Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verschiedene natürliche und politische Ursachen, an der Ausübung aller in der Souverainetät eigentlich begriffenen Rechte gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewisse Eigenschaften und Volkommenheiten haben, welche dem andern abgehn; es kan mächtiger an Ländern, uneinge- schränkter in der Regierungsform etc. seyn. Aber dies sind zufällige Vorzüge, welche auf die wesentlichen Rech- te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm zwar bey innern und äussern Verhältnissen mehr Ansehn und Achtung verschaffen, auch wohl Gelegenheit geben, bey den übrigen Völkern mehrere Vorzüge zu erwerben, nur ist es nicht berechtigt, solche deshalb zu fodern.
*]Ickstadt L. II. c. VI. §. 10. u. f.
§. 3. Deren Rang.
Der Vorrang oder der erste und vorzüglichste Platz im Gehen, Stehen, Sitzen etc. bey Zusammenkünften, wird, nach der Einbildung der Menschen, für einen der grösten Vorzüge geachtet. In sofern man ihn als ein Recht ansieht, das gewisser zufälliger Volkommen- heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird, kan ein Vorrang unter freien Völkern, vermöge der vol- komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natürlichen Grund- sätzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei- chen Vorrechte vor andern zu erhalten gesucht. Die Gele- genheiten hierzu äussern sich entweder bey persönlichen Zusammenkünften der Beherscher freier Staaten, als
Reprä-
N 4
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.
§. 2. Zufaͤllige Vorzuͤge der Nazionen.
Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verſchiedene natuͤrliche und politiſche Urſachen, an der Ausuͤbung aller in der Souverainetaͤt eigentlich begriffenen Rechte gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewiſſe Eigenſchaften und Volkommenheiten haben, welche dem andern abgehn; es kan maͤchtiger an Laͤndern, uneinge- ſchraͤnkter in der Regierungsform ꝛc. ſeyn. Aber dies ſind zufaͤllige Vorzuͤge, welche auf die weſentlichen Rech- te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm zwar bey innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſen mehr Anſehn und Achtung verſchaffen, auch wohl Gelegenheit geben, bey den uͤbrigen Voͤlkern mehrere Vorzuͤge zu erwerben, nur iſt es nicht berechtigt, ſolche deshalb zu fodern.
*]Ickſtadt L. II. c. VI. §. 10. u. f.
§. 3. Deren Rang.
Der Vorrang oder der erſte und vorzuͤglichſte Platz im Gehen, Stehen, Sitzen ꝛc. bey Zuſammenkuͤnften, wird, nach der Einbildung der Menſchen, fuͤr einen der groͤſten Vorzuͤge geachtet. In ſofern man ihn als ein Recht anſieht, das gewiſſer zufaͤlliger Volkommen- heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird, kan ein Vorrang unter freien Voͤlkern, vermoͤge der vol- komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natuͤrlichen Grund- ſaͤtzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei- chen Vorrechte vor andern zu erhalten geſucht. Die Gele- genheiten hierzu aͤuſſern ſich entweder bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Beherſcher freier Staaten, als
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Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.
§. 2.
Zufaͤllige Vorzuͤge der Nazionen.
Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verſchiedene
natuͤrliche und politiſche Urſachen, an der Ausuͤbung
aller in der Souverainetaͤt eigentlich begriffenen Rechte
gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewiſſe
Eigenſchaften und Volkommenheiten haben, welche dem
andern abgehn; es kan maͤchtiger an Laͤndern, uneinge-
ſchraͤnkter in der Regierungsform ꝛc. ſeyn. Aber dies
ſind zufaͤllige Vorzuͤge, welche auf die weſentlichen Rech-
te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm
zwar bey innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſen mehr Anſehn
und Achtung verſchaffen, auch wohl Gelegenheit geben,
bey den uͤbrigen Voͤlkern mehrere Vorzuͤge zu erwerben,
nur iſt es nicht berechtigt, ſolche deshalb zu fodern.
*] Ickſtadt L. II. c. VI. §. 10. u. f.
§. 3.
Deren Rang.
Der Vorrang oder der erſte und vorzuͤglichſte Platz
im Gehen, Stehen, Sitzen ꝛc. bey Zuſammenkuͤnften,
wird, nach der Einbildung der Menſchen, fuͤr einen
der groͤſten Vorzuͤge geachtet. In ſofern man ihn als
ein Recht anſieht, das gewiſſer zufaͤlliger Volkommen-
heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird,
kan ein Vorrang unter freien Voͤlkern, vermoͤge der vol-
komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natuͤrlichen Grund-
ſaͤtzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz
der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei-
chen Vorrechte vor andern zu erhalten geſucht. Die Gele-
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/225>, abgerufen am 21.11.2024.
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