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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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VII. Stufenleiter der Reflexthaten.
anderen Theilen mittelst Turgor-Wechsels aus; d. h. sie
verändern die Spannung des Protoplasmas, und damit auch
dessen Druck auf die umschließende elastische Zellenwand. V. Die
wichtigsten von allen organischen Bewegungen sind die Kon-
traktions-Erscheinungen
, d. h. Gestalts-Veränderungen
der Körper-Oberfläche, welche mit gegenseitigen Lage-Verschiebungen
ihrer Theilchen verbunden sind; sie verlaufen stets mit zwei
verschiedenen Zuständen oder Phasen der Bewegung: der Kon-
traktions-Phase
(Zusammenziehung) und der Expansions-
Phase
(Ausdehnung). Als vier verschiedene Formen der Plasma-
Kontraktion werden unterschieden Va: die amöboiden Be-
wegungen (bei Rhizopoden, Blutzellen, Pigmentzellen u. s. w.);
Vb: die ähnlichen Plasmaströmungen im Innern von
eingeschlossenen Zellen; Vc: die Flimmerbewegung (Geißel-
bewegung und Wimperbewegung) bei Infusorien, Spermien,
Flimmer-Epithel-Zellen, und endlich Vd: Die Muskelbewegung
(bei den meisten Thieren).

Skala der Reflexe (reflektorische Erscheinungen, Reflex-
Bewegungen u. s. w.). Die elementare Seelenthätigkeit, welche
durch die Verknüpfung von Empfindung und Bewegung ent-
steht, nennen wir (im weitesten Sinne!) Reflex oder reflektive
Funktion
(reflektorische Leistung), besser Reflexthat. Die
Bewegung -- gleichviel welcher Art -- erscheint hier als die un-
mittelbare Folge des Reizes, welchen die Empfindung hervor-
gerufen hat; man hat sie daher auch im einfachsten Falle (bei
Protisten) kurz als "Reizbewegung" bezeichnet. Alles lebende
Plasma besitzt Reizbarkeit (Irritabilität). Jede physikalische
oder chemische Veränderung der umgebenden Außenwelt kann
unter Umständen auf das Psychoplasma als Reiz wirken und
eine Bewegung hervorrufen oder "auslösen". Wir werden
später sehen, wie der wichtige physikalische Begriff der Aus-
lösung
die einfachsten organischen Reflexthaten unmittelbar

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VII. Stufenleiter der Reflexthaten.
anderen Theilen mittelſt Turgor-Wechſels aus; d. h. ſie
verändern die Spannung des Protoplasmas, und damit auch
deſſen Druck auf die umſchließende elaſtiſche Zellenwand. V. Die
wichtigſten von allen organiſchen Bewegungen ſind die Kon-
traktions-Erſcheinungen
, d. h. Geſtalts-Veränderungen
der Körper-Oberfläche, welche mit gegenſeitigen Lage-Verſchiebungen
ihrer Theilchen verbunden ſind; ſie verlaufen ſtets mit zwei
verſchiedenen Zuſtänden oder Phaſen der Bewegung: der Kon-
traktions-Phaſe
(Zuſammenziehung) und der Expanſions-
Phaſe
(Ausdehnung). Als vier verſchiedene Formen der Plasma-
Kontraktion werden unterſchieden Va: die amöboiden Be-
wegungen (bei Rhizopoden, Blutzellen, Pigmentzellen u. ſ. w.);
Vb: die ähnlichen Plasmaſtrömungen im Innern von
eingeſchloſſenen Zellen; Vc: die Flimmerbewegung (Geißel-
bewegung und Wimperbewegung) bei Infuſorien, Spermien,
Flimmer-Epithel-Zellen, und endlich Vd: Die Muskelbewegung
(bei den meiſten Thieren).

Skala der Reflexe (reflektoriſche Erſcheinungen, Reflex-
Bewegungen u. ſ. w.). Die elementare Seelenthätigkeit, welche
durch die Verknüpfung von Empfindung und Bewegung ent-
ſteht, nennen wir (im weiteſten Sinne!) Reflex oder reflektive
Funktion
(reflektoriſche Leiſtung), beſſer Reflexthat. Die
Bewegung — gleichviel welcher Art — erſcheint hier als die un-
mittelbare Folge des Reizes, welchen die Empfindung hervor-
gerufen hat; man hat ſie daher auch im einfachſten Falle (bei
Protiſten) kurz als „Reizbewegung“ bezeichnet. Alles lebende
Plasma beſitzt Reizbarkeit (Irritabilität). Jede phyſikaliſche
oder chemiſche Veränderung der umgebenden Außenwelt kann
unter Umſtänden auf das Pſychoplasma als Reiz wirken und
eine Bewegung hervorrufen oder „auslöſen“. Wir werden
ſpäter ſehen, wie der wichtige phyſikaliſche Begriff der Aus-
löſung
die einfachſten organiſchen Reflexthaten unmittelbar

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[131/0147] VII. Stufenleiter der Reflexthaten. anderen Theilen mittelſt Turgor-Wechſels aus; d. h. ſie verändern die Spannung des Protoplasmas, und damit auch deſſen Druck auf die umſchließende elaſtiſche Zellenwand. V. Die wichtigſten von allen organiſchen Bewegungen ſind die Kon- traktions-Erſcheinungen, d. h. Geſtalts-Veränderungen der Körper-Oberfläche, welche mit gegenſeitigen Lage-Verſchiebungen ihrer Theilchen verbunden ſind; ſie verlaufen ſtets mit zwei verſchiedenen Zuſtänden oder Phaſen der Bewegung: der Kon- traktions-Phaſe (Zuſammenziehung) und der Expanſions- Phaſe (Ausdehnung). Als vier verſchiedene Formen der Plasma- Kontraktion werden unterſchieden Va: die amöboiden Be- wegungen (bei Rhizopoden, Blutzellen, Pigmentzellen u. ſ. w.); Vb: die ähnlichen Plasmaſtrömungen im Innern von eingeſchloſſenen Zellen; Vc: die Flimmerbewegung (Geißel- bewegung und Wimperbewegung) bei Infuſorien, Spermien, Flimmer-Epithel-Zellen, und endlich Vd: Die Muskelbewegung (bei den meiſten Thieren). Skala der Reflexe (reflektoriſche Erſcheinungen, Reflex- Bewegungen u. ſ. w.). Die elementare Seelenthätigkeit, welche durch die Verknüpfung von Empfindung und Bewegung ent- ſteht, nennen wir (im weiteſten Sinne!) Reflex oder reflektive Funktion (reflektoriſche Leiſtung), beſſer Reflexthat. Die Bewegung — gleichviel welcher Art — erſcheint hier als die un- mittelbare Folge des Reizes, welchen die Empfindung hervor- gerufen hat; man hat ſie daher auch im einfachſten Falle (bei Protiſten) kurz als „Reizbewegung“ bezeichnet. Alles lebende Plasma beſitzt Reizbarkeit (Irritabilität). Jede phyſikaliſche oder chemiſche Veränderung der umgebenden Außenwelt kann unter Umſtänden auf das Pſychoplasma als Reiz wirken und eine Bewegung hervorrufen oder „auslöſen“. Wir werden ſpäter ſehen, wie der wichtige phyſikaliſche Begriff der Aus- löſung die einfachſten organiſchen Reflexthaten unmittelbar 9*

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/147>, abgerufen am 26.04.2024.