die groſſe Roͤhre einer Schlagader, und in verſchiedner Zeit in diejenigen Gefaͤſſe aufgenommen wuͤrde, welche ihre Waͤnde durchflechten. Doch es iſt dieſer Drukk einer erweiterten Schlagader nicht von ſolcher Beſchaf- fenheit, daß er die in dem auswendigen Zellgewebe her- umgelagerte Gefaͤschen treffen und ausleeren ſollte.
§. 9. Die Erweiterung einer Schlagader.
Man mus in dieſem kritiſchen Jahrhunderte ſeine Schritte mit Behutſamkeit thun, da es ſchwerlich eine Sache gibt, um welche ſich nicht der Verſtand des Men- ſchen viele Muͤhe gemacht haͤtte. Wir vor unſre Per- ſon, glauben, daß ſich waͤrend der Erweiterung, und Kraft des Stoſſes, vom hineingetriebnen Blute, die Schlagadern in den warmen Thieren erweitern, und daß ihre Achſen erſt wie zunehmen: doch es gibt Ge- lerte, die uͤberhaupt in lebendigen Thieren keine Schlag- adererweiterung mit Augen ſehen koͤnnen (e); andre haben hingegen gelehrt, daß ſich Schlagadern nicht zu- ſammenzoͤgen (f): andre wollen, daß eine Schlagader im Herzſchlage vielmehr aus ihrer Stelle forthuͤpfe, und eine neue Gegend einnehme, oder gegen die vorige, eine andre krumme Linie beſchreibe (g), als womit ſie waͤrend ihrer Erweiterung den Finger traͤfe: man hat ſich uͤber- redet, zwo Unzen Blut haͤtten nicht Materie genung (h),
wel-
(c)[Spaltenumbruch]boerhaave Praelection. T. II. S. 251.
(d)ſchreiber Element. S. 297. und im Almageſt. S. 220.
(e) Beim Stähelinde pulſu S. 3.
(f)[Spaltenumbruch]G. A. Langguth, den wir anderswo angefuͤrt, de aorta, ab officio cordis aemulo remota.
(g)Joſi. Weitbrecht am an- gef. Orte S. 316.
(h) S. 314.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0404"n="384"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sechſtes Buch. Die Seitenbewegung</hi></fw><lb/><p>Jm uͤbrigen war dieſe Hipoteſe Schuld daran, daß<lb/>
nicht nur unſer ehemalige vortrefliche <hirendition="#fr">Lehrer</hi><noteplace="foot"n="(c)"><cb/><hirendition="#aq"><hirendition="#k">boerhaave</hi> Praelection. T.<lb/>
II.</hi> S. 251.</note>, ſon-<lb/>
dern auch die ihm nachfolgende Schuͤler <noteplace="foot"n="(d)"><hirendition="#aq"><hirendition="#k">ſchreiber</hi> Element.</hi> S. 297.<lb/>
und im <hirendition="#aq">Almageſt.</hi> S. 220.</note> in den Gedan-<lb/>
ken ſtanden, daß das Blut in verſchiednen Zeiten in die<lb/>
groſſe Roͤhre einer Schlagader, und in verſchiedner<lb/>
Zeit in diejenigen Gefaͤſſe aufgenommen wuͤrde, welche<lb/>
ihre Waͤnde durchflechten. Doch es iſt dieſer Drukk<lb/>
einer erweiterten Schlagader nicht von ſolcher Beſchaf-<lb/>
fenheit, daß er die in dem auswendigen Zellgewebe her-<lb/>
umgelagerte Gefaͤschen treffen und ausleeren ſollte.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 9.<lb/>
Die Erweiterung einer Schlagader.</head><lb/><p>Man mus in dieſem kritiſchen Jahrhunderte ſeine<lb/>
Schritte mit Behutſamkeit thun, da es ſchwerlich eine<lb/>
Sache gibt, um welche ſich nicht der Verſtand des Men-<lb/>ſchen viele Muͤhe gemacht haͤtte. Wir vor unſre Per-<lb/>ſon, glauben, daß ſich waͤrend der Erweiterung, und<lb/>
Kraft des Stoſſes, vom hineingetriebnen Blute, die<lb/>
