Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Buch.
Das XXIX. Capitel.

DEß andern Tags hatte mein Herr seinen Offi-
ciern und andern guten Freunden/ eine Fürst-
liche Gasterey angestellt/ weil er die angenehme Zei-
tung bekommen/ daß die Seinigen das veste Hauß
Braunfels ohne Verlust einigen Manns eingenom-
men; da muste ich/ wie dann mein Ampt war/ wie
ein anderer Tisch-Diener helffen Speisen aufftra-
gen/ einschencken/ und mit einem Deller in der Hand
auffwarten: Den ersten Tag wurde mir ein grosser
fetter Kalbskopff (von welchen man zu sagen pflegt/
daß sie kein Armer fressen dörffe) auffzutragen ein-
gehändigt; weil nun derselbig zimlich mürd gesot-
ten war/ liesse er das eine Aug mit zugehöriger gan-
tzen Substanz zimlich weit herauß lappen/ welches
mir ein anmuthiger und verführischer Anblick war:
Und weil mich der frische Geruch von der Speck-
Brühe und auffgestreutem Jngwer zugleich anrei-
tzete/ empfand ich einen solchen Appetit/ daß mir
das Maul gantz voll Wasser wurde: Jn Summa/
das Aug lachte meine Augen/ meine Nasen/ und
meinen Mund zugleich an/ und bate mich gleichsam/
ich wolte es doch meinem heiß-hungerigen Magen
einverleiben: Jch liesse mir nicht lang den Rock zer-
reissen/ sondern folgte meinen Begierden/ im Gang
hub ich das Aug mit meinem Leffel/ den ich erst den-
selben Tag bekommen hatte/ so meisterlich herauß/
und schickte es ohne Anstoß so geschwind an seinen
Ort/ daß es auch kein Mensch innen ward/ biß das
Schüppen-Essen auff den tisch kam/ und mich und
sich selbst verriethe; dann als man ihn zerlegen wolte/

und
E v
Erſtes Buch.
Das XXIX. Capitel.

DEß andern Tags hatte mein Herꝛ ſeinen Offi-
ciern und andern guten Freunden/ eine Fuͤrſt-
liche Gaſterey angeſtellt/ weil er die angenehme Zei-
tung bekommen/ daß die Seinigen das veſte Hauß
Braunfels ohne Verluſt einigen Manns eingenom-
men; da muſte ich/ wie dann mein Ampt war/ wie
ein anderer Tiſch-Diener helffen Speiſen aufftra-
gen/ einſchencken/ und mit einem Deller in der Hand
auffwarten: Den erſten Tag wurde mir ein groſſer
fetter Kalbskopff (von welchen man zu ſagen pflegt/
daß ſie kein Armer freſſen doͤrffe) auffzutragen ein-
gehaͤndigt; weil nun derſelbig zimlich muͤrd geſot-
ten war/ lieſſe er das eine Aug mit zugehoͤriger gan-
tzen Subſtanz zimlich weit herauß lappen/ welches
mir ein anmuthiger und verfuͤhriſcher Anblick war:
Und weil mich der friſche Geruch von der Speck-
Bruͤhe und auffgeſtreutem Jngwer zugleich anrei-
tzete/ empfand ich einen ſolchen Appetit/ daß mir
das Maul gantz voll Waſſer wurde: Jn Summa/
das Aug lachte meine Augen/ meine Naſen/ und
meinen Mund zugleich an/ und bate mich gleichſam/
ich wolte es doch meinem heiß-hungerigen Magen
einverleiben: Jch lieſſe mir nicht lang den Rock zer-
reiſſen/ ſondern folgte meinen Begierden/ im Gang
hub ich das Aug mit meinem Leffel/ den ich erſt den-
ſelben Tag bekommen hatte/ ſo meiſterlich herauß/
und ſchickte es ohne Anſtoß ſo geſchwind an ſeinen
Ort/ daß es auch kein Menſch innen ward/ biß das
Schuͤppen-Eſſen auff den tiſch kam/ und mich und
ſich ſelbſt verꝛiethe; dañ als man ihn zerlegen wolte/

