gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich setze dessen Kentnis billig voraus; doch will ich, soviel davon zu besserer Ein- sicht des Folgenden nöthig ist, hier bemerken.
§. 2. Begrif der Souverainetät und eines freien Volks.
Unter einem Staate oder Volke versteht man, wie obgedacht, eine Geselschaft von Personen und Familien, welche zu Beförderung gemeinschaftlicher Wohlfart unter einer Oberherschaft, auf einem gewissen Erdstriche bei- sammen wohnen. Ein solcher politischer Körper ist, als moralische Person betrachtet, wie ieder einzelne Mensch, von Natur frey und unabhängig. Derselbe bleibt es auch, so lange er, durch seinen eignen Regenten die Mittel zur gemeinen Glückseligkeit, in Beziehung auf alle innern und auswärtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut- dünken [den aufhabenden natürlichen und andern Ver- bindlichkeiten gemäs versteht sich] besorgen zu lassen be- rechtigt ist. Die unmittelbare Gewalt, sich selbst, nach eigenen Gesetzen zu regieren, ohne einer andern auswärti- gen höhern Macht davon Rechenschaft geben, oder sonst auf dessen Vorschriften Rücksicht nehmen, oder die Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm erwarten zu dürfen, kurz, wie die Franzosen zu sagen pflegen, ohne, ausser Gott und dem Degen iemand über sich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai- netät und das erste Erfordernis eines freien unabhängigen Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtsa- me eines souverainen Staats, nach dem heutigen Sprachgebrauch, Anspruch machen will d].
a] Der Etatsrath Moser hält in seinem neusten Versuche zu Begründung eines freien Volks für hinlänglich, daß kein andrer Staat oder Herr in weltlichen Sachen ihm etwas
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Von den ſouverainen Staaten ꝛc.
gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich ſetze deſſen Kentnis billig voraus; doch will ich, ſoviel davon zu beſſerer Ein- ſicht des Folgenden noͤthig iſt, hier bemerken.
§. 2. Begrif der Souverainetaͤt und eines freien Volks.
Unter einem Staate oder Volke verſteht man, wie obgedacht, eine Geſelſchaft von Perſonen und Familien, welche zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfart unter einer Oberherſchaft, auf einem gewiſſen Erdſtriche bei- ſammen wohnen. Ein ſolcher politiſcher Koͤrper iſt, als moraliſche Perſon betrachtet, wie ieder einzelne Menſch, von Natur frey und unabhaͤngig. Derſelbe bleibt es auch, ſo lange er, durch ſeinen eignen Regenten die Mittel zur gemeinen Gluͤckſeligkeit, in Beziehung auf alle innern und auswaͤrtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut- duͤnken [den aufhabenden natuͤrlichen und andern Ver- bindlichkeiten gemaͤs verſteht ſich] beſorgen zu laſſen be- rechtigt iſt. Die unmittelbare Gewalt, ſich ſelbſt, nach eigenen Geſetzen zu regieren, ohne einer andern auswaͤrti- gen hoͤhern Macht davon Rechenſchaft geben, oder ſonſt auf deſſen Vorſchriften Ruͤckſicht nehmen, oder die Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm erwarten zu duͤrfen, kurz, wie die Franzoſen zu ſagen pflegen, ohne, auſſer Gott und dem Degen iemand uͤber ſich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai- netaͤt und das erſte Erfordernis eines freien unabhaͤngigen Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtſa- me eines ſouverainen Staats, nach dem heutigen Sprachgebrauch, Anſpruch machen will d].
a] Der Etatsrath Moſer haͤlt in ſeinem neuſten Verſuche zu Begruͤndung eines freien Volks fuͤr hinlaͤnglich, daß kein andrer Staat oder Herr in weltlichen Sachen ihm etwas
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Von den ſouverainen Staaten ꝛc.
gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich ſetze deſſen Kentnis
billig voraus; doch will ich, ſoviel davon zu beſſerer Ein-
ſicht des Folgenden noͤthig iſt, hier bemerken.
§. 2.
Begrif der Souverainetaͤt und eines freien
Volks.
Unter einem Staate oder Volke verſteht man, wie
obgedacht, eine Geſelſchaft von Perſonen und Familien,
welche zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfart unter
einer Oberherſchaft, auf einem gewiſſen Erdſtriche bei-
ſammen wohnen. Ein ſolcher politiſcher Koͤrper iſt, als
moraliſche Perſon betrachtet, wie ieder einzelne Menſch,
von Natur frey und unabhaͤngig. Derſelbe bleibt es auch,
ſo lange er, durch ſeinen eignen Regenten die Mittel zur
gemeinen Gluͤckſeligkeit, in Beziehung auf alle innern
und auswaͤrtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut-
duͤnken [den aufhabenden natuͤrlichen und andern Ver-
bindlichkeiten gemaͤs verſteht ſich] beſorgen zu laſſen be-
rechtigt iſt. Die unmittelbare Gewalt, ſich ſelbſt, nach
eigenen Geſetzen zu regieren, ohne einer andern auswaͤrti-
gen hoͤhern Macht davon Rechenſchaft geben, oder ſonſt
auf deſſen Vorſchriften Ruͤckſicht nehmen, oder die
Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm
erwarten zu duͤrfen, kurz, wie die Franzoſen zu ſagen
pflegen, ohne, auſſer Gott und dem Degen iemand uͤber
ſich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai-
netaͤt und das erſte Erfordernis eines freien unabhaͤngigen
Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtſa-
me eines ſouverainen Staats, nach dem heutigen
Sprachgebrauch, Anſpruch machen will d].
a] Der Etatsrath Moſer haͤlt in ſeinem neuſten Verſuche zu
Begruͤndung eines freien Volks fuͤr hinlaͤnglich, daß kein
andrer Staat oder Herr in weltlichen Sachen ihm etwas
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/99>, abgerufen am 22.02.2025.
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