Schlagadern in den warmen Thieren erweitern, und<lb/>
daß ihre Achſen erſt wie zunehmen: doch es gibt Ge-<lb/>
lerte, die uͤberhaupt in lebendigen Thieren keine Schlag-<lb/>
adererweiterung mit Augen ſehen koͤnnen <noteplace="foot"n="(e)">Beim <hirendition="#fr">Stähelin</hi><hirendition="#aq">de pulſu</hi><lb/>
S. 3.</note>; andre<lb/>
haben hingegen gelehrt, daß ſich Schlagadern nicht zu-<lb/>ſammenzoͤgen <noteplace="foot"n="(f)"><cb/><hirendition="#fr">G. A. Langguth,</hi> den wir<lb/>
anderswo angefuͤrt, <hirendition="#aq">de aorta, ab<lb/>
officio cordis aemulo remota.</hi></note>: andre wollen, daß eine Schlagader<lb/>
im Herzſchlage vielmehr aus ihrer Stelle forthuͤpfe, und<lb/>
eine neue Gegend einnehme, oder gegen die vorige, eine<lb/>
andre krumme Linie beſchreibe <noteplace="foot"n="(g)"><hirendition="#fr">Joſi. Weitbrecht</hi> am an-<lb/>
gef. Orte S. 316.</note>, als womit ſie waͤrend<lb/>
ihrer Erweiterung den Finger traͤfe: man hat ſich uͤber-<lb/>
redet, zwo Unzen Blut haͤtten nicht Materie genung <noteplace="foot"n="(h)">S. 314.</note>,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wel-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[384/0404]
Sechſtes Buch. Die Seitenbewegung
Jm uͤbrigen war dieſe Hipoteſe Schuld daran, daß
nicht nur unſer ehemalige vortrefliche Lehrer (c), ſon-
dern auch die ihm nachfolgende Schuͤler (d) in den Gedan-
ken ſtanden, daß das Blut in verſchiednen Zeiten in die
groſſe Roͤhre einer Schlagader, und in verſchiedner
Zeit in diejenigen Gefaͤſſe aufgenommen wuͤrde, welche
ihre Waͤnde durchflechten. Doch es iſt dieſer Drukk
einer erweiterten Schlagader nicht von ſolcher Beſchaf-
fenheit, daß er die in dem auswendigen Zellgewebe her-
umgelagerte Gefaͤschen treffen und ausleeren ſollte.
§. 9.
Die Erweiterung einer Schlagader.
Man mus in dieſem kritiſchen Jahrhunderte ſeine
Schritte mit Behutſamkeit thun, da es ſchwerlich eine
Sache gibt, um welche ſich nicht der Verſtand des Men-
ſchen viele Muͤhe gemacht haͤtte. Wir vor unſre Per-
ſon, glauben, daß ſich waͤrend der Erweiterung, und
Kraft des Stoſſes, vom hineingetriebnen Blute, die
Schlagadern in den warmen Thieren erweitern, und
daß ihre Achſen erſt wie zunehmen: doch es gibt Ge-
lerte, die uͤberhaupt in lebendigen Thieren keine Schlag-
adererweiterung mit Augen ſehen koͤnnen (e); andre
haben hingegen gelehrt, daß ſich Schlagadern nicht zu-
ſammenzoͤgen (f): andre wollen, daß eine Schlagader
im Herzſchlage vielmehr aus ihrer Stelle forthuͤpfe, und
eine neue Gegend einnehme, oder gegen die vorige, eine
andre krumme Linie beſchreibe (g), als womit ſie waͤrend
ihrer Erweiterung den Finger traͤfe: man hat ſich uͤber-
redet, zwo Unzen Blut haͤtten nicht Materie genung (h),
wel-
(c)
boerhaave Praelection. T.
II. S. 251.
(d) ſchreiber Element. S. 297.
und im Almageſt. S. 220.
(e) Beim Stähelin de pulſu
S. 3.
(f)
G. A. Langguth, den wir
anderswo angefuͤrt, de aorta, ab
officio cordis aemulo remota.
(g) Joſi. Weitbrecht am an-
gef. Orte S. 316.
(h) S. 314.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/404>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.