und
E v
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0109" n="103"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Buch.</hi> </fw><lb/>
      <div n="2">
        <head> <hi rendition="#fr">Das</hi> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">XXIX.</hi> </hi> <hi rendition="#fr">Capitel.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>Eß andern Tags hatte mein Her&#xA75B; &#x017F;einen Offi-<lb/>
ciern und andern guten Freunden/ eine Fu&#x0364;r&#x017F;t-<lb/>
liche Ga&#x017F;terey ange&#x017F;tellt/ weil er die angenehme Zei-<lb/>
tung bekommen/ daß die Seinigen das ve&#x017F;te Hauß<lb/>
Braunfels ohne Verlu&#x017F;t einigen Manns eingenom-<lb/>
men; da mu&#x017F;te ich/ wie dann mein Ampt war/ wie<lb/>
ein anderer Ti&#x017F;ch-Diener helffen Spei&#x017F;en aufftra-<lb/>
gen/ ein&#x017F;chencken/ und mit einem Deller in der Hand<lb/>
auffwarten: Den er&#x017F;ten Tag wurde mir ein gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
fetter Kalbskopff (von welchen man zu &#x017F;agen pflegt/<lb/>
daß &#x017F;ie kein Armer fre&#x017F;&#x017F;en do&#x0364;rffe) auffzutragen ein-<lb/>
geha&#x0364;ndigt; weil nun der&#x017F;elbig zimlich mu&#x0364;rd ge&#x017F;ot-<lb/>
ten war/ lie&#x017F;&#x017F;e er das eine Aug mit zugeho&#x0364;riger gan-<lb/>
tzen <hi rendition="#aq">Sub&#x017F;tanz</hi> zimlich weit herauß lappen/ welches<lb/>
mir ein anmuthiger und verfu&#x0364;hri&#x017F;cher Anblick war:<lb/>
Und weil mich der fri&#x017F;che Geruch von der Speck-<lb/>
Bru&#x0364;he und auffge&#x017F;treutem Jngwer zugleich anrei-<lb/>
tzete/ empfand ich einen &#x017F;olchen Appetit/ daß mir<lb/>
das Maul gantz voll Wa&#x017F;&#x017F;er wurde: Jn Summa/<lb/>
das Aug lachte meine Augen/ meine Na&#x017F;en/ und<lb/>
meinen Mund zugleich an/ und bate mich gleich&#x017F;am/<lb/>
ich wolte es doch meinem heiß-hungerigen Magen<lb/>
einverleiben: Jch lie&#x017F;&#x017F;e mir nicht lang den Rock zer-<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;en/ &#x017F;ondern folgte meinen Begierden/ im Gang<lb/>
hub ich das Aug mit meinem Leffel/ den ich er&#x017F;t den-<lb/>
&#x017F;elben Tag bekommen hatte/ &#x017F;o mei&#x017F;terlich herauß/<lb/>
und &#x017F;chickte es ohne An&#x017F;toß &#x017F;o ge&#x017F;chwind an &#x017F;einen<lb/>
Ort/ daß es auch kein Men&#x017F;ch innen ward/ biß das<lb/>
Schu&#x0364;ppen-E&#x017F;&#x017F;en auff den ti&#x017F;ch kam/ und mich und<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#xA75B;iethe; dan&#x0303; als man ihn zerlegen wolte/<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E v</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0109] Erſtes Buch. Das XXIX. Capitel. DEß andern Tags hatte mein Herꝛ ſeinen Offi- ciern und andern guten Freunden/ eine Fuͤrſt- liche Gaſterey angeſtellt/ weil er die angenehme Zei- tung bekommen/ daß die Seinigen das veſte Hauß Braunfels ohne Verluſt einigen Manns eingenom- men; da muſte ich/ wie dann mein Ampt war/ wie ein anderer Tiſch-Diener helffen Speiſen aufftra- gen/ einſchencken/ und mit einem Deller in der Hand auffwarten: Den erſten Tag wurde mir ein groſſer fetter Kalbskopff (von welchen man zu ſagen pflegt/ daß ſie kein Armer freſſen doͤrffe) auffzutragen ein- gehaͤndigt; weil nun derſelbig zimlich muͤrd geſot- ten war/ lieſſe er das eine Aug mit zugehoͤriger gan- tzen Subſtanz zimlich weit herauß lappen/ welches mir ein anmuthiger und verfuͤhriſcher Anblick war: Und weil mich der friſche Geruch von der Speck- Bruͤhe und auffgeſtreutem Jngwer zugleich anrei- tzete/ empfand ich einen ſolchen Appetit/ daß mir das Maul gantz voll Waſſer wurde: Jn Summa/ das Aug lachte meine Augen/ meine Naſen/ und meinen Mund zugleich an/ und bate mich gleichſam/ ich wolte es doch meinem heiß-hungerigen Magen einverleiben: Jch lieſſe mir nicht lang den Rock zer- reiſſen/ ſondern folgte meinen Begierden/ im Gang hub ich das Aug mit meinem Leffel/ den ich erſt den- ſelben Tag bekommen hatte/ ſo meiſterlich herauß/ und ſchickte es ohne Anſtoß ſo geſchwind an ſeinen Ort/ daß es auch kein Menſch innen ward/ biß das Schuͤppen-Eſſen auff den tiſch kam/ und mich und ſich ſelbſt verꝛiethe; dañ als man ihn zerlegen wolte/ und E v

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der angegebene Verlag (Fillion) ist fiktiv. Die k… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/109
Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/109>, abgerufen am 21.11.2024.